Natürlich sei es ein humanitäres Desaster, sagt Anna Biloshapka frustriert. „Nehmen wir nur die Menschen, die in Frontnähe leben und denen wir keine Lebensmittel und medizinische Hilfe mehr liefern können, und die ohne unsere Schutzräume vielleicht getötet werden.“ Die 25-Jährige arbeitet für die gemeinnützige Stiftung SpivDiia, die wie viele andere Organisationen in der Ukraine von der Streichung amerikanischer Hilfsgelder durch die neue US-Regierung betroffen ist.
SpivDiia, was übersetzt „Zusammenarbeit“ bedeutet, entstand als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg 2022. „Man musste einfach helfen“, sagt die junge Managerin. Seitdem hat die unabhängige Stiftung über zwei Millionen Pakete mit Nahrungs- und Hygieneartikel verteilt sowie mehr als 10.000 Erwachsene und 100.000 Kinder psychologisch betreut.
„Uns fehlen dieses Jahr 200.000 Dollar aus den USA, was ausgerechnet unseren psychologischen Service für Vertriebene und vulnerable Jugendliche trifft“, sagt Biloshapka. Sie weiß noch nicht, wie sie die Finanzlücke schließen soll – aber einfach aufgeben kommt für sie nicht infrage. „Wir versuchen, kleinere Beträge zu beschaffen, damit wir Schritt für Schritt vorgehen können und die Programme nicht einstellen müssen.“
Neue Geldgeber zu finden ist jedoch schwierig. „Es sind so viele, die in der gleichen Situation sind wie wir, und oft auch noch schlimmer“, erklärt Biloshapka. „Alle sind händeringend auf der Suche nach Sponsoren. Die Ersatztöpfe sind begrenzt, insbesondere was Zuschüsse aus Brüssel betrifft.“
US-Präsident Donald Trump hatte mit einem Federstrich gleich zu Beginn seiner Amtszeit Auslandshilfen für 90 Tage ausgesetzt. Im Zuge seines Dekrets erfolgte dann die Abwicklung von USAID, der Behörde für internationale Entwicklung. 83 Prozent der Programme wurden gestrichen und mehr als die Hälfte der ursprünglich 10.000 Mitarbeiter gekündigt.
Die Trump-Regierung will es dabei aber nicht belassen. Außenminister Marco Rubio hat vor wenigen Tagen angekündigt, USAID bis zum 1. Juli komplett aufzulösen – obwohl dies mit verheerenden Auswirkungen verbunden ist, wie Experten warnen. Schließlich leisten die USA über 40 Prozent der internationalen humanitären Hilfe, wofür sie etwa ein Prozent ihres Haushalts ausgeben.
Es wird prognostiziert, dass das Ende der Hilfeleistungen weltweit zu einem Anstieg der Krankheits- und Todesraten führt, vor allem bei Fällen von HIV, Tuberkulose, Malaria oder Kinderlähmung. Die USA verlieren mit der Auflösung von USAID aber auch ein wichtiges außenpolitisches Instrument.
Denn die Entwicklungsbehörde unterstützte in mehr als 50 Ländern nicht allein medizinische Projekte. Mit lokalen Partnerorganisationen versuchte man, Armut einzudämmen, den Wiederaufbau nach Katastrophen voranzutreiben und die Wirtschaft zu stärken. Ein Schwerpunkt war zudem die Förderung von demokratischen Institutionen, unabhängigen Medien und der Zivilgesellschaft.
Kürzungen betreffen hunderte Organisationen
Für die Ukraine ist der Verlust der US-Zuschüsse mitten im Krieg ein herber Schlag. Ukrainischen Medienberichten zufolge hat USAID seit Beginn der russischen Invasion insgesamt 2,6 Milliarden Dollar an humanitärer Hilfe und fünf Milliarden an Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt.
Hinzu kamen 30 Milliarden Dollar als direkte Budgethilfe für den Staat. Der konnte damit etwa den Wiederaufbau der von Russland zerstörten Schulen und Energieanlagen sowie medizinische Ausrüstung für Krankenhäuser finanzieren. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Zuwendungen auf 6,05 Milliarden Dollar, darunter 3,9 Milliarden Dollar für den Staatshaushalt.
Die Finanzmittel flossen in fünf Schlüsselbereiche: Demokratie und Menschenrechte, Wirtschaftsentwicklung, kritische Infrastruktur, Gesundheitswesen und humanitäre Hilfe. Vom Ausbleiben der Finanzhilfen sind hunderte von Organisationen in der gesamten Ukraine betroffen. Tausende von Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, ohne kurzfristig einen Ersatz zu finden.
