Ex-Bundesaußenminister Joschka Fischer warnt bei "Caren Miosga" vor Trump und Russland - und nennt den Grund, warum er den Wehrdienst verweigerte. In der Sendung entsteht ein düsteres Bild, in dem Deutschland für den Kriegsfall erst in "100 Jahren verteidigungsfähig" ist.

Joschka Fischer wirkt müde. Der ehemalige Bundesaußenminister spricht langsam und kraftlos, als er am Sonntagabend in der ARD-Politshow "Caren Miosga" zu Russlands Krieg in der Ukraine, den Rekord-Zöllen der USA und der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands Rede und Antwort steht. Es zehrt sichtlich an ihm, was derzeit in der Welt passiert.

Nur beim Thema Europa flackert ein alter, beinahe erloschen scheinender Funken in den Augen des 77-Jährigen auf, der für die Grünen von 1998 bis 2005 unter Gerhard Schröder Vizekanzler war. "Donald Trump zerstört mutwillig die Welt, in die ich hineingeboren bin", sagt Fischer über den US-Präsidenten, der die Vereinigten Staaten in eine "Oligarchie" führe und die alte Macht des Westens beerdigt habe. "Europa muss zur Kenntnis nehmen, dass wir allein sind, und nur noch auf die eigene Stärke vertrauen", warnt er. Es gehe um drei Dinge: "Europa, Europa, Europa. Was denn sonst? Jetzt oder nie!"

Die ARD-Runde will ergründen, wie Deutschland sich für Krieg und Abschreckung rüsten kann, um den Frieden zu sichern. Zunächst ist aber Fischer dran mit einer Bewertung der derzeitigen Weltlage. Er stimmt seinem Vizekanzler-Nachfolger Robert Habeck zu, dass der Handelskrieg Trumps "noch weitgehendere Folgen" als der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben könnte: "Die Destabilisierung der Weltwirtschaft und des Welthandels wird uns alle schwer treffen."

Europa hat nur als Ganzes eine Chance

Trumps Umgang mit Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus? "Ein Vertrauensbruch, wie man ihn sich schlimmer nicht vorstellen kann. Ein offener Verrat am Kampf der Ukraine für Demokratie und die eigene Souveränität." Wie sollte ein Kanzler Friedrich Merz mit dem US-Präsidenten umgehen? "Mit Geschmeidigkeit, aber nicht mit Unterwürfigkeit. Ich beneide Merz nicht um diese Reise zu Trump. Ich wünsche ihm trotzdem alles Gute." Muss die EU sich die Beschimpfungen der Trump-Administration gefallen lassen? "Who cares?" Wen kümmert's. Entscheidend sind laut Fischer die Konsequenzen und die heißen: Europa stärken.

Der ehemalige Außenminister meint damit, dass die europäischen Staaten für sich zu klein sind, um der russischen Bedrohung und anderen derzeitigen Herausforderungen gerecht werden zu können. Es sei nicht so, dass er mit einem "militärgestützten Hurrapatriotismus umherschwenken" wolle, aber Putin zwinge Deutschland und Europa dazu, Abschreckung zu ermöglichen. Und nur gemeinsam habe Europa in der "sehr chaotischen Welt", in der die USA nun als Ordnungskraft ausfallen zu drohen, eine Chance. Es werde "sehr schwer", denn es werde sich "niemand anders um uns kümmern".

"Perspektivisch braucht es die europäische Armee", nennt Fischer einen konkreten Schritt für die Zukunft. So schnell wie möglich sollte man mit besserer Koordination der nationalen Armeen und etwa gemeinsamen Stäben beginnen. Auch die Rückkehr zur Wehrpflicht in Deutschland unterstützt er, wenngleich er es sich "nicht hätte erträumen können, dass ich mal im Öffentlich-Rechtlichen sitze und für Wehrpflicht eintrete". Der ehemalige Spitzenpolitiker gibt aber auch zu, dass er mit 77 Jahren nicht der Richtige für diese Debatte ist.

Jana Puglierin, Sicherheitsexpertin vom European Council on Foreign Relations (Fischer war dort Gründungsmitglied) weist diesbezüglich darauf hin, dass laut jüngsten Umfragen junge Leute weitaus weniger begeistert von der Wehrpflicht sind. Würde sie nach der Aussetzung 2011 im ursprünglichen Gewand wiedereingeführt werden, so wie es die Union vorhat, wäre das durchaus risikoreich und würde zu Klagen vor dem Verfassungsgericht führen.

Die Expertin plädiert für ein Pflichtjahr für alle Deutschen, denn man müsse "Verteidigung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe" lesen. Es ginge nicht nur um das Militär, sondern auch um Sanitärkräfte und zivile Aufgaben, etwa bei Cyber-Angriffen auf die Stromversorgung. Außerdem sei eine "Wehrpflicht keine kurzfristige Lösung für die grundlegenden Probleme der Bundeswehr", sagt Puglierin. Man müsse die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver machen und für bessere Ausbildung, Besoldung und Arbeitsbedingungen sorgen, wofür nun schließlich genug Geld vorhanden sei.

Wehrpflicht? Erst in 15 Jahren wirksam

Auch Hauke Friederichs findet die "Bundeswehr wahnsinnig unattraktiv und geprägt von zahlreichen Baustellen". Dem Journalisten zufolge ist die Diskussion um die Wehrpflicht "eine Scheindebatte" - helfen würde sie ohnehin erst in 15 Jahren. In Deutschland gäbe es noch immer keine Reform zur Anschaffung von Waffensystemen, in der kommenden Legislaturperiode müsse die neue Regierung das neue Geld gut investieren und an "unangenehme Fragen" konkret herangehen: "Sonst dauert es 100 Jahre, bis wir verteidigungsfähig sind. Das ist nicht übertrieben."

Deutschland hat momentan knapp 182.000 Soldaten. Laut Friederichs bräuchte man bei einem konventionellen Angriff Russlands alle 900.000 Reservisten, aber an diese komme die Bundeswehr überhaupt nicht heran. Die Munition reiche je nach Waffensystem, von denen es viel zu wenig gebe, "nur für wenige Tage". Abwehr gegen Drohnen besitze Deutschland auch nicht. "Blanker als blank trifft es", urteilt der Journalist zu den Verteidigungsmöglichkeiten. Außerdem seien wir "blind" ohne die Geheimdienste der USA.

"Wir sind von den amerikanischen Streitkräften und der Unterstützung in den nächsten fünf bis zehn Jahren immer noch fundamental abhängig", erklärt auch Puglierin. Die Sicherheitsexpertin warnt bezüglich einer Friedensmission mit europäischen Truppen in der Ukraine. Es sei weder klar, was diese erreichen und leisten solle, noch wie sich die USA zu dieser Mission verhalten würden. Wenn die US-Amerikaner sich komplett heraushalten würden, keine Geheimdienstinformationen und Luftunterstützung lieferten, würden viele Europäer nicht mitmachen.

"Wenn Putin europäische Soldaten angreift, schlagen wir dann zurück und gehen in einen Krieg mit Russland?", stellt Puglierin die Frage für den Ernstfall. Moskau würde diesen Schritt durchaus wagen, glaubt der lange schweigsam zuhörende Fischer. "Wenn Putin das testet, dann wäre das das Ende der NATO. Für Putin wäre das ein Himmelsgeschenk", sagt er.

Was also tun, Deutschland? Die Runde bei "Caren Miosga" setzt trotz der schwierigen Zeiten auf Zuversicht, auf die Macht der Gemeinsamkeit und auf neue Bündnisse in Europa auch abseits der EU, etwa mit Großbritannien und Norwegen.

Eine Anekdote gibt Joschka Fischer dann noch preis. Vor vielen Jahren musste er als Heranwachsender zur Musterung. Der heute für die Wehrpflicht eintretende Grüne will damals nicht zur Bundeswehr und wird in die Ersatzreserve 2 ausgemustert. Warum eigentlich, möchte Talkmasterin Miosga wissen. "Schlechte Augen." Es ist der einzige Lacher in der Sendung.

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