In diesen Tagen lässt sich die Verschiebung der Weltordnung quasi live beobachten: Donald Trump nennt Wolodymyr Selenskyj einen Diktator. Zuvor hatte sein Vizepräsident J.D. Vance die europäischen Verbündeten in einer Brandrede in München attackiert. Wenig später stoppt Washington die Militärhilfe für die Ukraine – ein Kurswechsel, der ganz Europa erschüttert.
Während der Westen um Geschlossenheit ringt, verfolgt China die Annäherung zwischen den USA und Russland sehr genau. Wird Moskau die Richtung wechseln? Oder ist die antiamerikanische Allianz zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping unerschütterlich?
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind Russland und China enge Partner – vereint in ihrer Ablehnung der USA. Doch nun versucht Washington laut dem „Wall Street Journal“ offenbar, einen Keil zwischen Moskau und Peking zu treiben. Die Strategie: Russland aus der Abhängigkeit von China zu lösen und näher an den Westen – so wie Trump ihn versteht – heranzuführen.
Der US-Präsident verfolgt dabei allem Anschein nach eine Art „umgekehrte Nixon-Strategie“ – ein geopolitisches Manöver also, das an die Annäherung der USA an China in den 1970er-Jahren erinnert. Damals spaltete Washington Peking von Moskau ab. Heute will Trump offenbar das Gegenteil: Russland soll aus dem Einflussbereich Chinas herausgelöst werden. Der US-Präsident setzt dabei auf gezielte diplomatische Annäherung – durch hochrangige Treffen mit russischen Vertretern, den Vorschlag möglicher Sanktionserleichterungen und durch rhetorische Unterstützung für Putin.
Gleichzeitig schwächt er die transatlantische Allianz, indem er europäische Verbündete öffentlich kritisiert und die Militärhilfe für die Ukraine einstellt. Damit soll Russland ein Anreiz geboten werden, sich zumindest teilweise aus der Abhängigkeit von China zu lösen. Doch die geopolitischen Rahmenbedingungen sind heute völlig andere als vor 55 Jahren.
Moskau und Peking haben ihre Beziehungen in den letzten Jahren stark ausgebaut. Seit 2022 sprechen sie von einer „grenzenlosen Freundschaft“. Militärische Zusammenarbeit, Geheimdienstkooperation, abgestimmte Außenpolitik – die Allianz ist tief. China unterstützt Russlands Rüstungsindustrie mit essenziellen Technologien, während Russland China mit günstigem Öl versorgt. Derzeit halten russische und chinesische Kriegsschiffe gemeinsam mit dem Iran ein Marinemanöver ab.
Die Partnerschaft der beiden Länder geht weit über kurzfristige Interessen hinaus. Wladimir Putin und Xi Jinping teilen eine Weltanschauung: Die USA gelten als größte Bedrohung ihrer politischen Systeme. Beide streben nach einer multipolaren Weltordnung, in der Washingtons Einfluss schwindet. Eine nachhaltige Spaltung zwischen Moskau und Peking erscheint da eher unwahrscheinlich.
Peking ist für Moskau unersetzlich
Nixon und sein damaliger Nationaler Sicherheitsberater Henry Kissinger konnten in den 1970er-Jahren auf eine bereits existierende Feindschaft zwischen China und der Sowjetunion setzen. Heute gibt es zwischen Moskau und Peking keine ideologischen oder territorialen Konflikte. Im Gegenteil: Sie sind zuletzt immer enger zusammengerückt.
Seit Inkrafttreten der westlichen Sanktionen ist China Russlands wichtigster Handelspartner. Der bilaterale Handel erreichte im Jahr 2023 rund 240 Milliarden Dollar. Peking ist für Moskau unersetzlich, während Washington kaum wirtschaftliche Anreize bieten kann, die Chinas Einfluss ausgleichen würden.
Gleichzeitig kann es sich China auch nicht leisten, Russland zu verlieren – die Abhängigkeit ist also gegenseitig. Die Volksrepublik steht vor enormen wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Regierung in Peking hat vergangene Woche ein ehrgeiziges Wachstumsziel von fünf Prozent ausgegeben, das angesichts der Immobilienkrise, hoher Jugendarbeitslosigkeit und schwacher Binnennachfrage schwer zu erreichen scheint. Die chinesische Zentralbank hat bereits mehrfach die Leitzinsen gesenkt, um die Wirtschaft zu stabilisieren, doch die Unsicherheit bleibt.
Während Peking wirtschaftlich unter Druck steht, könnte eine stärkere Bindung Russlands an den Westen seine strategische Position weiter erschweren. Es wird deshalb einiges tun, um die Allianz aufrechtzuerhalten: China könnte Russland zum Beispiel bevorzugte Handelsbedingungen gewähren, neue Investitionen in russische Infrastrukturprojekte lenken oder die technologische Zusammenarbeit vertiefen. Zudem könnte es seine diplomatische Rückendeckung verstärken, etwa durch entschiedene Unterstützung russischer Positionen in internationalen Organisationen.
Dass Washington mit seiner Strategie Erfolg haben wird, bezweifelt auch Helena Legarda, Lead Analyst beim China-Institut Merics: „Die Chancen, dass sich Russland von China abwendet, sind gering. Peking und Moskau teilen strategische Interessen und geopolitische Ziele. Xi und Putin haben eine enge Beziehung.“ China könnte sogar von den engeren Beziehungen Russlands zu den USA profitieren.
„Solange Russland signalisiert, dass es seine Beziehungen zu China weiter vertiefen will und Peking über seine Gespräche mit den USA auf dem Laufenden hält, wird China die Annäherung Washingtons an Moskau eher als positive Entwicklung sehen“, sagt Legarda. Russland als Insider in Verhandlungen mit den USA – für Peking könnte das strategische Vorteile bringen.
Die geopolitische Dynamik des Kalten Kriegs lässt sich nicht einfach umkehren. Russland und China haben eine Allianz geformt, die auf gemeinsamen Interessen beruht und nicht auf kurzfristigen Vorteilen. Peking verfolgt daher Trumps Annäherung an Russland eher mit Interesse als mit Besorgnis.
Es gibt wenig Grund zu der Annahme, dass Putin bereit wäre, seine wichtigste strategische Partnerschaft aufs Spiel zu setzen. Die eigentliche Frage ist daher nicht, ob der amerikanische Plan funktioniert, sondern, welche langfristigen Folgen er für die westliche Geschlossenheit haben wird.
Christina zur Nedden ist China- und Asienkorrespondentin. Seit 2020 berichtet sie im Auftrag von WELT aus Ost- und Südostasien.
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