Die kommende Koalition aus Union und SPD hat sich mit den Grünen geeinigt. Künftig sollen alle Ausgaben für die Verteidigung, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, von der Schuldenbremse ausgenommen sein. Darunter sollen auch Mittel für Zivil- und Bevölkerungsschutz, Nachrichtendienste und IT-Sicherheit fallen. Somit werde es „an keiner Stelle mehr an finanziellen Mitteln fehlen, um die Freiheit, den Frieden auf unserem Kontinent zu verteidigen“, wie Friedrich Merz zuvor versprochen hatte. Angesichts der herrschenden Bedrohungen müsse gelten: „Whatever it takes.“

Am Montag warf „hart aber fair“ einen kritischen Blick auf das schuldenfinanzierte Paket zur Verteidigung. „Milliarden für die Bundeswehr: Ist Aufrüsten alternativlos?“, fragte Louis Klamroth den CDU-Politiker Roderich Kiesewetter, den Philosophen Julian Nida-Rümelin (SPD), die Journalistinnen Ina Ruck und Bascha Mika, den früheren US-Diplomaten und Nato-Beamten Jeff Rathke, die Politikwissenschaftlerin Andrea Rotter, den Jugendoffizier David Matei sowie Ole Nymoen, Autor des Sachbuchs „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde – Gegen die Kriegstüchtigkeit“.

Kiesewetter zeigte sich zufrieden. Europa stehe vor der bislang größten Sicherheitsherausforderung, warnte der Außenpolitiker. „Ich bin eine Stimme, die das schon sehr früh gesagt hat. Und ich bin froh, dass das jetzt endlich auch in der Mitte der Gesellschaft und auch im Bundestag angekommen ist.“ Die Abstimmung über eine Grundgesetzänderung am Dienstag betreffe neben der Bundeswehr auch den Zivilschutz sowie die Stärkung der Infrastruktur und der Nachrichtendienste. Zudem verknüpfe das Paket den „Friedensbegriff mit Freiheit und Selbstbestimmung“ und entspreche der Erwartungshaltung des europäischen Auslands.

Bascha Mika zeigte sich weniger euphorisch. „Weil die Autoindustrie abkackt, brauchen wir jetzt ein anderes Investitionsprogramm“, vermutete sie beim Blick auf den Aktienkurs des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Resilienz müsse sich nach innen richten, indem Demokratie und Diplomatie gestärkt werden. Das Grundgesetz verpflichte den Staat sogar zum Frieden, erinnerte die frühere taz-Chefredakteurin die Runde. Stattdessen kündige der wohl kommende Bundeskanzler die Aufrüstung mit Worten an, die sie als „gruselig“ empfinde. „Wenn ich Friedrich Merz zuhöre, dann habe ich das Gefühl, es geht schon um mehr als nur Verteidigung.“

Einen Verbündeten in ihrem Misstrauen hatte Mika in Ole Nymoen. Er sorge sich, dass die Wehrhaftigkeit „nicht für immer ein reines Defensivunterfangen“ bleiben, sondern auch „eigene Ambitionen“ folgen würden. Schon vor drei Jahren habe Friedrich Merz gesagt, Deutschland müsse „bereit sein, in der Welt seine Interessen zu definieren und durchzusetzen“. Es klinge, als habe er einen „Führungsanspruch“ über eine „neue Supermacht namens EU“ formuliert, warnte der Podcaster. „Ich weiß nicht, wie es Ihnen zu Hause damit geht“, sagte er direkt gerichtet ans Fernsehpublikum, „aber mir macht sowas Angst“.

Nymoen kritisierte auch die Debatte über Friedenstruppen. Jahrelang sei jeder in eine „Schwurblerecke“ gestellt worden, der die russische Invasion als „Stellvertreterkrieg“ bezeichnet hat. „Und jetzt sagt auf einmal Europa, wir wollen hier was mitzureden haben“, bemängelte er. „Das widerspricht sich relativ stark.“ Mika widersprach wiederum dem Podcaster. Gegen die „völlig durchgeknallten Großmachtfantasien“ Putins habe Europa am Verteidigungskonzept mitgewirkt. Jetzt habe der Kontinent eine „verdammte Verpflichtung“, bei den Verhandlungen mitzureden. „Wir wollen doch nicht Trump und Putin alleine reden lassen“, betonte die Journalistin. „Wo kommen wir denn dahin?“

Doch genau dazu soll es am heutigen Dienstag in einem Telefonat kommen. In Russland werde das angekündigte Gespräch als „Business as usual“ verkauft, erklärte die aus Moskau zugeschaltete Ina Ruck. Auch in der russischen Bevölkerung gebe es eine gewisse „Kriegsmüdigkeit“, die mit Blick auf die eroberten Gebiete allerdings nicht mit Kompromissbereitschaft einhergehe. Volk und Führung seien sich dahingehend einig. Jeff Rathke zeichnete ein gleichermaßen pessimistisches Bild. In Russland bestehe „überhaupt kein Interesse an einem bedingungslosen Waffenstillstand“, sagte der ehemalige Diplomat. Und der US-Präsident übe seinerseits Druck auf Selenskyj und die Ukraine aus, für deren Souveränität er wenig Sympathie hege.

Mit den europäischen Forderungen und Erwartungen wolle sich Trump „nicht auseinandersetzen“, ließ der aus Washington verbundene Rathke wissen. Eine Rolle, die „wir gar nicht akzeptieren“ sollten, wie Kiesewetter vehement forderte. Der US-Präsident gestehe Putin zu, dass die Ukraine Gebiete abzutreten habe. Zugleich untersage er dem Staat, der Nato beizutreten, und europäischen Truppen, sich an der Friedenssicherung zu beteiligen. „All diese Vorbedingungen hat Trump dem Putin schon eingeräumt“, beanstandete der CDU-Politiker. „Das ist für uns nicht akzeptabel. Deswegen müssen wir dem deutlich widersprechen.“

Dominik Lippe berichtet für WELT regelmäßig über die abendlichen Polit-Talkshows. Der studierte Biologe ist Absolvent der Axel Springer FreeTech Academy.

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