Viele Fans der "Assassin's Creed"-Reihe sind chronisch sauer. Die Gründe für den Ärger sind so vielfältig wie die Erwartungen an den neuen Ableger "Shadows". Das Japan-Abenteuer macht manches neu, vieles gut und wird doch einige Probleme, an denen die Reihe krankt, nicht los.

Ach ja, "Assassin's Creed". Dreizehn Hauptspiele und unzählige Erweiterungen zählt die Reihe aus dem Hause Ubisoft bereits. Und über kaum ein Spieleuniversum wird so viel gestritten: Manche wünschen sich eine Rückkehr zu den Stärken der ersten Teile, in denen das Schleichen und unerkannte Meucheln im Zentrum stand, andere mögen den Rollenspiel-Ansatz der neueren Ableger. Wieder andere erhoffen sich einen Neuanfang mit mutigen Veränderungen. Teile der Community wollen mehr von dem spieleübergreifenden Handlungsstrang in der Gegenwart, andere finden ausgerechnet den besonders öde.

Dann sind da noch die dauerhaften Ärgernisse, wie die repetitiven Nebenmissionen der Vorgänger, und die stumpfen Aufgaben, mit denen vorherige Teile oft vollgepackt waren. Derentwegen fühlten sich "Assassin's Creed"-Spiele stellenweise mehr an wie To-do-Listen, als wie Videospiele. Obendrauf kommt die finanzielle Lage des Unternehmens: Sinkende Aktienkurse und Verkaufsgerüchte erhöhen den Druck auf Ubisoft.

Und ausgerechnet in diesem Sturm aus Unmut, Finanzproblemen und vergraulten Fans, erscheint "Assassin's Creed Shadows". Der neue Teil der Reihe hat damit eine fast unmögliche Aufgabe: "Shadows" ist Ubisofts Schicksalsspiel, das die Fans zusammenbringen muss. Wie gut gelingt das dem Japan-Ableger?

Was taugt die Story von "Assassin's Creed Shadows"?

Die Story beginnt überaus launig. Stimmige Inszenierung, fantastische musikalische Untermalung, die sich wirklich was traut, und eine Menge Action prägt die ersten Stunden. Gut, Ubisoft lässt es sich nicht nehmen, für die Motivation der Hauptfigur mal wieder die eigenen Klischees zu bedienen: Totes Elternteil (das inzwischen fünfte der Serie), Rachefeldzug gegen Geheimorden, eine Liste böser Männer und Frauen, die man ausschalten muss. Aber Naoe und Yasuke sind beide interessante und charismatische Figuren, die unterschiedlicher kaum sein könnten, was eine spannende Dynamik erzeugt. Der blutige Rachefeldzug der beiden durch Japan ist deshalb durchaus reizvoll.

Eingebettet ist das in die Geschichte Japans im 16. Jahrhundert rund um den berühmten Feldherrn Oda Nobunaga. Yasuke kommt als Sklave portugiesischer Missionare nach Japan und trifft dort auf Nobunaga, der schnell sein Potenzial erkennt, ihn rekrutiert und zum Samurai ausbildet. Als Schwarzer Mann in Japan ist er ein Außenseiter, der seinen Platz und seine Identität sucht. Naoe hingegen ist eine Shinobi-Assassinin und kommt aus der Provinz Iga. Die wird im Rahmen von Nobunagas Feldzug angegriffen und dem Erdboden gleichgemacht, worauf sie Rache gegen den Feldherren schwört. Während sich die beiden zu Beginn noch als Feinde gegenüberstehen, ändert sich dies bald.

Was "Assassin's Creed Shadows" beim Erzählen dieser Geschichte richtig, richtig gut macht, sind die großen Momente. Regen prasselt, ein Blitz zuckt über den Himmel, Yasuke stellt sich einer übermächtigen Gegnerhorde entgegen und zieht sein Katana: Das macht Laune! Selten hat es sich so stylisch angefühlt, Gegnerhorden zu dezimieren. In die wichtigsten Momente des Spiels wurde merkbar Zeit und Mühe investiert, und das zahlt sich aus.

Was "Shadows" dagegen weniger gut macht, ist das, was zwischen diesen Momenten geschieht. In einige Figuren wird viel zu wenig Zeit gesteckt, besonders Nebencharaktere bleiben oft blass. Charakterentwicklung und Plottwists wirken teils zufällig herbeigeführt und schlecht vorbereitet, Entscheidungen sind unverständlich und Hintergründe bleiben unerklärt. Das Spiel wirft mit Namen nur so um sich, wer von den unzähligen Nebenfiguren, die man einmal irgendwo getroffen hat, gemeint ist, bleibt oft unklar. Zu viele Geschichten will das Entwicklerteam erzählen, zu wenig Zeit gibt es dann denjenigen, die es erzählt.

Das Spiel ist mit rund 40 bis 50 Stunden Hauptstory deutlich kompakter als seine Vorgänger, und das war eine gute Entscheidung, die der Handlung gutgetan hat. Die Chance, die Geschichte damit auch weniger ausschweifend und fokussierter zu erzählen, hat Ubisoft mit der Unzahl an blass bleibenden Nebencharakteren jedoch nicht immer genutzt. Positiv anzumerken sind die häufigen Rückblenden in die Vergangenheit der beiden Hauptfiguren, da hier Naoe, Yasuke und ihre wichtigsten Wegbegleiter klar im Fokus stehen.

Eine wunderschöne offene Welt - mit einem Makel

Eines muss man "Shadows" jedoch uneingeschränkt zugutehalten. Die Welt sieht einfach nur umwerfend aus. Selbst nach Stunden, in denen man durch die japanischen Städte und Wälder reitet, wird man der Aussichten nicht müde. Besonders wegen der dynamisch wechselnden Jahreszeiten macht die Erkundung so Spaß. "Assassin's Creed Shadows" ist, so klar muss man es sagen, eines der schönsten Spiele auf dem Markt - zumindest was die Umgebung angeht. Bei den Gesichtsanimationen muss man differenzieren. In den filmischen Zwischensequenzen sehen diese großartig aus - in normalen Dialogen eher hölzern.

Das Problem an Ubisofts Open World ist: Erkundung wird nicht so wirklich angeregt. Nebenmissionen mit richtiger Story finden sich hauptsächlich über das Questmenü, am Wegesrand stolpert man höchstens über belanglose Kampfszenen und die immergleichen Aufgaben. Zwar gibt es weniger Beschäftigungstherapie als in den Vorgängern, es wiederholt sich dennoch relativ schnell. Besonders enttäuschend: In den vielen Wäldern gibt es fast nichts zu entdecken. Im Regelfall sind sie sogar so dicht, dass man kaum durchkommt. Dementsprechend spielt sich alles Spannende entlang der Straßen ab.

Die große Stärke von "Shadows" steckt im Gameplay

Für "Assassin's Creeds" Identitätskrise zwischen Schleich- und Open-World-Rollenspiel hat "Shadows" eine spannende Antwort: Zwei Charaktere, die je einen der Stile verkörpern sollen. Und das klappt ziemlich gut. Die beiden spielen sich sehr unterschiedlich. Yasuke ist eine Naturgewalt. Seine Angriffe fühlen sich wuchtig und mächtig an, er kann eine Menge einstecken und überrennt seine Gegner buchstäblich. Versucht man jedoch, mit dem Samurai zu schleichen, ist es fast schon lachhaft, wie schlecht er sich dabei anstellt. Seile zerreißen unter seinem Gewicht, Dielenböden quietschen, wenn wir darüber laufen, und im Verstecken ist er sowieso furchtbar.

Das ist dann die richtige Zeit, um Naoe ranzulassen. Die flinke und behände Shinobi kraxelt mit Leichtigkeit an den schwierigsten Wänden hoch und weicht problemlos nichtsahnenden Wachtposten aus, während sie durch das Gebüsch schleicht und Festungen infiltriert. Ganze Gegnerlager können wir mit ihr auslöschen, ohne dass jemals der Alarm ausgelöst wird. Werden wir jedoch entdeckt, müssen wir uns gezielt zur Wehr setzen - Naoe liegt besonders bei mächtigen Gegnern nämlich schon nach ein paar Hieben auf der Matte. Der Wechsel zwischen den beiden geht schnell und ist fast immer möglich.

Die Kämpfe und Schleicheinheiten machen generell jede Menge Laune. Insgesamt haben die Schleichsequenzen mehr Tiefe als die Vorgänger. Wir können nun Lichter löschen und Schatten zu unserem Vorteil nutzen. Außerdem hat Naoe eine Vielzahl an Tools zur Verfügung und kann neben dem Schleichen auch noch kriechen. Von der Komplexität eines "Hitman" ist "Shadows" dennoch weit entfernt.

Auch das Kampfsystem bietet Abwechslung: Die acht verschiedene Waffen, die wir ausrüsten können, fühlen sich sehr unterschiedlich an. Dazu kriegen wir wie in den Vorgängern Spezialfähigkeiten. Neu sind Verbündete, die wir zur Verstärkung in den Kampf rufen dürfen. Außerdem können wir uns über das Skillsystem auf unsere Lieblingswaffe spezialisieren - dazu gehören auch unsere Assassinenfähigkeiten mit der versteckten Klinge.

An die Tiefe des Kampfsystems eines "Ghost of Tsushima" kommt "Shadows" zwar nicht ran, eine Menge Spaß macht es dennoch - es spielt sich ein bisschen wie der arcadigere kleine Bruder von "GoT". Mit Naoe als tödlicher Schatten durch eine von Wachen bevölkerte Festung zu fahren, ist eins der größten Highlights des Spiels. Die groß angelegt Kloppereien mit Yasuke fungieren als angenehme Abwechslung dazu.

Das Questsystem: Gute Idee mit großem Problem

Unsere Quests managen wir über eine Art Karte mit verschiedenen Kategorien. Da gibt es Aufgaben zu den Hintergrundgeschichten von Naoe und Yasuke, verschiedene Organisationen, die wir ausschalten müssen, verschiedene Gruppen von Menschen, denen wir helfen können. Das lässt dem Spieler sehr viel Freiheit, die eigene Japan-Reise zu gestalten, hat jedoch ein großes Problem: Dadurch, dass es im Questsystem keine klar gekennzeichnete Hauptgeschichte gibt, zerfasert die Story oft und lässt einen klaren roten Faden vermissen. Das in Ubisoft-Spielen häufige To-do-Listen Gefühl kommt dadurch hin und wieder auf.

Dazu laufen viele der Quests gleich ab. Mithilfe unserer Späher müssen wir neuerdings anhand verschiedener Hinweise die Position der Quest aufdecken. Dann wird dorthin geritten, es gibt ein bisschen Gerede und ein bisschen Gekämpfe, dann wird wieder gespäht, geritten, gequatscht, gekämpft. Haben wir das ein paar Mal hinter uns, dürfen wir einen besonders wichtigen Gegner ausschalten. Da kommt doch gelegentlich eine ungewollte Routine auf.

Wer sich nicht scheut, Untertitel zu lesen, kann die Geschichte übrigens auch im immersiven Modus spielen. Hier spricht jeder Charakter seine eigene Sprache. Das bedeutet viel Japanisch und ein wenig Portugiesisch. Diese Vertonung ist großartig und passt besser zur Spielwelt als die deutsche Vertonung. Auch die ist jedoch in Ordnung.

Lohnt sich der Kauf?

"Assassin's Creed Shadows" stand vor einer monumentalen, fast unmöglichen Aufgabe - und schlägt sich respektabel. Wer "Origins", "Odyssey" und vielleicht auch "Valhalla" mochte, findet in "Shadows" eine punktuell verbesserte und angepasste Version dieser Spiele, die das eine oder andere Neue wagt. Doch auch den Fans des alten "Assassin's Creed"-Feelings wirft Ubisoft mit seinem Japan-Ableger ein paar Leckereien zu.

Der Spagat von "Shadows", der sicherlich eher Richtung Rollenspiel à la "Odyssey" geht, gelingt oft, aber nicht immer. Die Aufteilung auf zwei Hauptcharaktere ist eine tolle Idee, die gut umgesetzt wurde. Das Gameplay macht eine Menge Spaß, die Welt ist wunderschön und die Inszenierung stellenweise großartig. Die Story hat viele spannende Ansätze, doch ihr fehlt ein roter Faden und ein klarer Fokus. Organisches Erkunden wird viel zu selten belohnt, meistens finden wir neue Aufgaben stattdessen durch das Questmenü. Das To-do-Listen Problem der Ubisoft-Formel wird auch "Shadows" nicht so ganz los.

Trotz dessen ist "Shadows" im Kern ein wirklich gelungenes Spiel. Für das Japan-Abenteuer gilt dasselbe wie schon für viele Teile der Reihe zuvor: Wer über die Schwächen hinwegsehen kann, wird viele Stunden Spaß haben - und jede Menge Staunen. Auch Japan-interessierte Serienneulinge dürften auf ihre Kosten kommen. Wer sich dagegen einen radikalen Neuanfang oder ein konsequentes Rückbesinnen auf alte "Assassin's Creed"-Traditionen gewünscht hat, den wird "Assassin's Creed Shadows" enttäuschen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke