Der erste große Schock im Leben von Thobeka S. kam an einem Freitagnachmittag, kurz nach ihrem zwölften Geburtstag. Da nahm ihre Mutter sie zur Seite. Die Tabletten, die sie Zeit ihres Lebens geschluckt hatte, seien nicht, wie immer behauptet, gegen ein vermeintliches Leberleiden, wurde der Tochter eröffnet. Sie habe HIV, seit der Geburt schon, übertragen von der Mutter während der Schwangerschaft.
Seit sechs Jahren lebt Thobeka (Name geändert) mit der Gewissheit der Krankheit. Es ist ein Stück weit Normalität geworden. Gerade hat sie ihren Schulabschluss gemacht, macht nun eine Ausbildung zur Krankenschwester. Eine junge Frau voller Hoffnung. Auf einen Arbeitsplatz, ein Leben außerhalb des Kapstädter Townships Khayelitsha, in dem sie aufgewachsen ist. Und natürlich Gesundheit. HIV war für Thobeka kein Virus mehr, das ihre Träume bedrohte.
Doch vor einigen Wochen las die Südafrikanerin auf Facebook von der Einstellung der Auslandshilfen durch die USA und Donald Trumps Feldzug gegen die „Behörde für internationale Entwicklung“ (USAID). In dem Post hieß es, dass deshalb auch die Finanzierung des HIV-Programmes in Südafrika in Gefahr sei.
Das Land ist mit rund acht Millionen Infizierten das am stärksten von der Epidemie betroffene und auch der größte Empfänger entsprechender Unterstützungsleistungen. Allein das US-Programm Pepfar zahlte im vergangenen Jahr knapp eine halbe Milliarde Dollar an Südafrika. Offiziell beträgt der Anteil an der Finanzierung 17 Prozent, Südafrikas Regierung zahlt fast Dreiviertel selbst. Doch angesichts leerer Haushaltskassen ist die Lücke kurzfristig kaum zu füllen.
„Ich hatte keine Ahnung, dass die USA für meine Medizin bezahlen“, sagt Thobeka, und man denkt unwillkürlich daran, wie schlecht die Öffentlichkeitsarbeit der Industrienationen in Afrika ist. Während sich China mit seinen Krediten für Infrastrukturprojekte als Wohltäter des Kontinents dargestellt hat, ist eine andere Entwicklung völlig untergegangen.
Denn einige der größten humanitären Errungenschaften in Afrika der letzten Jahrzehnte – wie steigende Lebenserwartung und rasant sinkende Sterblichkeitsraten bei kleinen Kindern – sind vor allem auf Hilfsleistungen der Staaten zurückzuführen, die einmal als „der Westen“ galten.
Der Einschnitt des USAID-Kahlschlags ist jedenfalls nirgendwo mehr zu spüren als auf dem Kontinent. Die Behörde hat 5800 der 6300 Verträge für weltweite Auslandshilfe gekündigt – so sollen 54 Milliarden Dollar eingespart werden. Auch vom Außenministerium wurde die Zahl von Vereinbarungen für Fördermittel auf 5000 fast halbiert, wodurch weitere 4,4 Milliarden Dollar gestrichen werden.
Die Folgen sind dramatisch, nicht nur im Bereich HIV/Aids, sondern auch beim Kampf gegen Malaria, Tuberkulose, Forschung – und natürlich der Nothilfe. Sieben Milliarden Dollar fallen allein dem Welternährungsprogramm (WFP) weg, dessen Budget bislang fast zur Hälfte von den USA getragen wurde.
Wegen des Trump-Dekrets seien künftig mindestens zwölf Millionen weitere Menschen allein in Ost- und Westafrika von Hunger bedroht, teilte die ohnehin unterfinanzierte UN-Agentur mit. Das Büro für das von Dürren heimgesuchte südliche Afrika wurde bereits geschlossen.
26 Millionen Menschenleben gerettet
Zunächst hatte es zumindest bei HIV-Projekten Hoffnung gegeben, dass es für sie Ausnahmegenehmigungen geben könnte. Diese wurden vom US-Außenministerium für „lebensrettende Leistungen“ in Aussicht gestellt, letztlich aber nur in wenigen Fällen gewährt.
Ende Februar bekamen auch in diesem Bereich die meisten Hilfsorganisationen Post von den USA, mit dem finalen Hinweis, dass ihre Arbeit „nicht im Einklang mit den Prioritäten der Agentur sei“ – und auch nicht „den nationalen Interessen“ entspräche.
„Vielen Dank für die Zusammenarbeit mit USAID und Gott segne Amerika“, heißt es unverhohlen am Ende des Schreibens. Es sind unwürdige Zeilen für eine der größten Erfolgsgeschichten der USA im Bereich der humanitären Hilfe. Seit der Schaffung von Pepfar im Jahr 2003 durch den damaligen Präsidenten George W. Bush, wurden dank des Programms 26 Millionen Menschenleben gerettet.
Länder wie Uganda und Tansania sind noch weit abhängiger von der US-Unterstützung als Südafrika. Sambia vermeldete bereits einen 20-prozentigen Anstieg von unbehandelten HIV-Patienten, seit die Hilfsgelder eingefroren wurden.
