Im mit US-Flaggen dekorierten Rosengarten saßen am Mittwochnachmittag Menschen in der ersten Reihe, denen Donald Trump seine zweite Amtszeit verdankt. Gewerkschafter und Mitarbeiter von großen Autobauern waren als Ehrengäste geladen. Sie sollten Zeugen eines historischen Moments werden, in dem nach Meinung von Wirtschaftsexperten das seit dem Zweiten Weltkrieg entstandene globale Handelssystem vom 47. US-Präsidenten aus den Angeln gehoben wurde. Zweifellos hat Trump die Weltwirtschaft mit einem Federstreich in eine Zeit großer Unsicherheit gestürzt.
Als einen „der wichtigsten Tage in der amerikanischen Geschichte“ bezeichnete Trump seine Ankündigung. Die von ihm verkündete Zollpolitik bedeute nichts anderes „als unsere ökonomische Unabhängigkeitserklärung“. Die Verantwortung für diesen Schritt gab der Republikaner „jenen Ländern, die uns geplündert, gebrandschatzt und vergewaltigt haben“. Sein Land habe keine Lust mehr, die Defizite und Vereidigung anderer zu bezahlen. Jetzt gelte endlich „America First“.
Ein „Basiszoll“ von zehn Prozent wird kommenden Samstag in Kraft treten. Die individuellen Zölle – für Deutschland und die Europäische Union sind es 20 Prozent – am Donnerstag kommender Woche. Die von Trump bereits angekündigten 25 Prozent auf Autos und Autoteile traten in der Nacht zum heutigen Donnerstag in Kraft.
Niemand kann Trump vorwerfen, er halte sein Wort nicht. Im Wahlkampf hatte der 78-Jährige das Verhängen von Strafzöllen fest versprochen. Das Wort „Zoll”, so erklärte er mehrfach, sei für ihn noch schöner als die Wörter „Liebe” und „Familie”. Schon vor vier Jahrzehnten, so Trump, habe er Reden gehalten, in denen er die „Abzocke” der USA durch die eigenen Handelspartner kritisiert habe.
Auf einem großen Poster präsentierte der US-Präsident lange Reihen mit den Namen von Ländern. In einer Spalte daneben stand, in welcher Höhe diese Staaten angeblich Zölle auf Importe aus den USA verhängen, und in einer weiteren Spalte, welchen „reduzierten” Zoll Trump ihnen im Gegenzug aufbrummt. Gleich an zweiter Stelle stand die Europäische Union, die dem Weißen Haus zufolge – „einschließlich durch Währungsmanipulation und Handelsbarrieren” – durchschnittlich 37 Prozent auf US-Waren draufschlage. Nun bekommen die Europäer reziprok 20 Prozent auf alles, was sie über den Atlantik verkaufen. Handelsexperten in Brüssel halten Trumps Angaben für falsch oder für sehr schwer nachvollziehbar.
Wie den EU-Mitgliedern ergeht es rund 60 weiteren Ländern. China, größter militärischer und wirtschaftlicher Herausforderer der USA, bekam 34 Prozent, manche Staaten wie Kambodscha oder Vietnam sogar mehr als 90 Prozent Zoll verhängt.
Die Regierungen werden nun versuchen, in Washington zu verhandeln. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll am Donnerstagvormittag eine Stellungnahme abgeben. Es wird erwartet, dass Brüssel Vergeltung androht, aber zunächst auf eine Verhandlungslösung setzt.
Trump ist überzeugt, dass der von ihm ausgelöste Handelskrieg Amerika reich machen wird. Internationale Firmen werden sich aus seiner Sicht in den USA ansiedeln, um ihre Produkte zollfrei verkaufen zu können. „Jobs und Fabriken werden mit Gebrüll zurückkommen“, sagt Trump voraus. Viele Wirtschaftsexperten sehen das anders.
Finden die betroffenen Länder keine schnellen Einigungen mit Washington und reagieren mit Gegenzöllen, wird das in erster Linie Amerikas Verbraucher treffen. Zudem werden in den USA ansässige Firmen den Ausfall ausländischer Konkurrent nutzen, um ihre Preise anzuheben. Es steht zu bezweifeln, dass die „America First”-Anhänger vor dem ersten großen politischen Test, den Zwischenwahlen im November 2026, die Früchte von Trumps Zollpolitik ernten.
Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel.
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