SPD-Politiker Andreas Bovenschulte, 59, ist seit 2019 Bürgermeister von Bremen sowie Kultursenator. Bei den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen in Berlin hat er in der Arbeitsgruppe Wirtschaft, Industrie, Tourismus mitverhandelt.

WELT: Herr Bovenschulte, Sie haben sich ausweislich Ihrer Posts in den sozialen Medien überaus zufrieden mit dem schwarz-roten Koalitionsvertrag gezeigt. Hat die SPD die Koalitionsverhandlungen gewonnen?

Andreas Bovenschulte: Ein Koalitionsvertrag ist immer ein Kompromiss, und das merkt man auch diesem Vertrag an. Ein rein sozialdemokratisches Regierungsprogramm würde ich mir anders vorstellen, keine Frage. Dennoch kann sich das Ergebnis der Verhandlungen sehen lassen. Es schafft die Grundlage dafür, die großen Krisen dieser Zeit zu bewältigen. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an.

WELT: An welcher Stelle des schwarz-roten Koalitionsvertrags hätten Sie sich ein anderes, sozialdemokratischeres Ergebnis gewünscht?

Bovenschulte: Anstatt die dringend notwendigen Investitionen in unsere Wirtschaft und unsere Infrastruktur überwiegend per Kredit zu finanzieren, wäre es aus meiner Sicht sinnvoller und besser gewesen, diese staatlichen Ausgaben auch aus staatlichen Einnahmen zu bestreiten und dafür die großen Einkommen und Vermögen stärker zu belasten. Stattdessen werden die Investitionskosten jetzt unterschiedslos auf alle Schultern verteilt. Das halte ich für ungerecht. Auf der anderen Seite ist es aber ein Erfolg, dass der Soli in seiner jetzigen Form erhalten bleibt und nicht diejenigen, die ohnehin am meisten haben, noch zusätzlich entlastet werden.

WELT: Ist es nicht fast schon paradox, dass die SPD, die bei der Bundestagswahl ja deutlich an Stimmenanteilen verloren hat, so stark aus diesen Koalitionsverhandlungen hervorgeht?

Bovenschulte: Einspruch. Koalitionen können nicht funktionieren, wenn man rechnerisch abzählt, wer wie viel Prozent hat, und daraus dann ein Regierungsbündnis macht. Sondern man muss gemeinsam tragfähige Positionen entwickeln. Das ist Union und SPD gelungen – trotz sehr unterschiedlicher Ausgangspositionen. Übrigens rate ich auch allen davon ab, sich jetzt nur noch damit zu beschäftigen, wer wo gewonnen und wo verloren hat. Das führt nur ins Elend.

WELT: Wenn Sie sich dennoch mal kurz in die Schuhe derjenigen Wähler stellen, die die SPD bewusst nicht gewählt haben – haben Sie keine Sorge, dass diese Menschen noch skeptischer auf die Demokratie blicken?

Bovenschulte: Ich verstehe natürlich, dass alle Wählerinnen und Wähler, die nicht SPD oder Union gewählt haben, sich eine andere Regierung gewünscht hätten. Aber so ist das nun mal in der Demokratie. Die Regierung stellen diejenigen Parteien, die zusammen eine Mehrheit im Parlament haben und sich auf ein Programm einigen können. Das haben Union und SPD hinbekommen, an manchen Punkten mit Schwierigkeiten, aber insgesamt doch überzeugend.

WELT: Was passiert in Deutschland, wenn Friedrich Merz (CDU) mit seinem Kabinett nicht auf Anhieb reüssiert?

Bovenschulte: Auf Anhieb zu reüssieren, wird auf vielen Politikfeldern gar nicht möglich sein. Dazu ist die Wirklichkeit einfach zu komplex und sind die Erwartungen zu unterschiedlich. Die neue Bundesregierung wird also gute Nerven brauchen: Wie immer wird es dauern, ehe die positiven Effekte politischer Entscheidungen in der Lebenswirklichkeit der Menschen spürbar werden. Und in der Umsetzung des Vereinbarten werden auch noch Konflikte zutage treten.

Lassen Sie mich bei der Gelegenheit sagen, wie froh ich darüber bin, dass es doch keine Zwei-Klassen-Staatsangehörigkeit geben wird. Die von der Union erwogene Möglichkeit, straffällig gewordenen Doppelstaatlern die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen, hatte das Potenzial einen gesellschaftlichen Großkonflikt auszulösen.

WELT: Welche Schulnoten würden Sie den beiden Verhandlungsführern der SPD, Saskia Esken und Lars Klingbeil geben?

Bovenschulte: Gemessen an den Bedingungen, unter denen sie verhandelt haben, war das ein „Sehr gut“.

WELT: Dennoch haben die beiden auch die schwere Wahlniederlage zu verantworten – braucht die SPD eine neue Parteiführung?

Bovenschulte: Wir können nach einem solchen Wahlergebnis natürlich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Jetzt aber kam es erst einmal darauf an, sich auf einen Koalitionsvertrag zu einigen und eine stabile Bundesregierung auf die Beine zu stellen. Das sind wir den Wählerinnen und Wählern schuldig. Aber natürlich muss es – nach der Mitgliederabstimmung in der SPD und der Regierungsbildung – auch darum gehen, die Partei insgesamt zu erneuern. Inhaltlich wie personell.

WELT: Könnten Sie sich vorstellen, selbst mehr Verantwortung für Ihre Partei zu übernehmen?

Bovenschulte: Ich bin gern Bremer Bürgermeister und möchte dieses Amt gern weiterführen. Ungeachtet dessen sollte sich jeder Sozialdemokrat fragen, ob er sich in der Partei nicht doch noch mehr engagieren müsste, als es bisher der Fall war. Das gilt auch für mich.

WELT: Noch mal zurück zum Koalitionsvertrag. Wird Ihnen als Ministerpräsident eines sozialdemokratisch geführten Bundeslandes nicht mulmig, wenn Sie auf die Ressortverteilung zwischen Union und SPD blicken? Alle Ressorts, die für die Vergabe von auch für Bremen zentralen Investitionsmitteln und Fördergeldern Verantwortung haben, sind künftig in der Hand der Union: Verkehr, Bildung, Wirtschaft, Forschung und Technologie.

Bovenschulte: Ich gehe fest davon aus, dass zum Beispiel die Interessen der maritimen Wirtschaft auch dann hinreichend berücksichtigt werden, wenn die dafür zuständigen Ressorts wie Wirtschaft und Verkehr von der Union besetzt sind. Der Koalitionsvertrag enthält da klare Verabredungen. Und da vertraue ich auch unseren norddeutschen Christdemokraten.

Und wenn es um die Raumfahrt geht, für die künftig die CSU zuständig sein wird: Bei diesem Thema ziehen Bremen und der Süden mit Bayern und Baden-Württemberg seit jeher an einem Strang. Und das wird auch so bleiben.

Ulrich Exner berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, vor allem aus Norddeutschland.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke