In der Türkei sehen nach Einschätzung der CDU-Politikerin Serap Güler selbst Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan die Verhaftung von dessen Rivalen Ekrem Imamoglu kritisch. „Erdogan hat dieses Mal den Bogen überspannt. Auch in seiner eigenen Wählerschaft wird durchaus kritisiert, wie man hier den stärksten Oppositionspolitiker aus dem Weg schaffen will“, sagte Serap Güler in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.

Früher hätten seine Unterstützer den türkischen Langzeitpräsidenten grundsätzlich verteidigt und seine umstrittenen Handlungen relativiert. Nach der Verhaftung des mittlerweile abgesetzten Istanbuler Bürgermeisters stelle sich in der Bevölkerung allerdings kaum jemand entschlossen hinter ihn. „Dazu war Imamoglu auch bei der konservativen Wählerschaft Erdogans einfach zu beliebt“, sagte die Bundestagsabgeordnete mit türkischen Wurzeln.

Die derzeitigen Demonstrationen würden vermutlich nicht allein von der Opposition getragen. In Berichten über die Proteste in türkischen Medien „kommen immer wieder Menschen zu Wort die sagen: 'Ich habe die AKP gewählt. Ich habe Erdogan gewählt. Aber das geht jetzt zu weit'“, sagte Güler. Die Massenproteste sind nach ihren Worten beispiellos: „Proteste in Istanbul – das verwundert keinen. Aber Proteste in konservativen AKP-Hochburgen wie den Schwarzmeerstädten Trabzon und Rize – das ist etwas, womit wohl niemand gerechnet hat.“

Erdogan organisiert keine Busse mit seinen Anhängern

„Fast 2000 Menschen wurden bisher festgenommen, dennoch reißen die Proteste nicht ab. Und viele Menschen gehen davon aus, dass die Demonstrationen nach dem Ende des Ramadan am Sonntag noch weiter zunehmen werden“, sagte Güler.

In der Vergangenheit organisierte Erdogan, etwa vor Wahlen, selbst große Kundgebungen für sich und seine Partei. Mit Bussen wurden Anhänger dafür in die großen Städte gefahren. So etwas ist derzeit nicht zu beobachten.

„Erdogan fährt aktuell die Strategie, dass die Proteste unter seiner Würde sind, und dass sich die Justiz damit beschäftigen muss. Er hat die Lage bisher ja auch kaum kommentiert“, sagte Güler. Würde Erdogan nun die Menschen zu Gegendemonstrationen mobilisieren, „würde er ja eingestehen, dass es sich doch um eine parteipolitische Angelegenheit handelt“.

Imamoglu wird von der Justiz vorgeworfen, bei Ausschreibungen der Istanbuler Stadtverwaltung korrupte Praktiken angewendet zu haben. Die Opposition spricht von einem „Putsch“ und nennt die Verhaftung allein politisch motiviert.

Gibt es bald eine Neuwahl des Präsidenten?

Auch die Deutschland lebenden Türken spaltet die Verhaftung Imamoglus nach Gülers Einschätzung. In der deutsch-türkischen Gemeinschaft „werden die Vorfälle in der Türkei intensiv diskutiert. Vielen geht das sehr, sehr nah. Ich kenne niemanden, der sagt, das interessiert mich nicht.“

Unter den Deutschtürken, von denen bekanntermaßen viele Erdogan-Unterstützer sind, gebe es Menschen, „die seine Taten relativieren und mit Blick auf Imamoglu sagen: 'Von nichts kommt nichts'“. Gleichzeitig gebe es auch viele, die – so wie am vergangenen Wochenende in Berlin – auf die Straße gingen, um ihren Unmut zu zeigen und Solidarität mit den Menschen in der Türkei zu bekunden.

Im internationalen Umgang mit der Türkei warnte Güler vor öffentlichen Maßregelungen: „Kritik aus dem Ausland setzt Erdogan gegenüber seiner eigenen Anhängerschaft unter Druck, nicht nachzugeben.“ Dies sei nicht im Sinne der Menschen, die für die Demokratie auf die Straße gehen. „Deshalb sind Gespräche hinter verschlossenen Türen nötig.“

Für die Zukunft wagt Güler keine Prognose. Dass die nächste Präsidentschaftswahl wie eigentlich vorgesehen erst 2028 stattfindet, davon „geht in der Türkei fast niemand mehr aus“, sagt sie. Es werde mit großer Wahrscheinlichkeit vorgezogene Neuwahlen geben. Alles andere sei komplett offen.

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