Der Koalitionsvertrag ist fertig, jetzt geht es an die Besetzung der Ministerposten. Ein Blick auf Regierungsbildungen der Vergangenheit zeigt: Am Ende sind immer Überraschungskandidaten dabei, mit denen in der Öffentlichkeit vorher niemand gerechnet hat.
Seit Wochen schon geistern Listen durch Politik und Medien. Wer wird Ministerin oder Minister? Welche Köpfe werden die neue Regierung in den kommenden Jahren prägen? Welche Partei welches Ressort bekommt, ist jetzt bekannt. Noch offen ist die Besetzung der Ministerposten. Sie soll erst Ende April verraten werden, wenn die drei Parteien dem Koalitionsvertrag offiziell zugestimmt haben. Spekuliert wird trotzdem fleißig. Das Interesse an der Verteilung der Ämter ist auch deshalb so enorm, weil sich Politik dadurch an konkreten Protagonisten festmachen lässt. So wird sie anschaulich.
Anstatt den Spekulationen bloß immer neue Mutmaßungen hinzuzufügen, lohnt ein Blick auf die Kabinettsbildungen der Vergangenheit. Denn jedes Mal, wenn eine neue Ministerriege verkündet wurde, waren echte Überraschungen dabei. Namen, die sogar gestandene Hauptstadtjournalisten erst einmal googeln mussten.
"Solche Überraschungsmomente sind am stärksten, wenn die Parteien Seiteneinsteiger nominieren, die von außen kommen, die nicht Teil der Politik-Bubble sind", sagt der Politologe Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel. Ein Paradebeispiel dafür ist die Besetzung des Wirtschaftsministeriums nach Gerhard Schröders Wahlsieg 1998. Dieser hatte für das Amt den Unternehmer Jost Stollmann vorgesehen - als Quereinsteiger. Weil der dann doch absagte, nominierte Schröder schließlich Werner Müller, einen parteilosen Manager und ebenfalls Politneuling.
Seiteneinsteiger sind ein Risiko
"Wenn Fachleute von außen zum Zuge kommen, können Politiker damit zeigen, dass es bei der Postenverteilung auch um Fachkompetenz geht", sagt Schroeder ntv.de. Neulinge, die keinen "Stallgeruch" haben, die also nicht schon länger im politischen Geschäft sind, könnten aber auch ein Risiko sein. "Der hohe Anfangserfolg solcher Personen kann einen hohen Preis zur Folge haben", so Schroeder. Dann nämlich, wenn externe Fachleute sich in der Komplexität des politischen Systems verlieren und die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllen. Werner Müller wurde im zweiten Kabinett Schröder nicht mehr berücksichtigt.
Für das nun zu besetzende Kabinett wollte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ebenfalls einen externen Kandidaten ins Rennen schicken. Schon vor der Wahl rief er den Präsidenten des bayerischen Bauernverbands, Günther Felßner, zum künftigen Bundesagrarminister aus. Felßner verzichtete jedoch Ende März.
Ein solcher spontaner Amtsverzicht kann dazu führen, dass plötzlich jemandem ein Amt zufällt, in dem sich derjenige nicht einmal selbst gesehen hatte. So war es 2005, im ersten Kabinett von Angela Merkel. Damals hatte CSU-Chef Edmund Stoiber lange damit geliebäugelt, als "Superminister" für Wirtschaft und Finanzen von München nach Berlin zu wechseln. Im entscheidenden Moment machte Stoiber allerdings einen Rückzieher und blieb Ministerpräsident.
Stattdessen kam der CSU-Politiker Michael Glos zum Zug und wurde Wirtschaftsminister. Ungewöhnlich offen räumte er nach dem Ende seiner Amtszeit ein: "Ich wusste damals nicht mal, wo dieses Wirtschaftsministerium genau stand. Ich habe sogar in der Nähe gewohnt, aber es hat mich nie interessiert. Ich hatte kaum eine Ahnung davon, was die Aufgaben dieses Ministeriums sind, um was es sich alles zu kümmern hat." Seine Berufung habe er eher aus Verpflichtung gegenüber seiner Partei als aus innerer Neigung angenommen. Entsprechend farblos blieb er als Minister.
Es gibt Wichtigeres als Fachwissen
Auch innerhalb der Parteien gibt es eine klare Rangordnung, in Landesverbänden und Interessengruppen wird besprochen, wer ministrabel ist und wer eher nicht. Überraschungen können also auch dadurch entstehen, dass Politiker aus der zweiten oder dritten Reihe, aus den Bundesländern oder gar den Kommunen plötzlich als Bundesminister vorgeschlagen werden. So wurde Nancy Faeser 2021 Innenministerin.
"Das ging damals vor allem auf einflussreiche Frauen in der SPD zurück", sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. "Es braucht da mächtige Fürsprecher." Auch die Landesverbände haben erheblichen Einfluss. Jeder will berücksichtigt werden und die eigenen Kandidaten bestmöglich platzieren. Faeser war vor ihrer Nominierung zwar hessische SPD-Frontfrau, auf Bundesebene aber ein unbeschriebenes Blatt.
Plötzlich Bildungsministerin wurde zum Start der letzten Merkel-Regierung 2018 Anja Karliczek. Dabei war die CDU-Politikerin eigentlich in den Themengebieten Finanzen und Haushalt zu Hause. Letztlich fiel die Wahl deshalb auf sie, weil Merkel noch eine Ministerin mit folgenden Merkmalen brauchte: Frau, katholisch und aus NRW. "Karliczek war auch jemand, der den Mächtigen in der CDU im innerparteilichen Machtwettbewerb nicht im Wege stand", erklärt Wolfgang Schroeder. Überraschende Kandidaten zu präsentieren, könne auch ein Instrument sein, um ambitionierte parteiinterne Konkurrenten von Posten fernzuhalten und damit machtpolitisch auszuschalten.
Minister, die wie Karliczek keine Fachexpertise für ihr Ministerium mitbringen, beäugt die Öffentlichkeit meist besonders kritisch. Aber muss der perfekte Gesundheitsminister zwingend selbst Arzt sein, eine Verteidigungsministerin Soldatin? Der Politologe Wolfgang Schroeder sagt klar: "Fachexpertise ist unwichtig. Fachleute können sogar eher ein Problem sein, wenn sie meinen, alles besser zu wissen." Zwar müsse sich ein fachfremder Minister natürlich einarbeiten. Aber: "Ein guter Auftritt, die richtige Ansprache, Kooperationsfähigkeit, eine schnelle Auffassungsgabe und Durchsetzungsfähigkeit - all das ist wichtiger als Fachwissen, das ist gouvernementales Kompetenzwissen. Dafür hat jedes Ministerium Mitarbeiter, die sich auskennen."
Auch bei der nun anstehenden Postenverteilung in der schwarz-roten Koalition dürfte es also wieder den einen oder anderen Überraschungskandidaten geben. Der eine Name, den niemand auf dem Zettel hatte, wird mit großer Sicherheit wieder dabei sein. Wer weiß, vielleicht wird es dieses Mal ja sogar mal eine Erfolgsgeschichte.
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