Inhalt des Artikels:

  • 90 Prozent der Rüstungsstandorte im Westen
  • Görlitz erster Rüstungsstandort im Osten
  • Rüstungsindustrie bereits Wirtschaftsfaktor im Osten
  • Rheinmetall hat Pläne im Osten wegen Protest aufgegeben
  • Soziologe: Rüstungsindustrie im Osten anders wahrgenommen

90 Prozent der Rüstungsstandorte im Westen

Deutschland investiert Milliarden-Beträge in die eigene Sicherheit. Im ausgehandelten Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es: "Die Bedrohungslage zwingt uns mit dem Ziel der Abschreckung zur Erhöhung unserer Verteidigungsausgaben". Von den höheren Militärausgaben und dem Sondervermögen für die Bundeswehr profitiert die deutsche Rüstungsindustrie. Doch in erster Linie im Westen, denn ostdeutsche Unternehmen bleiben bei der Auftragsvergabe weitgehend außen vor. Die Rüstungsstandorte hierzulande liegen nach Aussagen von Jens Lehmann, der für die CDU im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages sitzt, zu 90 Prozent im Westen, nur zehn Prozent beträge der Anteil in Ostdeutschland. Auf MDR-Nachfrage bestätigt der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie die Zahlen.

Lehmann fordert mehr Gelder für den Osten: "Wir haben 35 Jahre die Bundeswehr heruntergefahren, dass muss man niemandem zur Schuld machen. Das war auch gesellschaftlicher Konsens. Das hat sich jetzt weltpolitisch geändert. Davon profitiert auch die deutsche Industrie. Und davon sollten eben nicht nur Leute im Westen profitieren. Es sind unsere Steuergelder. Und da bin ich auch selbstbewusst genug, dafür zu kämpfen, dass auch im Osten was kommt", erklärt er dem MDR-Magazin Umschau.

Görlitz erster Rüstungsstandort im Osten

Seit Februar diesen Jahres ist bekannt, dass das Waggonbauer-Werk in Görlitz vom deutsch-französischen Rüstungskonzern KNDS übernommen wird. Es werden dann nicht mehr Doppelstockzüge und Straßenbahnen gebaut, sondern künftig Panzerteile. Eine 175-jährige Tradition geht damit zu Ende. Görlitz wird dann zu einem ostdeutschen Rüstungsstandort. Gleich nach Bekanntwerden der Übernahmepläne gab es Demonstrationen gegen den geplanten Panzerbau. Auf der anderen Seite feierte die Politik den Erhalt des Standorts mit seinen derzeit 700 Arbeitsplätzen.

"Man kann das gut finden oder nicht, aber am Ende geht es um den Erhalt der Industriearbeitsplätze. Von diesen Industriearbeitsplätzen, die tarifiert sind, partizipiert die ganze Stadt", sagt Alstom-Betriebsratsmitglied Toni Menzel Mitte April 2025 im MDR-Magazin Umschau dazu. Die Stadt hat rund 55.000 Einwohner. Befragte Passanten sprechen offen über ihre Ängste. "Wenn die alle am Rad drehen, kann es natürlich sein, dass sie hier angreifen, weil es ja hier gebaut wird", sagt eine junge Frau. "Diese Fokus-Verschiebung, von einer Stadt, die vorher unbedeutend war, und jetzt wichtig in Kriegsproduktion ist, ist meines Erachtens nicht richtig", äußert sich ein Familienvater. Mitarbeiter im Unternehmen sehen nun vor allem Arbeitsplätze gesichert. "Die Mehrheit der Kollegen sagt, wir haben einen Job, wir wollen den Job behalten und wir haben zuhause Familien zu ernähren", so Alstom-Betriebsrat Menzel. Bisher ist die KNDS-Übernahme in Görlitz eine Ausnahme-Ansiedlung im Osten.

Gegen Görlitz als Rüstungsstandort gab es nach Bekanntwerden der Pläne deutliche Proteste.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Anfang 2026 sollen die ersten Panzerteile geliefert werden können. Der baldige Arbeitgeber KNDS hat den Waggonbauern versichert, dass in Görlitz ausschließlich Panzerteile für Bundeswehr und NATO gebaut werden. Mindestens die Hälfte der 700 Mitarbeiter kann am Standort bleiben und für alle anderen wird es eine sozialverträgliche Lösung geben. "Es ist vielleicht nicht die Lösung, die sich jeder gewünscht hatte. Abgesehen davon werden wir hier hoffentlich für die Stärkung unserer Bundeswehr bauen und dazu beitragen, gerade Frieden zu sichern", so Octavian Ursu, der Bürgermeister von Görlitz (CDU), zur Stimmung in der Stadt.

Die Mehrheit der Kollegen sagt, wir haben einen Job, wir wollen den Job behalten und wir haben zuhause Familien zu ernähren.

Alstom-Betriebsratsmitglied Toni Menzel

Rüstungsindustrie bereits Wirtschaftsfaktor im Osten

Die Firma Nordmetall in Neukirchen, nahe Chemnitz, testet vor allem Panzerstahl auf alle möglichen Belastungen, denen er im Kampfeinsatz ausgesetzt ist. Ihr Hauptkunde ist die Bundeswehr, aber auch die großen Systemhäuser Rheinmetall und KNDS lassen dort forschen. 17 Mitarbeiter gibt es aktuell in der über 20 Jahre alten erzgebirgischen Firma. "Ich glaube, im Detail wissen viele Menschen nicht, was konkret hier am Standort passiert. Wir sind ein sehr spezialisiertes Unternehmen", sagt Geschäftsführer Norman Herzig. "Da sind wir auch die einzigen, die solche Panzerstähle bei hohen Geschwindigkeiten und in der Dicke prüfen können", erklärt er. Die Akzeptanz für den Dienstleister der Bundeswehr ist mitunter aber verhalten. Der Bürgermeister von Neukirchen möchte sich gegenüber der Umschau nicht zur Nordmetall GmbH äußern.

Auch die Elbe-Flugzeugwerke in Dresden bekommen Aufträge aus dem Verteidigungsbereich. Zu DDR-Zeiten wurden dort Militärmaschinen aus der Sowjetunion und den Warschauer Pakt-Staaten repariert. Damit war nach der Wende komplett Schluss. Erst seit 2019 hat der traditionelle Flugzeugbauer einen Wartungsauftrag der Bundeswehr für den Frachthubschrauber NH-090. "Die Hoheit oder die Beziehungen, die traditionell mit der Bundeswehr in solchen Bereichen gegeben sind, haben Firmen, die hauptsächlich aus dem Westen kommen. Wir sind die einzige ostdeutsche Firma, die solche Fähigkeiten aufgebaut hat. Aber es ist schwierig", sagt Jordi Boto, CEO des Unternehmens zum MDR-Magazin Umschau. Der militärische Bereich ist im ansonsten zivilen Unternehmen wichtig und sichert einen Teil der 2.000 Arbeitsplätze. Vor wenigen Tagen wurde jedoch bekannt, dass der Wartungsauftrag von der Bundeswehr hier in Dresden wahrscheinlich nicht fortgeführt wird.

Rheinmetall hat Pläne im Osten wegen Protest aufgegeben

Rheinmetall ist der größte deutsche Rüstungsproduzent und er baut derzeit seine Kapazitäten und Standorte enorm aus. Pläne, eine Pulverfabrik im sächsischen Großenhain zu bauen, wurden Mitte 2023 aber wieder verworfen. Die geplante Ansiedlung auf dem ortsnahen Flugplatz-Areal mit mindestens 500 Arbeitsplätzen stieß damals auf enormen Widerstand. "Man ist natürlich dann auch mit einem roten Punkt auf der Karte irgendwo. Hier steht eine Pulverfabrik in Großenhain", begründete etwa der parteilose Sebastian Bieler, Stadtrat von Großenhain, damals seine Kritik.

Die Stadträte wendeten sich mit einem Brief an den sächsischen Ministerpräsidenten, dass die Großenhainer Angst haben vor technischen Störfällen, terroristischen Cyberattacken oder gar russischen Raketen. Eine Volksbefragung wurde zudem organisiert. Rheinmetall nahm aufgrund der fehlenden Planungssicherheit von einer millionenteuren Ansiedlung Abstand und baut die Pulverfabrik nun in Bayern. "Man kann nicht irgendwas planen, viel Geld reinstecken und es fällt trotzdem hinten durch", erklärt der CDU-Bundestagsabgeorndete Jens Lehmann dazu. Der Chef der Rheinmetall habe ihm in einem Telefonat sein Unverständnis gegenüber der Volksabstimmung erklärt.

Soziologe: Rüstungsindustrie im Osten anders wahrgenommen

Der Hallenser Soziologe Tobias Jaeck hat sich damit auseinandergesetzt, warum Rüstungsindustrie im Osten anders wahrgenommen wird als im Westen, obwohl die gesellschaftliche Akzeptanz zu höheren Rüstungsausgaben im Westen wie im Osten gleich zugenommen hat und nun bei 75 Prozent liegt. "Interessant finden wir, dass das Bedrohungsgefühl im Osten gegenüber Russland deutlich weniger verbreitet ist als im Westen. Es gibt Differenzen von bis zu 20 Prozent. Und da ist man auch der Ansicht, was die Sicherheitspolitik angeht, dass man genauso mit Russland zusammenarbeiten muss, wie man mit den USA zusammenarbeiten muss. Wenn Sie sich jetzt so eine Art sicherheitspolitische Grundorientierung anschauen, sind zum Beispiel die Menschen im Osten viel weniger der Ansicht, dass man Konflikte überhaupt militärisch lösen kann", erklärt er gegenüber dem MDR-Magazin Umschau.

Tobias Jaeck forscht am Zentrum für Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle. Er untersucht seit vielen Jahren den Wandel der politischen Einstellungen und gesellschaftlichen Stimmungen im Osten. "Die Bedrohung wird zum Beispiel durch die Aufrüstung gesehen. Vielleicht auch aus der Erinnerung an die 1980er-Jahre. Eine Zeit, als der kalte Krieg so seinen Höhepunkt erreicht hatte", sagt er.

MDR (cbr)

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