Deutschland muss in einem von den USA unabhängigeren Europa Führungsaufgaben übernehmen. Das ist die Meinung der Gäste bei Maybrit Illner. Dort geht es um die Pläne von US-Präsident Trump. Das Fazit der Runde: Für Trump ist Europa ein Klotz am Bein.
Am Dienstag hat der Bundestag ein Finanzpaket für die Rüstung in Höhe von mindestens einer halben Billion Euro beschlossen. Der Bundesrat muss am Freitag zustimmen. Wie es jetzt aussieht, ist das nur noch eine Formalität. Der Krieg in der Ukraine geht unterdessen weiter, obwohl US-Präsident Trump und Russlands Präsident Putin am Dienstag über einen möglichen Waffenstillstand gesprochen haben. Dabei ist klar geworden: Putin will nicht. Er spielt mit dem US-Präsidenten, und er spielt auf Zeit. Wie geht es nun weiter in der Ukraine und in Europa? Darüber diskutiert Maybrit Illner am Abend mit ihren Gästen.
Sigmar Gabriel war Außenminister der Bundesrepublik, jetzt ist er Vorsitzender der Atlantikbrücke. Er analysiert: "Putin will uns zeigen, dass er keine Not hat und dass sein Krieg sich aus seiner Sicht vernünftig vollzieht." Er glaubt nicht, dass das Gespräch der beiden Politiker besonders tiefgehend gewesen sei. Trump habe offensichtlich keine Idee, wie ein Waffenstillstand abgesichert werden solle.
Die Ukraine sei in keiner besseren Lage als vor dem Telefongespräch, stimmt ihm der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen zu. "Es gibt keine Äußerung von Putin, dass er irgendetwas aufgeben werde. Ganz im Gegenteil: Er insistiert auf allen seinen Forderungen, er führt seinen Vernichtungskrieg weiter. Er nimmt alle Geschenke, die ihm der amerikanische Präsident permanent macht: Der holt ihn zurück auf die internationale Bühne, er rehabilitiert ihn, er legitimiert ihn, er gibt ihm auch das Attribut, dass er den Frieden will. Trump überhäuft Putin mit Geschenken, die Putin alle annimmt, und gleichzeitig macht er das weiter, was er seit drei Jahren macht: Krieg führen. Und vor allen Dingen hat er auch seine gesamte Großambition, also seine imperialistische Ambition, nicht abgelegt."
Beginn einer Großmachtpolitik
Claudia Major vom "Deutschen Marshall Fund" ist Militärexpertin. Sie stellt fest, Trump sei nicht gewillt, Druck auf seinen russischen Amtskollegen auszuüben: "Er hat enormen Druck auf den ukrainischen Präsidenten ausgeübt, damit Selenskyj eine dreißig-tägige Waffenruhe akzeptiert, und Russland hat vielleicht eine Sektorale, vielleicht nur auf den Energiesektor bezogene Waffenruhe akzeptiert." Zwischen dem, was die Amerikaner gefordert, und dem was sie bekommen haben, lägen Welten. Trump wolle offenbar eine Normalisierung der amerikanisch-russischen Beziehungen anstreben. "Alles andere ist nebensächlich."
Gleichzeitig sieht Major den Beginn einer Großmachtpolitik, in der die Großmächte die Geschicke der anderen lenken würden. Dann seien die kleineren Staaten wie die Ukraine oder die Länder in Europa Verfügungsmasse. "Wir müssen besorgt sein, dass wir bei diesen Debatten überhaupt keine Rolle spielen. Wir Europäer sollen nach US-Ansagen für die Absicherung eines Waffenstillstands die Verantwortung übernehmen. Und das ist etwas, das uns beunruhigen sollte, dass über unsere Köpfe hinweg entschieden wird."
Trump verachte den ukrainischen Präsidenten zutiefst, fügt die ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf hinzu. "Er will der Star sein." Jemanden wie Selenskyj, dem es gelungen sei, die führenden Staatschefs hinter sich zu bringen, könne Trump nicht ausstehen. Außerdem habe Selenskyj Trump widersprochen, was diesem nicht gefalle. Selenskyj wisse jedoch: Er ist in Trumps Händen. Er könne jetzt nur noch gute Miene zum bösen Spiel machen. "Denn ohne die Amerikaner ist die Ukraine kurzfristig verloren."
Was Trump wirklich will
Das wahre Ziel von Trump sei nicht die Ukraine, urteilt Gabriel. "Trump will Europa loswerden. Wir sind für ihn ein Klotz am Bein, wir sind für die Amerikaner unberechenbar, weil wir ganz anders ticken. Wir glauben an Multilateralismus, bei uns haben 27 Staaten die gleichen Rechte, egal, ob sie klein oder groß sind. Das ist genau das Gegenteil des Weltbilds von Donald Trump." Trump werde als nächstes mit dem Versuch beginnen, die Europäische Union zu spalten, befürchtet der SPD-Politiker.
John Bolton war Sicherheitsberater unter dem US-Präsidenten. Er kennt Trump, kann sich in ihn hineinversetzen. Trump lasse sich von Putin über den Tisch ziehen, sagt Bolten. Er wolle eine gute Beziehung zu Putin haben. Trump glaube fest daran, dass Putin den Frieden in der Ukraine wolle. Doch Putin wisse auch, dass er vorsichtig sein müsse und sein Blatt nicht überreizen dürfe, denn sonst könne sich Trump wieder von ihm abwenden. "Das kann immer noch passieren", so Bolton.
Trump habe Freunde. Das seien unter anderem die Staatschefs von Russland, China oder Nordkorea. "Trump sieht die Welt durch ein Prisma, das für ihn vorteilhaft ist." Falsch wäre es, wenn Europa versuchen würde, sich von den USA unabhängiger zu machen, rät Bolton. Das könnte ein Grund für Trump sein, die Nato zu verlassen. Er könne sagen: "Wenn Europa weggehen will, dann geht weg. Und wenn ihr dann von jemandem angegriffen worden seid, sagt uns, wie es geendet hat." Doch Trump müsse sich nicht aus der Nato zurückziehen. Er könne auch das Bündnis vor der Weltöffentlichkeit beschädigen. "Die Lage ist ernst", prognostiziert Bolton.
Einen europäischen Pfeiler in der Nato aufbauen
Europa sollte das Verhältnis zu den USA nicht infrage stellen, sagt auch Röttgen. "Aber wir müssen uns auf alles Mögliche vorbereiten." Das sei die Konsequenz der Politik Donald Trumps. Und Sigmar Gabriel ist sicher: Der mutmaßlich neue Kanzler Friedrich Merz werde genau das tun: Innerhalb der Nato mit den Amerikanern im Gespräch zu bleiben und gleichzeitig mit dafür sorgen, dass die europäischen Nato-Partner ganz eng zusammenarbeiten, um einen europäischen Pfeiler innerhalb der Nato aufzubauen.
"Europa muss sich um seine eigene Sicherheit kümmern", so Röttgen. Das funktioniere nicht ohne den maßgeblichen Beitrag Deutschlands. "Dieses Europa, und zwar jenseits der Institution der EU, braucht eine Koalition der Willigen, ein Format von europäischen Ländern, möglichst breit, die die europäische Sicherheit in die Hand nehmen." Dabei sei das Finanzpaket zur Verteidigung eine richtige Entscheidung. Da sind sich alle Gäste einig. Es begrenze nicht die Summe, die für die Erlangung der "Konfliktfähigkeit" Deutschland zur Verfügung stehe. "Deutschland ist das Powerhaus Europas", fasst es ZDF-Kriegsreporterin Katrin Eigendorf zusammen.
Deswegen sei wichtig, dass eine neue Regierung Vertrauen in der Bevölkerung aufbaue, so die beiden Politiker in der Runde. "Wir müssen das schaffen", sagt Röttgen. Und Gabriel: "Wenn wir es nicht schaffen, dann sind wir genau eine Wahl hinter Trump."
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke