Frieden, Demokratie, Menschenrechte: Lange Jahre fielen die Begriffe an Sonntagsreden der europäischen Staats- und Regierungschefs. Mittlerweile sind sie zu eigentlichen «Kampfbegriffen» geworden. Denn von London über Paris bis nach Berlin herrscht Einigkeit: Europa muss seine Freiheit verteidigen – und massiv aufrüsten.
Astronomische Summen
Die Summen, die in den europäischen Hauptstädten genannt werden, erreichen schwindelerregende Höhen. Unter dreistelligen Milliardenbeträgen geht derzeit nichts. Am Sondergipfel in Brüssel haben die Mitgliedstaaten der EU soeben grünes Licht für Militärausgaben von bis zu 800 Milliarden Euro gegeben.

Die Einmütigkeit, in der das passiert, lässt aufhorchen: Angesichts der russischen Bedrohung und des amerikanischen Rückzugs steht Europa zusammen wie lange nicht. Ist das die gute Nachricht in Zeiten, in denen sich der Himmel über dem Kontinent verdunkelt?
Durchaus, findet die Europarechtlerin Thu Ngyuen: Zusammenstehen sei ein Gebot der Zeit – nicht nur in der EU, sondern in ganz Europa. «Es geht jetzt darum, auch nach aussen Geschlossenheit zu zeigen.» Die Zeit nationaler Alleingänge müsse vorbei sein, sagt sie auch mit Blick auf Ungarn und Viktor Orban.
Das Zusammenstehen muss man sich allerdings leisten können. Die Preisschilder für die Verteidigung sind nämlich happig, wie Thomas Fromm von der Süddeutschen Zeitung ausführt: Eine einzige Einheit des Flugabwehrsystems Iris-T SLM koste beispielsweise um die 150 Millionen Euro.

Das Beispiel zeigt, wie schnell Rüstungsbeschaffungen in die Milliarden gehen können. Europa muss für seine Freiheit tief in die Tasche greifen. Bislang fliesst das Geld zu einem beträchtlichen Teil in die USA. Für Fromm ist aber klar, dass Europa rüstungspolitisch unabhängiger werden muss.
Um Europa effizient aufzurüsten und eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur zu bewerkstelligen, müssen die Rüstungsunternehmen zusammenarbeiten – und das länderübergreifend. «Es braucht mehr Kooperationen wie zwischen dem deutschen Hersteller Rheinmetall und dem italienischen Hersteller Leonardo», sagt Fromm.
Aufrüstung als Wirtschaftsfaktor
Die steigenden Rüstungsausgaben dürften das Wachstum in Europa ankurbeln. Der Chef des deutschen Rüstungsunternehmens Hensoldt erklärte jüngst, dass man die Verteidigungsindustrie als Wirtschaftsmotor betrachten müsse. Ist das blosse PR? Die schwingt zwar mit, sagt Fromm. «Ein Stück weit ist es aber auch Realität.»
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft schliesst unter dem Titel «Aufrüsten für den Wohlstand»: «Deutschland ist derzeit nicht verteidigungsfähig, und die Wirtschaft lahmt. Der Staat sollte aus dieser Not eine Tugend machen und mit Ausgaben für Rüstung das Wachstum ankurbeln.»
Der Wirtschaftsjournalist relativiert: Angesichts der volatilen Welt- und Wirtschaftslage liessen sich Rüstungsanstrengungen nur schwer in konkrete Wachstumsprognosen übersetzen. Und letztlich werde der «riesige Kraftakt» gestemmt, um Europa zu verteidigen. Wenn dabei die Wirtschaft wachse, sei dies aber natürlich willkommen.
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