Den russischen Imperialismus hat Tschechien am eigenen Leib erlebt und nicht vergessen. Allerdings wirken russische Narrative im Rahmen von Neiddebatten. Vor allem in Zeiten explodierender Inflation. Bei den Wahlen im Herbst droht ein Sieg der Populisten.

Der Schock des russischen Überfalls auf die Ukraine vor drei Jahren traf auch die Tschechen. Doch so überrascht wie in weiten Teilen Westeuropas waren die Menschen hier nicht. Zu tief lastet die Erfahrung des russischen Imperialismus in der Erinnerung der Menschen. Die Bilder der Warschauer-Pakt-Panzer auf dem Prager Wenzelsplatz und das jähe Ende des Prager Frühlings 1968 - das hat hier kaum jemand vergessen.

Die Hilfe für die Ukraine kam entsprechend prompt, massiv und aus tiefstem Herzen. Die Tschechen brachten in Spendenaktionen Millionenbeträge zusammen, um das angegriffene Land humanitär und militärisch zu unterstützen. Innovativ wurde es auch: Zivilgesellschaftliche Initiativen sammelten Spenden, um konkrete Panzer, Drohnen und dergleichen zu kaufen. Sprichwörtlich spendeten Tschechen ihre Ersparnisse, um die Ukraine im Kampf für ihre Freiheit zu unterstützen.

Auch die liberalkonservative Regierung unter Premier Petr Fiala war von Minute Eins an aktiv und sendete alles, was an (sowjetischem) Militärmaterial noch in den Lagern war. Zugleich wurde die hoch anerkannte tschechische Waffenindustrie auf die umfassende Unterstützung der Ukraine ausgerichtet. Überall im Land hörte man von Zulauf für die Armee, Reservistenübungen wurden abgehalten, Freiwillige wollten zumindest grundlegende militärische Ausbildung erhalten. Warum das alles? "1938 hätten wir kämpfen sollen, 1968 waren wir schon wehrlos - die Ukraine kämpft auch für uns. Wir müssen alles tun, um sie zu unterstützen", hörte man oft in den ersten Kriegsjahren. Und die Russen? "Die sind nicht zurück - die waren nie weg."

Es geht den Menschen an die Geldbeutel

Heute, im Februar 2025, ist eine Ermüdung spürbar. Die Gesellschaft ist in drei Lager aufgespalten: diejenigen, die von Anfang an die Ukraine unermüdlich unterstützten und es weiter tun - dazu gehört auch die aktuelle Regierung; dann diejenigen, die von Beginn an die Ukraine und Nato kritisieren und russische Narrative verbreiten - dazu gehört auch ein Teil der Opposition; und eine dritte Gruppe, auf die zunehmend Kriegsmüdigkeit, auch russische Desinformation wirkt, und die insbesondere die Lage zu Hause im Blick hat - und die ist schwierig.

Wie andere Länder ist auch Tschechien schwer von den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs getroffen. Pro Kopf hat das Land weltweit zeitweise die größte Anzahl an ukrainischen Flüchtlingen aufgenommen, die Abhängigkeit von russischem Gas ließ die Preise explodieren, eine frappierende Inflation von zeitweise bis zu 18 Prozent ging den Menschen an die Geldbeutel. Die Regierung tat ihr Bestes, die Belastungen abzufedern und Tschechien als Industrie- und Exportland auf der Bahn zu halten.

Gerade im Bereich Energie hat das Land umgehend reagiert und wurde im Herbst 2022, noch vor Deutschland, aktiv, um sich LNG-Terminals in den Niederlanden zu sichern. Zugleich forciert Tschechien den Ausbau der Kernenergie. Dennoch, die Situation in Europa und der Welt zeigt: Viele Folgen des Krieges und auch Ausläufer der Covid-Pandemie kann keine nationale Regierung allein in den Griff bekommen. Dennoch muss auch die tschechische Regierung ihren Wählern Rede und Antwort stehen - und die Wähler sind enttäuscht.

Desinformation und Neiddebatten wirken wie schleichendes Gift

Pro-Russland-Slogans greifen bei den Tschechen kaum, oder nur bei einer sehr begrenzten Zielgruppe. Dies ist im Nachbarland Slowakei ganz anders. Aber russische Desinformation, die ganz andere Themen ins Auge fasst, beispielsweise eine Neiddebatte zu den Flüchtlingen entfacht - die greift fleißig und geschickt um sich. Die Regierung geht hart gegen solche russische Einflussnahme vor, schließt Desinformationsportale, weist russische "Diplomaten" aus und richtet ihre Sicherheitsorgane voll auf Abwehr aus. Letztlich waren es die tschechischen Behörden, die den Fall des AfD-Politikers Petr Bystron aufdeckten.