Auf „X“-Accounts, die Trump wohlgesonnen sind, wird derzeit eifrig ein Zitat von Muhammad Ali Pate geteilt, dem Gesundheitsminister Nigerias. „Wir tun unser Bestes, um uns an diese Entwicklung anzupassen“, sagte der Politiker des bevölkerungsreichsten afrikanischen Landes (237 Millionen Einwohner). Letztlich sei die US-Regierung aber nicht für die Gesundheit und Sicherheit Nigerias zuständig: „Am Ende liegt die Verantwortung bei uns.“
Das ist natürlich richtig, aber es ist auch klar, dass Afrika die größte Krankheitslast aller Kontinente trägt und gleichzeitig über die geringsten Mittel zur Bewältigung verfügt. Ohne internationale Hilfe ist sie, egal, wie effektiv die vorhandenen Mittel auch verwendet werden, nicht zu bewältigen. In Südafrika etwa errechneten Forscher, dass ein permanenter Ausfall der US-Mittel im kommenden zehn Jahren zu 500.000 Aids-Toten führen könnte.
Die Sorge ist nicht nur bei Patientinnen wie Thobeka groß, sondern auch bei den HIV-Aktivisten des Landes. Einige von ihnen sitzen an einem Freitagnachmittag in einer Kirche in Khayelitsha. Einen anderen Raum für ihre Treffen habe man nicht, entschuldigt sich einer. Die Mittel waren schon vor Trump knapp.
Die älteren Aktivisten kämpfen schon seit über 20 Jahren gegen das Stigma. Und für eine bessere Versorgung. Damals war Südafrikas Regierung das Problem, empfahl öffentlich Rote Beete und Knoblauch anstelle von wirksamen antiretroviralen Medikamenten gegen das Virus.
„Die Leute haben sich damals ein paar Pillen im Laden gekauft, um ihr Immunsystem zu stärken“, sagt Mawaka Tomose, der eine infizierte Cousine hat. „So viele Menschen starben unnötig. Ich bete, dass es nicht wieder dazu kommt.“
Die Aktivisten berichten, wie sie und Tausende andere mit mühevoller Arbeit an der Basis dazu beitrugen, dass in ihrem Land inzwischen 94 Prozent der Infizierten ihren Status kennen. 80 Prozent davon erhalten antiretrovirale Medizin, was die Viruslast so weit senkt, dass die Ansteckungsgefahr nachlässt.
„Wir sind von Tür zu Tür gegangen, haben Aufklärungsarbeit geleistet“, erzählt Tomose, „die Situation war sehr ernst, besonders in den Dörfern gab es große Skepsis gegen die Medizin.“ Er glaubt, dass sich in diesen Tagen Jahrzehnte des Fortschritts auflösen könnten: Beim Vertrauen in die Regierung etwa, die zur Durchsetzung des Covid-Lockdowns die Armee nach Khayelitsha schickte, aber den zunehmenden Gewaltverbrechen kaum Personal entgegenstellt.
Vertrauen in die Regierung verloren
Tomose glaubt deshalb nicht, dass sie ihr Versprechen einlöst, die Pepfar-Lücke zu schließen. Auch das Vertrauen in die Pharma-Unternehmen werde leiden, die ihr Versprechen gebrochen hätten, in Medizinproduktion auf dem Kontinent zu investieren. Und in die globalisierte Welt im Allgemeinen.
„Kapitalisten interessieren sich nicht für die Armen“, sagt Tomose, „besonders nicht, wenn sie schwarz sind.“ Trump versuche alles, um den Dollar zu stärken – das aber mache es für die Menschen in dem Township noch schwieriger zu überleben. Das betreffe längst nicht nur den Kauf von Medikamenten. Sondern auch die steigenden Lebensmittelpreise.
Diese Entwicklung dürfte sich vor allem in Südafrika fortsetzen, schließlich hat Trump das Land ins Visier genommen wie wenige andere. Öffentlich kritisierte er die vermeintliche Benachteiligung der weißen Minderheit im Land, auch der freundliche Ton der israelkritischen Regierung gegenüber Iran und China ist ihm ein Dorn im Auge.
Schon vor seiner Wahl gab es zudem sowohl bei den Demokraten als auch Republikanern Bestrebungen, Südafrika wegen seiner Russland-Nähe den zollfreien Zugang zum US-Markt zu streichen. Ein Szenario, das in diesen Tagen immer wahrscheinlicher wird. Südafrikas Wirtschaft und Steuerbehörde droht ein Milliardenschaden. Besonders im arbeitsintensiven verarbeitenden Gewerbe rechnen Analysten mit Tausenden Entlassungen.
Derartige Szenarien beschäftigen die Patientin Thobeka in Khayelitsha derzeit wenig. Nachdem sie von dem Trump-Dekret gehört hatte, holte sie erst einmal ihre antiretrovirale Medizin aus der Schublade. In der Klinik hatte sie nur einige Tage zuvor genug Tabletten für das ganze Jahr bekommen. Nervös schaute sie auf das Haltbarkeitsdatum und atmete etwas auf: 2028. „Die nächsten Monate bin ich sicher“, sagt die junge Frau, „ich kann nur beten, dass ich es auch danach noch bin.“
Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.
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