SPD und Union sollten sich schämen: Die heftig verspottete Öko-Partei muss den gröbsten Unfug der Bald-Koalitionäre bremsen.

In einem gemeinsamen Anfall von Gutsherrenart haben SPD und Union die Zustimmung der Grünen zu ihren Finanzmanövern vereinnahmt. Einfach mal so, als könnten sich die Grünen nicht sperren, wenn die "Volksparteien" zum Diktat rufen. Als würden die Anführer von CDU, CSU und SPD tatsächlich glauben, die Grünen hätten immer noch Nachweisbedarf in Sachen "staatstragend". Der krasse Kontrast zu ihrem Grünen-bashing während – und in einem pathologischen Einzelfall – auch nach der Wahl scheint sie nicht zu stören, und es fehlen einem die Worte dafür: Ist das nur dreist oder schon knalldoof, weil politisch unfassbar kurzsichtig?

Es stimmt natürlich: Mit ihrem ideologiegetriebenen, massiv überschießenden Klimaschutz-Sofortismus hatten die Grünen maßgeblich Anteil an der Zerrüttung der Ampel-Koalition. Ebenso mit ihrer traditionellen Weigerung, die Zeichen der Zeit in Sachen Migrations-Begrenzung zu erkennen. Dafür haben sie bei der Bundestagswahl die Quittung bekommen, fair enough. Allein: Anders als die SPD ziehen die Grünen aus solchen Niederlagen Konsequenzen. Nach der Europawahl traten die beiden Parteichefs zurück. Nach der Bundestagswahl ziehen sich Robert Habeck und Annalena Baerbock zurück. Allein dafür verdienen sich die Grünen Respekt. Anders als andere.

Langsam aber sicher lieben muss man die Partei indes dafür, dass sie sich dem ebenso denkfaulen wie konfliktfeigen Schulden-Manöver in den Weg stellt, das die Bald-Koalitionäre glaubten, als allererstes beschließen zu müssen. Dabei lassen sich die Extra-Schulden für Aufrüstung vergleichsweise noch rechtfertigen. Selbst für den wenig appetitlichen Umstand, dass der alte und nicht der neue Bundestag diese Aufrüstung beschließen soll, lassen sich Argumente finden. Hier wollen die Grünen lediglich auch Cyber-Sicherheit in den Zielkatalog aufnehmen – und SPD und Union müssen sich fragen lassen, unter welchem Stein sie verhandelt haben, dass sie darauf nicht selbst gekommen sind. So weit, so gut.

Deutlich schwieriger wird es mit dem "Sondervermögen Infrastruktur" – und die grüne Partei umso wichtiger. Diese Schulden dürften eigentlich, wenn überhaupt, nur der letzte von drei Schritten sein, aber keinesfalls der erste. Zuerst wäre nämlich zu klären, ob die nötigen Investitionen in Brücken, Kitas und Schulen tatsächlich an Geldmangel scheitern oder vielleicht vor allem an Bürokratismus, Saumseligkeit, Verantwortungsdiffusion und dem Umstand, dass wir zwar drei Millionen Arbeitslose haben, aber viel zu wenig Bauarbeiter. Wenn es tatsächlich am Geld liegen sollte, dann müsste man als Nächstes schauen, ob es sich an anderer Stelle in den rekordgroßen öffentlichen Haushalten finden lässt, durch Umschichten oder Sparen. Und wenn auch das nicht ausreicht, dann könnte man über Schulden reden.

Von der Vernunft dieser Reihenfolge haben sich CDU und CSU im Wege des Wortbruchs losgesagt. Die SPD wiederum wollte dieser Logik nie folgen, da bleibt sie sich immerhin treu. Ein Euro weniger im sklerotischen Sozialstaat ist für die SPD ein direkter Angriff auf den Zusammenhalt der Gesellschaft, mithin auf die deutsche Demokratie. Warum die AfD Arbeiterpartei Nummer 1 ist, nicht nur im Osten, fragen sich führende Sozialdemokraten offenbar nicht. Wahr ist: Teile der Antwort könnten sie verunsichern.

Die Grünen versuchen nun, wenigstens für ein bisschen Ehrlichkeit und Kassensturz zu sorgen. Dafür muss man sie fast lieben. Sie fordern so erschütternd banale, schier selbstverständliche Dinge wie die Garantie, dass aus dem Schuldentopf ausschließlich "zusätzliche" Investitionen finanziert werden. Das zuzugestehen, fällt den Möchtegern-Koalitionären schwer: mit Milliarden-teuren Versprechen für Sozialkonsum (Mütterrente, Pendlerpauschale oder Gastro-Subvention) hat man sich die Spielräume schon vor Anpfiff vernagelt. Auch hier standen die Verhandlungen auf dem Kopf. Konsum ist gesetzt, aber Wachstum nur eine Hoffnung. Andersherum gehört es sich.

Und so sehr einem die Grünen manches Mal während der Ampelzeit auf die Nerven gingen – jetzt muss man ihnen die Daumen drücken. Dass sie ihr Ja zu den Schuldentöpfen von massiven Veränderungen des Sondierungspapiers abhängig machen. Dass sie das Comeback der großen Subventions-Gießkanne verhindern, das zig Milliarden kostet, den Moment der Wahrheit ein paar Jahre hinausschiebt und die Jungen zu den Opfern der Älteren macht. Denn die Jungen müssen für die Schulden zahlen, wiewohl sie vom Sozialkonsum nur wenig haben. Dabei haben sie einen Anspruch, dass das Geld nicht eitel verfrühstückt sondern investiert wird. Damit ihren Schulden am Ende wenigstens etwas Werthaltiges gegenübersteht und nicht bloß ein kurzer Moment erkaufter Ruhe.

Kurzum: Die Grünen mögen als Regierungspartei für viele eine Enttäuschung oder eine Zumutung gewesen sein. Als Opposition sind sie für mindestens ebenso viele jetzt die letzte Hoffnung. So weit sind wir gekommen, bevor die neue Regierung überhaupt begonnen hat.

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