Dennoch machen sich Narrative breit, die nur schwer wieder einzufangen sind: "Die Ukrainer bekommen soziale Geschenke, bekommen mehr Geld als unsere Rentner. Wir bekommen keine Arzttermine, und die haben Privilegien." Eine solche Neiddebatte wirkt in Zeiten der Krise selbst in einer Gesellschaft wie schleichendes Gift, die neben den Polen und Balten zu den resilientesten gegenüber Russland in ganz Europa zählt. Die tschechische Regierung bemüht sich um Aufklärung. So ist es schlicht Fakt, dass bis zu 70 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in den tschechischen Arbeitsmarkt integriert sind und mit knapp 30 Prozent Überschuss gegenüber Sozialleistungen für Flüchtlinge aktiv in den tschechischen Haushalt einzahlen. Von einem Minus durch die Flüchtlinge kann also keine Rede sein - das Gegenteil ist der Fall: Das Land profitiert von den Flüchtlingen, die oftmals in Bereichen arbeiten, für die kaum mehr ein Tscheche zu finden war. Mit einer der niedrigsten Arbeitslosenquoten weltweit sucht das Land händeringend nach Personal. Und bald schon könnte sich die Frage stellen, wie man diese gut integrierten Ukrainer im Land hält.

Tschechien ist in Europa angekommen - jetzt braucht das Land Anerkennung

Die Atmosphäre wird möglicherweise weiter kippen: Die Parlamentswahlen stehen im Herbst 2025 an und eine weitere Verschärfung der politischen Debatte ist zu erwarten. Aktuell liegt die Regierungskoalition weit abgeschlagen zurück. Die populistische ANO von Ex-Premier und Business-Mogul Andej Babiš führt. Ideologisch folgt er Orban, Fico und auch Trump. Die Frage der Solidarität mit der Ukraine ist dabei ein attraktives Feld, um aus der Unzufriedenheit im Land zusätzliche Prozente an Stimmen für sich zu ernten. Der Regierung jedenfalls fällt es schwer, tatsächliche Erfolge wie das enorm gestiegene Prestige Tschechiens in Europa oder Reformprojekte im Land zu verkaufen, oder zumindest mit Verweis auf die schweren globalen Krisen für Verständnis zu werben.

In Europa ist das Land unter Premier Fiala in jedem Falle angekommen. Die Regierung hat stark dafür geworben, dass die Europäische Union "zur Vernunft" kommt, endlich Bürokratie abbaut, sich wieder auf das Prinzip der Subsidiarität besinnt, also nicht in allen Bereichen bis ins kleinste Detail überreguliert, den Green-Deal in Zeiten schwerster Energiekrisen überdenkt, und den Kontinent resilienter und sicherer macht. Dabei blickt Prag auch kritisch nach Berlin: Migration, Sicherheit, Russland, das deutsche Vakuum in der EU - wie Deutschland mit Schlüsselthemen für Europa und die deutschen Nachbarn umgeht, sorgt in Prag schon lange für Verwunderung. Denn Folgen hat das deutsche Handeln allemal.

Ein Beispiel: Die Abschaltung von Atomkraftwerken in Zeiten explodierender Energiepreise führte auch dazu, dass Atomstrom aus Tschechien gekauft wurde - mit entsprechenden Verteuerungen hierzulande. Dies fiel wiederum der tschechischen Regierung auf die Füße. Dass am Ende davon populistische Opportunisten, extremistische Parteien oder klar dem Narrativ Putins folgende Akteure profitieren könnten, das muss in Berlin und Brüssel endlich klar werden. Wenn es so weitergeht, hält die bemerkenswerte und umfassende Solidarität der Tschechen mit der Ukraine vielleicht nicht mehr lange. Und neben der Ukraine-Flagge könnte dann auch die Fahne der Europäischen Union wieder von den öffentlichen Gebäuden verschwinden. Die hatten die Vorgängerregierungen und insbesondere die Präsidenten Václav Klaus und Miloš Zeman verbannt. Die Regierung Fiala hat viel für die Anerkennung der EU und für die Solidarität mit der Ukraine getan - dafür sollte auch sie Gehör und Unterstützung erhalten, aus Europa und Deutschland.

Der Autor: Tomislav Delinić
leitet seit September 2020 die Auslandsbüros in Tschechien und der Slowakei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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