Der Vorstandvorsitzende des größten Audi-Clubs der Welt lebt in Thüringen. Dorthin fährt man über die deutsche Fachwerkstraße. Die Frühlingssonne lässt alles in starken Farben leuchten. Die Wiesen. Die Wälder. Die Flüsse. Und die Menschen. In Bad Liebenstein öffnet Marco Brenn, 44, von Beruf Werber die Tür. Er lebt schon immer hier. Den Gast bittet er zum Küchentisch.

Brenn schaut neugierig und fröhlich durch seine Brillengläser. Er trägt einen grau-melierten Strickpullover mit Reißverschluss. „Audi Club International Deutschland“ steht auf der einen Seite der Brust, auf der anderen sind die vier Ringe Audis zu sehen, die für die vier Ur-Automarken Audi, DKW, Horch und Wanderer stehen. Seit 2010 ist Brenn im Audi Club International Deutschland, seit sechs Jahren steht er an dessen Spitze.

Die Begeisterung für Audi kam mit der Wende. Brenns Vater, der in der DDR Einkäufer bei einer Kurklinik war, arbeitete in einem Autohaus, das VWs und Audis verkauft. „Audi war aber nicht erschwinglich für uns“, sagt Brenn. „Wir waren eine VW-Familie. Audi war für mich immer ,next level’.“ Auf der ersten Automesse, die er mit seinem Vater besuchte, sah er einen roten Audi 80 B4 Avant 2.6 Liter Quattro. In diesem Moment wurde er Brenns Traumauto.

In den Garagen in und um sein Haus stehen heute sechs Fahrzeuge. In der Garage am Haus ein 2023er RSQ3 F3, in einer separaten Neubaugarage mit Werkstattgrube ein 2025er SQ6 GF E-tron, ein 2008erS6 4F V10, ein 1986er 80 B2 Coupé Quattro, ein 1994er Audi 80 B4 Competition und natürlich auch das Modell, dass er damals auf der Automesse sah. Man kann sich mit Brenn genauso gut über die Schönheit der ehemaligen Sonderfarbe „Turboblau“ wie über die Parkplatzsuche im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg unterhalten.

Der Clubchef hat ein differenziertes Bild – von deutschen und internationalen Autos, von Verbrenner- und Elektro-Motoren. Er sagt: „Es gibt viele Missverständnisse und Fehlurteile in Bezug auf E-Autos. Die Mehrzahl kommt damit zurecht. Ein Vertriebsmitarbeiter der täglich zehn Stunden unterwegs ist, wahrscheinlich nicht. Aber ein Handwerker kauft sich auch kein Cabrio als Arbeitsfahrzeug.“ Brenn selbst besitzt ja neben fünf Verbrennern mit dem E-tron auch ein Elektroauto.

Für Brenn gibt es viele Gründe für die Absatzkrise und die immer häufiger verkündeten Entlassungen in der Automobilindustrie. Die deutsche Politik hält er für zu sprunghaft. „Sie hat zu wenige Leitlinien und wechselt sie zu oft. Bei der Förderung von E-Autos weiß doch keiner mehr, ob die noch gilt, für wen oder wie viel. Dazu stelle ich infrage, ob diese Subventionen sinnvoll sind. Richtig aber ist: Der Markt muss stimuliert und die Akzeptanz der Elektromobilität erhöht werden.“ Ein weiteres Problem, sagt er, seien die Belastungen für die Industrie. „Energiekosten und Lohnnebenkosten sind zu hoch. Dazu können Unternehmen, die weltweit Produkte verkaufen, sich auch ihren Standort weltweit aussuchen. Da muss Deutschland wieder attraktiv werden.“

Obendrein ist da noch das Vorbeiproduzieren an den Bedürfnissen des Markts: „Deutsche Autobauer haben einen starken Fokus auf Amerika und China. Aber die Produkte waren in letzter Zeit nicht gut genug, und zu teuer. Dazu produziert China jetzt konkurrenzfähig zu deutlich besseren Preisen. Die Ressource Mensch hat dort einen anderen Wert. Ein Bandmitarbeiter in China kostet nichts im Vergleich zu einem von Audi, BMW oder Mercedes.“

