Rainer Guth, 55, ist seit September 2017 Landrat des Donnersbergkreises in Rheinland-Pfalz. Der Parteilose wurde bei seiner Wahl von CDU und Freien Wählern unterstützt. Er sitzt im Vorstand des rheinland-pfälzischen Landkreistages.

WELT: Herr Guth, was brauchen Sie als Landrat von Schwarz-Rot?

Rainer Guth: Ganz grundsätzlich eine Umsetzung des kürzlich vorgestellten Reformpapiers des früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle und des ehemaligen Finanzministers Peer Steinbrück zur Staatsmodernisierung. Stichwort: Vertrauen statt Misstrauen. Und eine Verschlankung des Sozialstaates. Zu letzterem: Bei den Kreisen laufen immer mehr soziale Lasten auf, die uns Bund und Länder nach ihren Regelungsvorstellungen aufbürden. Ganz vorn beschäftigen uns gerade die massiv steigenden Kita-Kosten, eine der größten Einzelziffern in unserem Haushalt.

WELT: Woher die Teuerung?

Guth: Das sogenannte Gute-Kita-Gesetz und sein Äquivalent unserer Landesregierung (aus SPD, Grünen und FDP, d. Red.) haben neue Standards geschaffen: Ganztags-Kitas mit Mindestbetreuungszeiten, Mindestschlüsseln beim Personal, ganz neuen Ansprüchen, die zum Beispiel Investitionen in Küchen erfordern. Mittagessen oder Ganztagsversorgung kann erst mal nicht jede Kita, und nicht alle brauchen diese Angebote. Bei uns im Kreis gibt es 81 Kommunen, die kleinste mit 94, die größte mit 9500 Einwohnern. Unsere kleinteiligen Kita-Strukturen sind anders, kleinteiliger organisiert als die städtischen. Die Gesetze aber tragen eine städtische Handschrift, für das Land passen sie nicht. Die Kosten tragen wir dennoch.

WELT: Was nützen Ihnen die ebenfalls angekündigten 100 Milliarden Euro Sonderschulden für kommunale Investitionen?

Guth: In Rheinland-Pfalz leben fünf Prozent aller Bundesbürger, bei uns im Kreis wohnen circa zwei Prozent der Rheinland-Pfälzer, wir haben gut 76.000 Einwohner. Heißt: Anteilig stünden uns circa 100 Millionen Euro davon zu. Erfahrungsgemäß bleibt die Hälfte davon beim Land, das damit zum Beispiel Landstraßen saniert.

Also bleiben 50 Millionen, und die bestenfalls über vier Jahre verteilt. Macht 12,5 Millionen pro Jahr. Das ist etwas mehr, als wir im Haushalt ohnehin eingerechnet haben an Zuschuss-Bedarf. Ich würde künftig also vielleicht bauen können, ohne neue Schulden zu machen. Ich würde aber weder Altschulden abbauen können noch könnte ich mehr bauen, als ich heute bauen kann.

WELT: Spürbarer Wandel bleibt aus?

Guth: Das Geld lindert die Situation, aber es verbessert nichts. Es ist ein Palliativprogramm, in dem die Kommunen leben, eine kurzfristig lebensverlängernde Maßnahme. Wir brauchen eigentlich eine komplett andere kommunale Finanzausstattung. Und die kann natürlich nicht nur der Bund alleine machen, sondern hängt auch im Wesentlich davon ab, was die Länder zur Entlastung von Kommunen mit Altschulden leisten.

Für Rheinland-Pfalz muss man sagen: Der kommunale Finanzausgleich wird weder seiner Funktion – der Zielsetzung gleichwertiger Lebensverhältnisse – noch dem kommunalen Aufgabenumfang gerecht. Die Landkreise in Rheinland-Pfalz werden dieses Jahr zusammen wieder ein Defizit von voraussichtlich knapp 400 Millionen Euro aufbauen.

WELT: Schwarz-Rot will auch 250 Millionen Euro jährlich für überschuldete Kommunen geben – die ja überschuldet sind, weil der Bund die Sozialleistungen ausdehnt, die sie zahlen müssen. Gleichzeitig werden alteingesessene Industrien wegbrechen, ein schon Jahrzehnte andauernder Prozess. Ist auch das nur eine „Palliativmaßnahme“?

Guth: Es ist auf jeden Fall gut, dass die Problematik überhaupt benannt wird. Wir werden sehen, wie das im Zusammenspiel mit den Ländern funktionieren wird. Für uns ist gerade viel wichtiger, wo wir selbst handeln können, wo wir effizienter werden könnten, wenn man uns ließe.

Nur mal ein Beispiel: Wenn wir im Kreis Straßen sanieren und das nicht alleine bezahlen wollen – was natürlich nicht ginge –, sondern die nötigen Zuschüsse vom Land haben wollen, dann müssen wir Planung und Ausschreibung an die zentrale Straßenverwaltung abgeben, den Landesbetrieb Mobilität. Dann zahlt das Land 65 bis 75, wir 25 bis 35 Prozent. Das Land hat aber in den vergangenen zehn Jahren nur geschafft, gerade mal die Hälfte der von uns bereitgestellten Mittel für den Straßenbau auszugeben.

WELT: Warum?

