Im Wahlkampf verspricht CDU-Chef Merz, Geflüchtete an deutschen Grenzen zurückzuweisen, auch wenn sie einen Schutzanspruch haben. Der Migrationsforscher Knauss hält das für sinnlos. Er findet etwas anderes zielführender.

Ein paar Wörter können einen riesigen Unterschied machen. So ist es auch im Sondierungspapier von Union und SPD. Darin heißt es: "Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen." Klingt ganz ähnlich wie das, was CDU-Chef Friedrich Merz im Wahlkampf nach den Messermorden von Aschaffenburg gesagt hat. Da kündigte er mit breiter Brust an, auch Asylbewerber an deutschen Grenzen zurückweisen zu lassen. Doch nun steht da eben auch: "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn". Davon war nach Aschaffenburg bei CDU und CSU keine Rede.

Die Nachbarn aber, so scheinen sich die meisten Beobachter einig, werden keineswegs ihre Zustimmung geben. CDU-Politiker Jens Spahn versteht Abstimmung eher nach dem Motto: "Bescheid sagen". Für die SPD ist dagegen klar: Abstimmung bedeutet, die Nachbarländer müssten zustimmen, die abgewiesenen Flüchtlinge selbst aufzunehmen. Da sie das voraussichtlich nicht tun werden, passiert gar nichts, so die Befürchtung.

So war es zumindest 2018, als CDU und CSU in Person von Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer einen epochalen Streit über genau diese Frage ausfochten. Merkel sagte Seehofer irgendwann: Wenn die Nachbarn zustimmen, können wir Zurückweisungen machen. Nur, es stimmte niemand zu, wie Seehofer feststellen musste. So dürfte es wieder kommen. Zumindest Österreich hat sich schon in diese Richtung geäußert. Hat die SPD hier Merz mit einem alten Merkel-Move ausgetrickst? Möglich, was eine hübsche Anekdote wäre.

Doch womöglich gehen solche Überlegungen an der Sache vorbei. Zum einen gibt es schwerwiegende rechtliche Bedenken, ob Zurückweisungen an den Grenzen überhaupt möglich sind oder auch nur politisch klug.

Migrationsforscher glauben nicht an Zurückweisungen

Nach den geltenden Dublin-III-Regel müsste Deutschland alle Schutzsuchenden zunächst aufnehmen. Im zweiten Schritt müsste ermittelt werden, welches andere Land sie eigentlich hätte aufnehmen müssen. Dann könnten sie dorthin zurückgeschickt werden. Das funktioniert zwar allenfalls mittelmäßig, ist aber die Rechtslage. Und wenn Deutschland als größtes EU-Land europäisches Recht bricht, könnte das ungewollte Folgen haben. Womöglich fühlen sich dann andere Länder erst recht nicht mehr daran gebunden.

Laut Migrationsforschern wie Gerald Knauss und Raphael Bossong sind Zurückweisungen an den Grenzen ohnehin nicht der Weg, um unerwünschte Zuwanderung zu begrenzen. Denn selbst wenn die Nachbarn Deutschlands zurückgewiesene Migranten wieder aufnähmen, wollen die dort in der Regel gar nicht bleiben. Sie würden erneut ihr Glück versuchen, nach Deutschland einzureisen.

"Ein mögliches Szenario wäre auch ein Pingpong-Spiel, in dem zwei Staaten die Migranten immer wieder hin und her schicken", sagte Raphael Bossong Ende Januar ntv.de. Italien und Frankreich machten das bereits. "Italien bringt die Leute nach Frankreich, die Franzosen bringen sie wieder zurück, völlig unkoordiniert. Das geht dann 10- bis 15-mal so." Außerdem würden insgesamt mehr Leute über die grüne Grenze irgendwo in der Natur fliehen, weil Grenzen nicht lückenlos kontrolliert werden können. Dann könnten Migranten zum Beispiel über die Oder nach Frankfurt schwimmen oder andere Schleichwege finden, so Bossong.

Dem Portal "The Pioneer" sagte Migrationsforscher Knauss, Österreich werde nur einen Teil der Abgewiesenen wieder aufnehmen - eben jene, die es nach geltendem Recht aufnehmen müsse. Aber selbst die kümmerten die Regierung in Wien wenig, weil die Menschen erfahrungsgemäß ohnehin erneut versuchen würden, die Grenze nach Deutschland zu überqueren.

Schlüsselland Türkei?

Knauss erläuterte außerdem, warum er noch immer an eine Neuauflage des EU-Türkei-Abkommens glaubt, in dessen Folge nach der Flüchtlingskrise 2015/2016 die Zahlen stark zurückgingen. Er war der Vordenker des damaligen Vertrages, der nach fünf Jahren auslief. Im Kern bezahlte die EU die Türkei dafür, Migranten auf ihrem Weg nach Europa aufzuhalten. Hinzu kam ein Mechanismus: Für jeden Geflüchteten, den die Türkei aufnahm, durfte einer oder eine legal in die EU einreisen.

Bei "The Pioneer" sagte Knauss, noch immer kämen die meisten Asylbewerber aus Syrien und Afghanistan über die Türkei nach Deutschland und Europa. Die entscheidende Frage sei, ob es wieder gelinge, eine Einigung mit Ankara zu erzielen. Sonst lässt sich aus Sicht von Knauss die unerwünschte Zuwanderung nicht bremsen. Für einen Bundeskanzler Merz werde es besonders wichtig, einen Draht zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu finden. Damit müsste sich Merz auf die Spuren Merkels begeben, die sich mehrfach mit Erdogan traf. Knauss zufolge müsste die nächste Bundesregierung diesem Angebote machen, die über die Migration hinausgingen. Er erwähnte die Sicherheit in Europa oder auch den Wiederaufbau im Norden Syriens.

Klar ist allerdings auch, dass es nicht leicht wird, die Türken noch einmal von so einem Deal zu überzeugen. "In den Augen vieler Türken ist ihr Land zu einer Abstellkammer für Geflüchtete geworden, damit diese nicht nach Europa ausreisen", zitierte der Deutschlandfunk im Januar die Anwältin Aylin Mazi, die syrische Geflüchtete berät. Der Politikwissenschaftler Murat Erdogan sagte dem Sender, niemand in der Türkei halte das Abkommen für einen Erfolg. Die Zahlungen der EU würden als zu gering erachtet, die in Aussicht gestellten Visa-Erleichterungen für Türken seien nicht gekommen.

Um Erdogan zu überzeugen, müsste Merz also etwas anbieten, das dieser wirklich will. Neben Visa-Erleichterungen könnte es dabei auch um die Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU gehen, die derzeit auf Eis liegen. Dass ausgerechnet Merz sich dafür einsetzt, ist allerdings nicht zu erwarten. Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei hat er immer ausgeschlossen. Es sei denn, er räumt nach der Schuldenbremse noch weitere Positionen.

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