Es geht um ein breites gesellschaftliches Spektrum, das die Vereine, Initiativen, Stiftungen, Wohltätigkeitsorganisationen und staatliche Einrichtungen abdeckten. Die einen waren spezialisiert auf Cybersecurity und digitale Transformation, andere bekämpften Korruption oder unterstützen das Engagement der Bürger und effiziente Regierungsführung.
Organisationen sorgten dafür, dass Ortschaften Strom bekamen, wenn die Elektrizität aufgrund russischer Raketenangriffe ausgefallen war. Menschen wurden aus Gefahrenzonen evakuiert und ihnen Unterkünfte zugewiesen. Im Laufe des Kriegs sind zudem zahlreiche Medienprojekte entstanden – Nachrichtenportale und investigative Onlineplattformen, mit denen man der russischen Propaganda entgegentrat. Viele von ihnen stehen jetzt ebenfalls vor dem Aus.
Dabei hat USAID eine lange Tradition in der Ukraine, beginnend mit der Unabhängigkeit Landes 1991. Die amerikanische Entwicklungsbehörde förderte nach dem Ende der Sowjetunion den Aufbau der Zivilgesellschaft. „Sie unterstützte Justizreformen und Initiativen zur Korruptionsbekämpfung sowie die Förderung von Transparenz und Rechenschaftspflicht in der Regierungsführung“, hieß es in einem Bericht der Onlineplattform „Kyiv Independent“.
USAID habe zudem die ukrainische Dezentralisierungsreform von 2014 unterstützt, die kleinen Dörfern und Städten mehr wirtschaftliche und politische Freiheiten gewährte. Ukraine-Kritiker und insbesondere der Kreml streuen seit Jahren immer wieder das Gerücht, die Maidan-Proteste von 2023 und 2014, die auch als „Revolution der Würde“ bezeichnet werden, seien ein von Washington eingefädelter Umsturz gewesen.
Mit fünf Milliarden Dollar von USAID seien die Demonstranten der Massenproteste auf dem Maidan-Platz in Kiew bezahlt worden, die zur Flucht und Absetzung des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch geführt hatten. Korrekt ist hingegen, dass die genannte Summe in dem gesamten Zeitraum von 1992 bis 2014 geflossen ist. Der Vorwurf über die von Washington „orchestrierte Revolution“ ist also Teil einer verschwörungstheoretischen Erzählung.
„Es wäre so wichtig, dass wir weitermachen“
Ruslana Brianska trägt ein schwarzes Sweatshirt mit der Aufschrift: „Ich vertraue, aber ich denke kritisch mit Radio Hrmadaske“. Die 34-Jährige ist die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Radiosenders, der mit 580.000 Zuhörern pro Woche zu einem der populärsten in der Ukraine zählt. Dabei ist Radio Hrmadaske kein Unterhaltungssender, der mit Musik und lustigen Sprüchen seine Hörer anzieht.
„Wir sind das einzige Radio, das allein auf den Talk über soziale, politische und ökonomische Themen setzt“, erklärt Brianska am Moderatorentisch in einem der Studios mit mehreren Mikrofonen und Kopfhörern. Gerade läuft eine Sendung über sexuelle Gewalt russischer Soldaten gegen Kinder. „Bisher gibt es 800 Opfer“, sagt die Radiomacherin aus Kiew. Ein sehr hartes Thema, aber das Sendekonzept scheint genau deshalb bei den Hörern anzukommen.
Doch auch die Zukunft des beliebten Kanals ist nun ungewiss, denn Radio Hrmadaske hat seit 2015 Zuschüsse von USAID erhalten. So konnte man vom Staat unabhängig, kritisch und werbefrei arbeiten. Nach der Abwicklung der US-Behörde werden monatlich rund 30.000 Euro fehlen, 15 der 60 Mitarbeiter mussten bereits entlassen und Betriebsräume gekündigt werden.
„Wenn wir jetzt über Werbung und Spenden nicht genug Geld reinbekommen, müssen wir wahrscheinlich unseren Sendebetrieb von UKW auf Internet umstellen“, sagt Brianska. Die Transmitter entlang der Front werden immer wieder zerstört und das Radio verfügt nicht mehr über die Mittel, sie ständig zu ersetzen.
„Wir haben Hörer in den von Russland besetzten Gebieten“, erklärt die Managerin. „Es wäre so wichtig, dass wir weitermachen und gegen die russische Desinformation ansteuern“. Brianska berichtet von einem Hörer aus der Ostukraine: „Er erzählte mir, wie froh er gewesen sei, von unserem Radio richtige Informationen über die Lage zu erfahren, als Russland seine Stadt angegriffen habe.“
Alfred Hackensberger hat seit 2009 aus mehr als einem Dutzend Kriegs- und Krisengebieten im Auftrag von WELT berichtet. Vorwiegend aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, wie Libyen, Syrien, dem Irak und Afghanistan, zuletzt aber auch aus Bergkarabach und der Ukraine.
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