Guth: Weil die Planer, die Ingenieure fehlen, um diese bürokratischen Groß-Prozesse zu verwalten! Das ist der Flaschenhals, an dem alles hängt, egal, wie viel Geld da ist. Und den wird man nur los, wenn wir eine neue Liberalität in die Verwaltungsverfahren bringen. Das geht weit über das Schlagwort „Entbürokratisierung“ hinaus.

Es muss ganz grundsätzlich heißen: Vertrauen statt Misstrauen. Es ist ein Problem, wenn, wie im Fall Straßenbau, die Landes- den Kreisbehörden misstrauen und sagen: Nur wir können das planen. Ich wünsche mir, dass man uns ermöglicht, mehr selbst zu gestalten, um dann in schlankeren Strukturen, in denen man auch die Bedingungen vor Ort kennt, effizienter zu arbeiten.

WELT: Was heißt „Vertrauen statt Misstrauen“ bei Ihnen vor Ort?

Guth: Ich sage es meinen Leuten: Lieber ihr entscheidet mal falsch als gar nicht, als dass man die zehnte Anhörung macht und die fünfte Beteiligung und den vierten Kollegen fragt. Und wir müssen auch den Bürgerinnen und Bürgern mehr Vertrauen schenken. Nicht jeder Bürger ist ein Lump, sondern das sind Gott sei Dank die allerwenigsten. Wir verhalten uns in Deutschland aber im Verwaltungsprozess so, als wollte jeder uns betrügen.

Wandel ist schwierig. Aber das müssen wir angehen. Ein weiteres Beispiel: In den Ministerien, die die Gesetze erarbeiten, gibt es ja nun Personal, das bereits fünf Bundesregierungen unterschiedlicher Farben und Stoßrichtungen erlebt hat. Ohne die eigene Arbeitsweise groß zu überdenken. Da gibt es dicke Elefantenhäute und Verhaltensmuster – das heißt, die Beamten und die Ministerien verändern da nichts, was sie nicht verändern müssen. Unter anderem hier sollte die neue Koalition ansetzen.

WELT: Reicht so ein Liberalisierungsprogramm als Antwort auf die Wirtschaftskrise, die demografische Krise, den Druck durch irreguläre Zuwanderung?

Guth: Zunächst: Ja, vieles ist machbar mit den Ideen von vor Ort. Wir in der Westpfalz haben zum Beispiel ein Netzwerk gegründet, um junge Menschen durch Stipendien Medizin studieren zu lassen. Wir betreiben landkreisübergreifend ein anspruchsvolles Industriegebietsmanagement, um neue Betriebe anzulocken, und wir haben anstehende Firmeninvestitionen hier im Kreis – wir sind aber auch mit zwei Autobahnen, zwei Bahnverbindungen gut angebunden. Kreise, die solche Bedingungen nicht haben, brauchen noch gezieltere Förderung.

Aber natürlich gibt es die ganz großen Rahmenbedingungen, auf die wir keinen Einfluss haben und die sich ändern müssen: Die Energiepreise müssen sinken, die Bürokratiebelastung, etwa durch das Lieferkettengesetz, muss sinken.

WELT: Auch das verspricht Schwarz-Rot.

Guth: Und ich bin vorsichtig optimistisch, weil wir eben in Sachen gute Wirtschaftsbedingungen unsere Hausaufgaben gemacht haben – was sich dann richtig entfaltet, wenn diese Rahmenbedingungen endlich korrigiert sind. Denn wir stehen ja zudem inmitten eines Umbruchs: 7000 Arbeitsplätze bei uns im Kreis sind noch direkt oder indirekt von unserer Automotive-Industrie im Kreis abhängig, wir waren immer stolz auf unser Turbo-Cluster. Aber im E-Auto-Zeitalter müssen wir natürlich umdenken, und diese Unternehmen können auch andere Güter – dringend benötigte Rüstungsgüter etwa – herstellen. Wie gesagt: Dafür müssen aber auch die Gesamtbedingungen stimmen.

WELT: Schwarz-Rot verspricht auch eine Wende in der Migrationspolitik – wie akut ist Ihr Belastungsdruck?

Guth: Was Wohnraum angeht, sind wir am Limit. Zwei Millionen Euro kostet zudem in etwa die Versorgung der Asylbewerber im Kreis, bei einem Gesamthaushalt von 170 Millionen Euro also nicht zu vernachlässigen, vergleichbar mit unseren Investitionen in Kreisstraßen. Viel höher sind aber die politischen Kosten: Niemand versteht es, wenn jemand, der nicht asylberechtigt ist, nicht gehen muss. Das kostet Akzeptanz, und das können wir uns nicht leisten, denn wir brauchen reguläre Einwanderung von qualifizierbaren und qualifizierten Menschen ganz dringend.

Auch im Donnersbergkreis ginge es von Müllabfuhr übers Krankenhaus bis zur Verwaltung und Polizei nicht ohne Zuwanderer. Aber die Zustimmung dazu haben Sie nur, wenn Sie den Bereich Asyl eben klar und konsequent regeln und die Regeln auch durchsetzen. Von daher ist ein Umsteuern dringend geboten.

Jan Alexander Casper berichtet für WELT über innenpolitische Themen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke