Für Montag war die Deadline angesetzt: Die 16 Arbeitsgruppen der Fachpolitiker von CDU, CSU und SPD haben Papiere angefertigt, anhand derer nun die Spitzengruppen der drei Parteien weiter über die Bildung der nächsten Regierungskoalition beraten sollen. Die Papiere haben ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden.

Steuern

Union und SPD nehmen sich eine Reform der Einkommenssteuer vor. Dadurch soll die „arbeitende Mitte“ entlastet werden, wie es im Papier der Arbeitsgruppe für Haushalt, Steuern und Finanzen heißt, das die Plattform „Frag den Staat“ veröffentlicht hat. Einig sind sich die Verhandler bisher nur, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent schrittweise erst ab einem Einkommen von 80.000 Euro gelten soll.

Gerade die SPD pocht aber auf Steuererhöhungen für Spitzenverdiener. Als Rot im Papier eingetragen sind die Forderungen der Sozialdemokraten, denen die Union nicht zustimmt:

Der Spitzensteuersatz soll ab einem Einkommen von 83.600 Euro von 42 Prozent auf 47 Prozent erhöht werden.

Die Reichensteuer soll von bisher 45 auf 49 Prozent steigen (gilt ab einem Einkommen von 287.000 Euro im Jahr bei einem Single).

Der Abgeltungssteuersatz auf private Kapitaleinkünfte (Aktiengewinne und -dividenden, Sparzinsen) soll von 25 auf 30 Prozent erhöht werden. „Einkünfte aus Kryptowährungen besteuern wir wie Kapitaleinkünfte“, heißt es.

Hinzu kommt: „Wir werden die Vermögensteuer für große Vermögen revitalisieren.“ Diese Steuer will die SPD also wieder einführen.

Die Immobiliensteuer soll ausgeweitet werden. Im Papier heißt es dazu: „Veräußerungsgewinne aus dem Verkauf nicht selbstgenutzter privater Immobilien werden auch nach Ablauf der Spekulationsfrist von 10 Jahren besteuert.“

Sozialpolitik

Union und SPD wollen bei der Festlegung des Bürgergeldes zum alten Verfahren zurückkehren, bei dem sich Preissteigerungen erst nachträglich in der Höhe der Unterstützung auswirken. Darauf verständigten sich die Experten von CDU, CSU und SPD bei den laufenden Koalitionsverhandlungen. Die monatlichen Zahlungen zum Lebensunterhalt im Bürgergeld waren zuletzt stark gestiegen, um 53 Euro im Jahr 2023 und 61 Euro 2024. Für 2025 gab es keine Erhöhung. Ob auch eine Kürzung möglich sein soll, wird nicht erwähnt. Auch für 2026 wird eine Nullrunde im Bürgergeld erwartet. Union und SPD wollen das Bürgergeld „zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende“ umgestalten. Sanktionen sollen verschärft und schneller und einfacher durchgesetzt werden können. Die Zuverdienstregeln sollen reformiert werden.

An vielen Stellen werden in dem Papier strittige Punkte deutlich, etwa ob es bei einem „Familienbudget für Alltagshelfer“ um Steuervorteile oder Zuschüsse gehen soll. Die SPD möchte, dass die im Sondierungspapier getroffene Aussage, dass ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar sei, durch den Zusatz ergänzt wird „und soll umgesetzt werden“. Die im Sondierungspapier vereinbarte „Sicherung des Rentenniveaus“ will die SPD mit „dauerhaft bei 48 Prozent“ präzisieren.

Die Finanzierung der höheren Mütterrente für vor 1992 geborene Kinder bleibt offen. Die SPD fordert eine Finanzierung aus Steuermitteln. Die Rentenversicherung schätzt die zusätzlichen Kosten auf jährlich etwa fünf Milliarden Euro.

Migrationspolitik

Die Fachpolitiker einigen sich auf weitgehende Schritte zur Begrenzung der Migration – doch entscheidende Fragen sind noch ungelöst. In dem Papier, das WELT vorliegt, heißt es etwa, dass das Ziel einer Begrenzung der Migration wieder in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen werden soll.

Als Formulierung bei dem umstrittenen Thema Zurückweisungen schlagen die Fachpolitiker vor: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren.“ Dabei sind sich Union und SPD nicht einig, was „in Abstimmung“ mit den Nachbarn bedeutet.

Die Kontrollen an allen deutschen Grenzen sollten bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz und der Erfüllung der bestehenden Dublin- und GEAS-Regelungen durch die Europäische Gemeinschaft fortgesetzt werden.

Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten soll erweitert werden. „Wir beginnen mit der Einstufung von Algerien, Indien, Marokko und Tunesien“, heißt es. Der Familiennachzug soll für zwei Jahre ausgesetzt werden.

Zur Begrenzung sollen auch freiwillige Bundesaufnahmeprogramme „soweit wie möglich“ beendet und keine neuen Programme aufgelegt werden. „Wir setzen den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten befristet für zwei Jahre aus. Härtefälle bleiben hiervon unberührt.“ Zudem sollen mehr Migrationsabkommen abgeschlossen werden.

Außen- und Sicherheitspolitik

Deutschland soll als zentrale Nato-Drehscheibe ausgebaut und die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte „kurzfristig, nachdrücklich und nachhaltig“ erhöht werden. Das Papier ist geprägt vom Plädoyer für eine sehr viel robustere deutsche Außen- und Verteidigungspolitik, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Russland wird als „größte und direkteste Bedrohung“ bezeichnet, China als systemischer Rivale.

Ausdrücklich bekennen sich die Außen- und Sicherheitspolitiker von CDU, CSU und SPD zu dem Bündnis mit den USA. „Die Beziehungen zu den USA bleiben von überragender Bedeutung“, heißt es in dem Papier. Man wolle auch an der nuklearen Teilhabe mit den USA festhalten. Dennoch soll die europäische Außen- und Sicherheitspolitik ausgebaut werden, auch durch engere Beziehungen zu Ländern wie Großbritannien und der Türkei. Bei der Türkei wird aber ausdrücklich die Verbesserung der demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Situation angemahnt. Mit den Schwellen- und Entwicklungsländern wolle man ein globales Netzwerk ausbauen und eine neue „Nord-Süd-Kommission“ gründen.

Sowohl der Ukraine als auch Israel wird die Unterstützung versichert. „Dazu gehören auch materielle und politische Sicherheitsgarantien für eine souveräne Ukraine“, heißt es, ohne dass Details genannt werden. Explizit nicht genannt wird die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Die Union hatte das vor der Wahl stets gefordert, der scheidende Kanzler dies aber abgelehnt.

Bei der Wehrpflicht konnten sich die Verhandler noch nicht auf eine gemeinsame Position verständigen. Die Union ist für die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht, die SPD lehnt das ab. „Die massive Bedrohungslage gebietet eine glaubwürdige Abschreckung“, zitieren die „RND“-Zeitungen die Unions-Position. „Dazu ist ein konsequenter und rascher Aufwuch unserer Streitkräfte notwendig. Deswegen wird die Aussetzung der Wehrpflicht beendet.“ Die SPD-Linie lautet dagegen: „Der neue Wehrdienst soll auf Freiwilligkeit basieren. Wir werden dazu noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen.“

Alle Verhandler wollen die Investitionen in die Verteidigung bis zum Ende der Legislaturperiode „deutlich und stringent“ steigern. Die Union fordert eine Steigerung „in Richtung 3,5 Prozent des BIP“, also des Bruttoinlandsprodukts; die SPD will die konkrete Höhe hingegen offen lassen. Im vergangenen Jahr betrugen die deutschen Verteidigungsausgaben 2,12 Prozent des BIP, damit erreichte die Bundesrepublik zum ersten Mal das Zwei-Prozent-Ziel der Nato.

Beim Bundesentwicklungsministerium (BMZ) liegen die Positionen weit auseinander – die Union will es abschaffen, die SPD erhalten. CDU/CSU plädieren für „Kohärenz in unserem gesamten Außenhandeln“ und wollen deshalb das BMZ in das Auswärtige Amt integrieren. Dies soll auch Einsparungen ermöglichen.

Verkehrspolitik

Union und SPD planen mittelfristig eine grundlegende Bahn-Reform. Eine Zerschlagung der Deutschen Bahn wird dabei aber nicht ausdrücklich erwähnt, wie Reuters berichtet. Vielmehr soll die gemeinwohlorientierte Infrastruktur-Tochter der Bahn innerhalb des Staatskonzerns weiter entflochten werden. Sowohl beim Bahn-Konzern als auch bei der Tochter DB InfraGO sollen Aufsichtsrat und Vorstand neu aufgestellt werden. Ziel seien schlankere Strukturen und mehr Fachkompetenz.

Im Verkehrsbereich gibt es vergleichsweise wenige strittige Passagen. So konnten sich Union und SPD bisher nicht verständigen, ob es ein Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen geben soll. Die SPD strebt das an, die Union lehnt ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab.

Das Deutschlandticket für den bundesweit zu nutzenden Nahverkehr soll über 2025 hinaus fortgesetzt werden. „Dabei wird der Anteil der Nutzerfinanzierung ab 2027 schrittweise und sozialverträglich erhöht.“ Wie erwartet soll die Finanzierung der Schienen-Infrastruktur auch aus dem 500 Milliarden Euro schweren Sondervermögen kommen, zusätzlich zum Bundeshaushalt und den Trassenentgelten.

Die Arbeitsgruppe Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen spricht sich zudem für Entlastungen im Luftverkehr aus. In einem ersten Schritt solle die Erhöhung der Luftverkehrssteuer aus dem Jahr 2024 zurückgenommen werden. Die über das EU-Maß hinausgehende Quote zur Beimischung von sogenanntem E-Kerosin solle abgeschafft werden.

Es gibt Uneinigkeit über das Aus von Neuwagen mit Verbrennermotor ab 2035. Wie aus einem Papier der Arbeitsgruppe Wirtschaft, Industrie und Tourismus hervorgeht, wollen CDU und CSU die EU-Regelung rückgängig machen, die SPD indes möchte daran festhalten. Nach EU-Vorgaben dürfen ab 2035 nur noch Fahrzeuge neu zugelassen werden, die kein CO₂ ausstoßen. „Das Verbot des Verbrennungsmotors ab 2035 muss rückgängig gemacht werden“, fordert die Union in dem Papier der Arbeitsgruppe. Die SPD indes stehe „zu den Flottengrenzwerten“ und auch dem EU-weiten Ziel, „ab 2035 nur noch Nullemissions-Fahrzeuge zuzulassen“

Klima- und Energiepolitik

Union und SPD wollen das Ziel des Kohleausstiegs bis zum Jahr 2030 aufgeben und streben nun das Jahr 2038 an, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet. In dem Ergebnispapier der Arbeitsgruppe Klima und Energie heißt es demnach: „An den beschlossenen Ausstiegspfaden für die Braunkohleverstromung bis spätestens 2038 halten wir fest.“ Der Zeitplan zur Abschaltung weiterer Kohlekraftwerke müsse sich danach richten, „wie schnell es gelingt, steuerbare Gaskraftwerke tatsächlich zuzubauen“. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grüne und FDP hatte sich 2021 noch ambitioniertere Ziele gesteckt: Das Dreierbündnis wollte den Ausstieg noch „idealerweise auf 2030“ vorziehen.

Noch nicht einig sind sich Union und SPD bei der Atomkraft. CDU und CSU möchten eine „bedeutende Rolle“ der Kernenergie zur Erreichung der Klimaziele festhalten, die SPD hat sich der Forderung nicht angeschlossen. Ebenso möchte die Union „Potenziale konventioneller Gasförderung im Inland nutzen“.

Das Ergebnispapier der Arbeitsgruppe Klima und Energie wird wie die Papiere der anderen Fachgruppen nun auf höherer Ebene in den Koalitionsverhandlungen besprochen. Im Klima- und Energiebereich steht auch das sogenannte Heizungsgesetz zur Disposition – die Union pocht auf eine generelle Abschaffung, die SPD plädiert dafür, das Gesetz zu „novellieren“.

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