Lange hat Grünen-Urgestein Joschka Fischer kein Fernsehinterview mehr gegeben. Am Abend ist er zu Gast bei Sandra Maischberger. Denn Fischer macht sich Sorgen um Europa. Deshalb rät er seiner Partei auch, den schwarz-roten Anträgen im Bundestag zuzustimmen.
Er ist der "grand old Man" der Grünen. Dort gehörte er zum Realo-Flügel. Von 1998 bis 2005 war er Außenminister in der rot-grünen Bundesregierung. Ein Jahr danach gab er sein Ausscheiden aus der aktiven Politik bekannt, arbeitete im Hintergrund, war Lobbyist und Publizist. Nun meldet sich Joschka Fischer wieder zu Wort. Denn der bald 77 Jahre alte Politiker macht sich Sorgen. Um Europa und um Deutschland. Am Abend ist er Gast bei Sandra Maischberger.
Seit dem Eklat im Weißen Haus am 28. Februar sei für ihn klar, dass Deutschland und Europa der amerikanischen Regierung nicht mehr vertrauen dürfen, sagt Fischer. "Daraus ergibt sich für uns die Konsequenz als Europäer, weil auf nationaler Ebene wären wir nicht stark genug, dass wir für unsere eigene Sicherheit sorgen müssen." Fischer ist skeptisch, dass der russische Präsident Wladimir Putin an einem Frieden in der Ukraine interessiert ist. Und: "Das Ziel von Putin geht weit über die Ukraine hinaus. Anders als wir, die wir nach der deutschen Einheit auf der Gewinnerseite standen, hat er das als große Katastrophe gesehen. Und da ist er nicht allein in der russischen Elite."
Der Kreml habe den Weltmachtstatus verloren. Das habe Moskau nicht akzeptiert. Putin wolle die Weltmacht Russlands wieder zurückerlangen. "Dazu braucht es die verlorenen russischen Territorien. Das heißt, die Ukraine wird nicht der letzte Krieg sein." Putin wolle die Ergebnisse von 1989 und den 1990er-Jahren revidieren. Dazu brauche er die Ukraine. "Und andere werden folgen, weiter westlich. Das ist der entscheidende Punkt." Die Frage für die Sicherheitsgarantie der Ukraine sei nicht nur eine Frage für die Ukraine selbst, so Fischer. "An dieser Linie wird auch die Sicherheit von Europa hängen."
Heute erscheint Fischers neues Buch "Die Kriege der Gegenwart oder der Beginn einer neuen Weltordnung". Darin beschreibt er auch die Politik von US-Präsident Donald Trump, der eine ausschließlich machtgestützte Weltordnung anstrebe. "Einige globale Großmächte sollen die Weltordnung unter sich ausmachen", erklärt Fischer bei Maischberger. Dazu würden sie bewaffnete Kriege führen. "Das wird eine Welt, wie sie 1945 scheinbar zu Ende gegangen ist", befürchtet Fischer. "Für uns Europäer heißt das: Europa muss selbst zur Macht werden."
Mit den USA und notfalls auch ohne sie
Europa sollte an dem Beistandsgebot der Nato festhalten, falls ein anderes Nato-Mitglied angegriffen werden sollte. "Europa sollte nichts tun, um die Verbindung mit den USA, wie es im Artikel 5 des Nato-Vertrages eingebaut ist, also die Beistandsgarantie, in Frage zu stellen. Wir brauchen die USA", rät Fischer. Allerdings müsse Europa eine Strategie entwickeln, mit den USA und notfalls auch ohne sie.
Fischer: "Wir müssen fähig sein, uns selbst zu verteidigen." Das sei Europa seit langem nicht. So führe kein Weg daran vorbei, mit Frankreich und Großbritannien in Sachen atomarem Schutzschirm zu kooperieren. Darüber solle Deutschland mit Frankreich verhandeln, fordert Fischer.
Und es komme auf die Stärke Europas an: "Die Lage ist doch heute die: Im Osten haben wir einen kriegführenden Wladimir Putin, im Westen haben wir einen das Vertrauen, das die USA bisher genossen haben, mit Füßen tretenden Trump, und Europa ist in der Mitte. Wir sind nach wie vor ein Kontinent, der alles hat, was es braucht. Wir haben die Finanzmittel, wir haben die Kreditwürdigkeit, wir haben die Technologie, wir haben die Menschen, die Wissenschaft und Forschung, wir müssen nur wollen. Was fehlt, ist der politische Wille."
"Man kann den Leuten nicht in die Fresse hauen"
Für einen neuen Bundeskanzler bedeute das eine Konzentration auf Europa. "Dieses Europa ist die Antwort auf viele Fragen, vor allem auch die Sicherheitsfrage", so Fischer. Die neue Regierung müsse erfolgreich sein. Skeptisch ist Fischer, ob ihr das gelingt. So braucht sie bei der möglichen Abstimmung über die beiden Finanzpakete am kommenden Dienstag im Bundestag die Stimmen der Grünen Abgeordneten.
"Ich verstehe die Herangehensweise von Herrn Söder und Herrn Merz nicht", so Fischer: "Man kann nicht den Leuten am Vortag in die Weichteile treten und in die Fresse hauen und dann hinterher sagen: Wir brauchen eure Zustimmung."
Dennoch sollten die Grünen den beiden Finanzpaketen zustimmen. "Es geht um Deutschland, und es geht um Europa. Wollen wir, dass Jubelfeiern im Kreml und im Weißen Haus stattfinden? Ich will das nicht." Ob die Grünen am Ende im Bundestag wirklich zustimmen, weiß er zwar nicht. Aber Fischer sagt: "Ich bin mir sicher, sie werden die richtige Entscheidung treffen."
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke