66 Jahre nach der Revolution geht in Kuba das Licht aus. Jeden Tag. Überall im Land. Wenn sich abends ganze Viertel von Santiago de Cuba in Geisterstädte verwandeln, zieht Camilo Garcia seine Stirnlampe auf den Kopf, klatscht und jubelt – so wie seine Nachbarn. Galgenhumor auf Kubanisch. In anderen Vierteln scheppern sie lautstark mit Töpfen und Pfannen als Zeichen des Protests. Der 52-Jährige greift eine Flasche Rum und trifft sich mit Freunden auf der dunklen Straße, wo sie im schwachen Schein ihrer Funzeln Domino spielen. Ein Stück Normalität in all dem Chaos.
Manchmal dauert der Stromausfall ein paar Stunden, meist aber mehr als den halben Tag. Je größer die Distanz zu Havanna, desto desaströser die Versorgung. Und Santiago, zweitgrößte Stadt des Landes, wo Fidel Castro am 1. Januar 1959 den Sieg der Revolution über das Batista-Regime verkündete – Santiago ist knapp 1000 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Auch Garcia war einmal stolz auf die Revolution, stand hinter den Parolen, die auf riesigen Plakaten neben dem Konterfei des "Comandante" prangen. Auch jetzt, gut acht Jahre nach seinem Tod, prägen sie noch immer das Straßenbild: "Immer bis zum Sieg!", "Eine bessere Welt ist möglich" oder schlicht: "Kuba ist Fidel". Aber die Worte sind verblasst wie die Porträts.
"Seit Fidel Castro tot ist, geht es bergab mit Kuba", sagt Garcia verbittert, der in Wirklichkeit anders heißt. "Die Wirtschaft ist kaputt, das Regime korrupt. Und das Volk merkt das", sagt Garcia, der fürchten muss, für Sätze wie diese in den Knast gesteckt zu werden. Als im Juli 2021 Zigtausende Kubaner auf die Straße gingen, ließ das Regime die Proteste niederknüppeln. Immer noch sitzen mehr als 1100 politische Gefangene ein. "Wer etwas gegen das Regime sagt, lebt gefährlich", raunt Garcia, der als Kfz-Mechaniker, Taxifahrer und Touristenführer arbeitet. Wie viele Kubaner hat auch er mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen. Doch noch einmal ein Schulterblick – und dann sprudelt es nur so aus ihm heraus.
"Es gibt kaum noch Essen auf der Insel. Die subventionierten Lebensmittel reichen gerade mal für drei Tage im Monat", klagt er. Die staatlichen Leistungen hätten sich halbiert, die Preise vervielfacht. Und Zucker, ja selbst Zucker, mit dem Kuba einst die Welt belieferte, müsse zu horrenden Preise importiert werden. "Ein Kilo kostet 800 Pesos", empört er sich. Das entspricht knapp sieben Euro beim offiziellen Wechselkurs. Das Gleiche gilt für Reis. "Dabei verdienen die meisten Kubaner, auch Ärzte und Akademiker, weniger als 30 Dollar im Monat. Wie soll das gehen?"
Kein Öl, kein Strom
Kuba hat schon einige Krisen erlebt. Diesmal aber ist es anders. Einst war die Sowjetunion der Sugardaddy der Nation, Kuba der alimentierte Außenposten vor den Toren der USA. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks folgte eine Dekade der Depression, bis Anfang der 2000er Russland in die Bresche sprang und mehr noch der sozialistische Bruderstaat Venezuela. Doch diesmal ist mit solcher Hilfe nicht zu rechnen. Russland und Venezuela haben eigene Probleme. Havanna muss selbst einen Weg aus der Krise finden, will das kommunistische Einparteiensystem überleben. Und das Volk wird immer ungehaltener.
stern+ und Klassik Radio Select
statt 11,96 € nur 1 €
- Alles von stern+ mit erstklassigen Inhalten von GEO und Capital
- 4 Wochen testen, dann 2,99 € je Woche
- jederzeit kündbar
-
2 Monate Klassik Radio Select geschenkt mit 180 Musiksendern
Bereits registriert?
- Wirtschaftskrise
- Donald Trump
- Corona-Pandemie
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke