US-Außenminister Marco Rubio hat sich besorgt über die Stabilität in der Türkei geäußert. „Wir beobachten das Geschehen. Wir haben unsere Besorgnis zum Ausdruck gebracht“, sagte Rubio am Donnerstag vor Journalisten auf dem Flug von Surinam nach Miami. Washington sehe „eine solche Instabilität in der Regierung eines Landes, das ein so enger Verbündeter ist, nicht gerne“.

Mehr als eine Woche nach der Festnahme des beliebten Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu von der CHP gehen türkische Behörden mit zunehmender Härte gegen Demonstranten vor. Nach Angaben des Innenministeriums wurden seit Beginn der Massenproteste insgesamt 1879 Menschen festgenommen. Die Behörden gegen auch verstärkt gegen Medien vor, die über die Proteste berichten.

Auch ein Anwalt Imamoglus wurde festgenommen. Dies teilte der CHP-Abgeordnete Turan Taskin Özer mit. Özer schrieb in einem Beitrag auf X, dass es sich bei dem Anwalt um Mehmet Pehlivan handle. Dieser habe Imamoglu in der jüngsten Untersuchung verteidigt und sei nun aus erfundenen Gründen inhaftiert worden. Weitere Einzelheiten nannte der CHP-Abgeordnete nicht.

Menschenrechtsorganisationen forderten die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan auf, die Angriffe auf friedliche Demonstranten zu stoppen. In der gemeinsamen Erklärung von Human Rights Watch, Amnesty International und 13 weiteren Organisationen hieß es, man sei alarmiert „über die jüngste Eskalation des staatlichen Vorgehens gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu“.

Die Polizei geht hart gegen Protestierende vor, manchmal brutal. Der für die größte Oppositionspartei aktive Politiker und Jurist Sezgin Tanrikulu warf den Einsatzkräften auch sexuelle Gewalt vor. Genaue Zahlen zu verletzten Demonstranten werden nicht veröffentlicht, die Polizei spricht bloß von mehr als 100 verletzten Beamten.

Tausende protestieren auch am Donnerstag

Derweil rissen auch am Donnerstag die Proteste in verschiedenen Städten des Landes nicht ab. Tausende Menschen demonstrierten Berichten zufolge den neunten Abend in Folge – unter anderem in Izmir, Istanbul und in der Hauptstadt Ankara. Erneut wurden zahlreiche Menschen festgenommen.

Für Samstag hat die türkische Opposition zu einer Groß-Demo in Istanbul aufgerufen. CHP-Chef Özgür Özel sagte, die Proteste würden so lange fortgesetzt, bis eine vorgezogene Präsidentschaftswahl angesetzt oder der mittlerweile abgesetzte Istanbuler Bürgermeister Imamoglu aus dem Gefängnis entlassen werde.

Seit Imamoglus Festnahme am 19. März demonstrieren in der Türkei täglich Zehntausende Menschen größtenteils friedlich gegen die Regierung Erdogans. Die Demonstranten werfen dem Präsidenten vor, den beliebten Oppositionspolitiker Imamoglu mithilfe der Justiz politisch kaltstellen zu wollen. Dem populären Oppositionspolitiker wurden bislang Chancen zugerechnet, Erdogan bei einer nächsten Präsidentschaftswahl schlagen zu können.

Die Menschenrechtsorganisationen beklagten in ihrer Stellungnahme weiter, die Proteste seien mit „ungerechtfertigter und unrechtmäßiger Polizeigewalt beantwortet“ worden. Menschen seien mit Schlagstöcken geschlagen und getreten worden, wenn sie am Boden lagen. Polizisten hätten wahllos Pfefferspray, Tränengas, Plastikgeschosse und Wasserwerfer gegen die Demonstranten eingesetzt, was zu zahlreichen Verletzungen geführt habe.

Pauschale Demonstrationsverbote wie in Istanbul, Ankara, Antalya und Izmir seien unverhältnismäßig und nicht zu rechtfertigen. Medien müsse ermöglicht werden, die Öffentlichkeit mit den notwendigen Informationen zu versorgen und frei von staatlichem Druck über Ereignisse zu berichten, hieß es auch mit Blick auf Repressionen gegen regierungskritische Fernsehsender. Zu den Unterzeichnern der Erklärung zählen auch mehrere Journalistenvereinigungen und die Autorenvereinigung PEN International.

Das Umfrageinstitut Konda teilte über die Plattform X mit, eine Mehrheit der Menschen in der Türkei unterstütze die Proteste gegen die Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters. 21 Prozent der Befragten hielten Protest für gerechtfertigt, 52 Prozent befürworten den Widerstand, solange er die öffentliche Ordnung nicht gefährde. 27 Prozent sprachen sich demnach gegen die Proteste aus.

Nach Einschätzung des Grünen-Politikers Cem Özdemir hat Erdogan nicht damit gerechnet, dass die Verhaftung Imamoglus eine derart heftige Reaktion in der Bevölkerung auslösen würde. „Das Ausmaß der Proteste hat das Regime vermutlich überrascht, weil Erdogan in der Vergangenheit mit seinen Manövern durchgekommen ist“, sagte Özdemir im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.

Der türkischen Regierung stehe eine „zunehmend kritische Zivilgesellschaft gegenüber. Viele Menschen in der Türkei haben Zukunftsängste. Ihnen fehlt die Perspektive im eigenen Land“, sagte Özdemir. Viele hätten Sorgen um die grundsätzliche Ausrichtung des Landes – etwa hinsichtlich der angestrebten EU-Mitgliedschaft. Und auch wirtschaftlich habe die Türkei enorme Probleme.

Im Umgang mit der Türkei fordert Özdemir „Kooperation und Kritik“ zugleich: „Naivität im Umgang mit Autokratien können wir uns nicht mehr leisten. Erdogan ist kein verlässlicher Partner. Kooperation und klare Kritik – wir brauchen beides, sonst machen wir uns unglaubwürdig.“

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