Erdogan ließ bereits die Verfassung ändern, um länger im Amt zu bleiben. 2028 ist dennoch Schluss für ihn - eigentlich. So könnte er Anstalten machen, um noch länger Präsident zu bleiben. Dafür kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht.
In der Türkei wird der Präsident für fünf Jahre gewählt, verfassungsgemäß erlaubt sind zwei Amtszeiten. Recep Tayyip Erdogan, der seit 2014 Präsident ist, dürfte also eigentlich gar nicht mehr im Amt sein, geschweige denn für eine weitere Amtszeit kandidieren. Allerdings führte der Langzeitpräsident kurz vor Beginn seiner zweiten Amtszeit 2018 durch eine Verfassungsänderung ein neues Präsidialsystem in der Türkei ein und argumentiert, damit habe eine neue Zeitrechnung begonnen.
Bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2023 konnte sich Erdogan seine - unter dem neuen System - zweite Amtszeit in einer Stichwahl knapp sichern. Bei der nächsten Wahl im Jahr 2028 wird seine Regierungszeit aber endgültig abgelaufen sein. Der 71-Jährige macht allerdings keinerlei Anstalten, dann auch abzutreten. Es wird spekuliert, dass er auf eine weitere Amtszeit hinarbeitet. Vor diesem Hintergrund erscheint die Inhaftierung des populären Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu als ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass Erdogan 2028 erneut antreten will - unter Ausschluss seines derzeit aussichtsreichsten Rivalen.
Um für eine "dritte" Amtszeit kandidieren zu können, gibt es für Erdogan zwei legale Möglichkeiten: vorgezogene Neuwahlen oder eine Verfassungsänderung. Artikel 116 der türkischen Verfassung besagt, dass ein Präsident nach der zweiten Amtszeit ein drittes Mal kandidieren darf, wenn das Parlament mit einer Dreifünftelmehrheit (360 von 600 Stimmen) vorzeitig Neuwahlen ausruft. Führt der Präsident selbst die Neuwahlen herbei, gilt diese Regelung aber nicht. Für eine Verfassungsänderung hingegen ist eine Zweidrittelmehrheit (400 von 600 Stimmen) im Parlament in Ankara erforderlich.
Für beide Optionen hätte Erdogans Regierungsbündnis aktuell nicht genug Stimmen. Die nationalkonservative AKP hat 272 Sitze im Parlament, der rechtsnationalistische Koalitionspartner MHP 47, zusammen also 319 Stimmen. Erdogan bräuchte für sein Vorhaben also weitere Verbündete. Die linksnationalistische Oppositionspartei CHP, der auch Imamoglu angehört, ist mit 134 Sitzen die zweitstärkste Kraft im Parlament, die pro-kurdische DEM mit 57 Sitzen die drittstärkste.
Bietet Erdogan den Kurden "einen Deal" an?
Der Präsident der Deutsch-Türkischen Gesellschaft, Macit Karaahmetoglu, hält eine Herbeiführung von Neuwahlen mit Unterstützung der Kurden für die einzig realistische Option für Erdogan. "Gemeinsam mit der DEM würde Erdogans Bündnis 376 Stimmen erreichen und damit die nötige Dreifünftelmehrheit", sagt Karaahmetoglu. Um die Kurden zu überzeugen, müsste der amtierende Präsident ihnen "einen Deal anbieten".
Geheime Verhandlungen könnten im Hintergrund bereits laufen - im Herbst war die Regierung Erdogan auf die Kurden zugegangen und hatte unter Vermittlung von DEM-Abgeordneten einen Friedensprozess zwischen dem Staat und der als Terrororganisation eingestuften Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eingeleitet. Aber selbst wenn die DEM vorzeitigen Wahlen zustimmen würde, wäre ein Wahlsieg für Erdogan keinesfalls gesichert. So könnte die CHP einen anderen beliebten Kandidaten ins Rennen schicken, etwa den Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas.
Durch eine Verfassungsänderung könnte Erdogan über die aktuelle Amtszeit hinaus oder sogar auf Lebzeiten Präsident bleiben. Die dafür nötige Zweidrittelmehrheit ist jedoch so gut wie ausgeschlossen. "Selbst wenn die DEM und einige Splitterparteien die Regierungskoalition unterstützen, würden die 400 Stimmen nicht erreicht werden", sagt Karaahmetoglu. Mit einer Dreifünftelmehrheit könnte Erdogan lediglich ein Referendum über eine Verfassungsänderung einleiten, wie dies auch bei der Verfassungsänderung 2017 der Fall war. Zum jetzigen Zeitpunkt allerdings könnte eine solche Volksbefragung für ihn schlecht ausgehen.
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