Auch habe die Produktqualität gelitten: nicht funktionierende Apps, falsch programmierte Software. Aber auch die mangelnde Wertigkeit der Materialien ist Thema des Gesprächs. „Der Hang im Innenraum zum Plastik sehe ich kritisch. Die Materialanmutung und das Gefühl passen häufig nicht zu Preis und angestrebter Wirkung. Audi hat im Innenraum schon nachgelassen. Und das sage ich als Audi-Fanboy.“

Dabei interessieren ihn auch die Konkurrenzhersteller. „Ich finde auch andere Autos schön und schaue sie gerne an, aber kaufen würde ich keins.“ Brenn sagt weiter: „BMW ist technisch auf der Höhe der Zeit. Mercedes ist nach wie vor solide. Audis Design ist gut, und in den letzten Jahren wird es auch immer besser. Aber sie brauchen dringend wieder Vorsprung durch Technik.“

Während des Gesprächs kommt die Schwiegermutter hinein. Der Reporter hat ihre Garageneinfahrt versperrt. Sie muss zu einem Termin, mit ihrem BMW. Die ganze Familie konnte Brenn von seiner favorisierten Marke also noch nicht überzeugen. Aber zumindest bei der Farbe hat sich die Schwiegermutter anstecken lassen. Ihr Wagen hat ein Blau, das verdächtig in Richtung „Turboblau“ geht.

Zurück zum Thema. Das Automobil erlebt, vor allem in europäischen Großstadtmilieus, einen Bedeutungswechsel. Da reden Leute von „motorisierter Gewalt“ oder diktieren Magazin-Reporterinnen Sätze wie: „Das Auto ist ein Werkzeug, um das Patriarchat am Leben zu halten.“ Wirklich, das stand gerade genauso im „Spiegel“. Was ziemlich lustig aber vor allem geschichtsvergessen ist.

Denn die erste lange Ausfahrt eines Automobils in der Geschichte der Menschheit wurde von einer Frau, namentlich Bertha Benz, und ihren Söhnen unternommen. Sie tat es heimlich und selbstermächtigt. Ihr Mann wusste nichts davon. Die Fahrt kann man als Beginn des Siegeszugs des Autos sehen. Und das ist bis heute nicht nur ein Symbol für individuelle Reisefreiheit, sondern auch allgemein für die Freiheit der Frau.

Als Jaguar im Jahr 2024 eine neue Kampagne für ein neues Auto vorstellte und darin bunt gekleidete, geschlechtlich nicht ganz eindeutige Menschen zeigte, wurde das von vielen als „woke“ verspottet. Aber in Wahrheit setzte Jaguar nur die in Deutschland begründete Emanzipation aller Gesellschaftsgruppen fort. Brenn sagt darüber: „Ich glaube schon, dass Werbungen mit queeren Personen funktionieren. Autos müssen die Gesamtgesellschaft ansprechen.“

Dass sie das weiterhin tun, ist für den Enthusiasten Brenn klar. „Dass Menschen in bestimmten Bezirken Berlins Autos aber ablehnen, kann ich verstehen. Mich würde das auch stressen, da parken zu müssen. In der Stadt ist das Auto, auch das eigene, ein Nervfaktor. Auf dem Land kannst du ohne nicht leben. Das Auto ist und bleibt in Deutschland und Europa unersetzbar.“ Den Beweis dafür liefert dem Thüringer die eigene Erfahrung. 25 Minuten braucht er mit dem Auto zu seiner Firma in der Nähe seines Wohnortes. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln würde es drei Stunden dauern.

Frédéric Schwilden ist Autor im Politik-Ressort. Er interviewt und besucht Dorf-Bürgermeister, Gewerkschafter, Transfrauen, Techno-DJs, Erotik-Models und Ministerpräsidenten. Er geht auf Parteitage, Start-up-Konferenzen und Oldtimer-Treffen. Sein Roman „Toxic Man“ ist im Piper-Verlag erschienen.

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