Sie hatten sich doch längst verabschiedet, nun sind sie wieder da: Der ganze alte Bundestag kommt in Berlin zusammen, um über die Schuldenpläne von Union und SPD zu diskutieren. Im Zentrum des Geschehens: die Grünen. Um deren Zustimmung werben die kommenden Regierungsparteien. Doch die zieren sich genüsslich.
Zack, da sitzt sie wieder hoch oben über dem Podium: Bärbel Bas, Bundestagspräsidentin wie eh und je. Die eigentlich letzte Plenarsitzung ihrer Amtszeit ist zwar genau einen Monat her und Bas ein inzwischen gar nicht mehr so überparteiliches Mitglied im Koalitonsverhandler -Team ihrer SPD. Doch ebendiese hat zusammen mit der Fraktion von CDU und CSU eine Sondersitzung des alten Bundestags beantragt. Der neue Bundestag hätte frühestens am kommenden Montag zusammentreten können. Union und Sozialdemokraten haben da aber etwas Eiliges zu besprechen.
Also sind alle nochmal in alter Funktion nach Berlin gereist: das alte Bundestagspräsidium, das sich doch teils unter Tränen verabschiedet hatte. Abgeordnete von FDP und BSW, deren Parteien die Wähler doch aus dem Bundestag gekegelt haben. Mandatsträger von CDU, SPD und Grünen, die sich doch schon in der Politikrente wähnten, die einen freiwillig, die anderen nicht so. Es ist wie ein Klassentreffen, vier Wochen nach Schulschluss. Wer einander mochte, hat eh noch Kontakt. Neues zu erzählen hat noch niemand.
Die FDP wundert sich
"Es ist ein seltsames Gefühl, schon so kurz nach dieser Bundestagswahl als Freier Demokrat schon wieder am Podium dieses Bundestags zu stehen", bekennt der FDP-Abgeordnete Johannes Vogel. Seine Partei ist eigentlich schon mit der Liquidation ihrer Fraktion beschäftigt. Die Mitarbeiter, die Faxgeräte, das Mobiliar: Alles muss weg. Jetzt aber bekommt die FDP nochmal die große Bühne. Dass Union und SPD via Grundgesetzänderungen quasi unbegrenzt aufrüsten wollen, 500 Milliarden Euro Kredit für Investitionen haben und auch die Schuldenregel für die Bundesländer lockern wollen, sei "unverantwortlich und falsch", sagt Vogel.
Sein Parteivorsitzender, der angehende Ex-Politiker Christian Lindner, fragt gar in Richtung der Unionsfraktion: "Wer sind Sie und was haben Sie mit Friedrich Merz gemacht?" Lindner mag angeblich gar nicht glauben, wie schnell Merz nun die Schuldenbremse aufweichen will, nachdem doch die CDU während des Wahlkampfs im Gleichklang mit der FDP einen solchen Schritt noch vehement ausgeschlossen hatte. Die Wendehals-Vorwürfe muss sich Merz auch von Rednern der AfD, Grünen, Linken und des BSW anhören. Dass einer der Abgeordneten meint, Merz' Hals sei inzwischen gedrechselt, bringt auch den CDU-Vorsitzenden zum Lachen.
Grüne wollen noch nicht zustimmen
Weniger locker und auch weniger vorwurfsvoll in Richtung Union sprechen die Sozialdemokraten. Sie haben am meisten "Ehemalige" in ihren Reihen. Eine davon tritt ans Pult: Lucia Schanbacher war erst im Januar in den Bundestag nachgerückt, aber nicht wiedergewählt worden. Sie hält an diesem Tag ihre erste und letzte Rede im Bundestag. Die dürfte nicht hängenbleiben, eher schon die letzten Worte von Hubertus Heil: "Man muss auch über den eigenen kleinkarierten Schatten springen können", beendet der letzte Redner dieser dreistündigen Debatte seinen Beitrag - und reißt damit ein, was er vorher mühevoll gesponnen hat: Garn für die Grünen.
Denen sei er nämlich "dankbar" dafür, dass sie auf mehr Klimaschutz im geplanten Sondervermögen pochen, sagt der Noch-Arbeitsminister. Er sei den Grünen auch "dankbar", dass sie darauf dringen, die von der Schuldenbremse ausgenommenen Verteidigungsausgaben nicht nur für die Bundeswehr sondern auch auf Geheimdienste sowie den Zivil- und Bevölkerungsschutz auszuweiten. Immer vorausgesetzt, Sondervermögen und Sonderregel für Verteidigungsausgaben kommen so. Denn noch zieren sich die Grünen. "Eine Zustimmung zu dem, was Sie vorgelegt haben, steht in Frage. Das wissen Sie hoffentlich und das ist mit dem heutigen Tage nicht besser geworden", sagt deren Fraktionschefin Britta Haßelmann.
"Was wollen Sie eigentlich noch?"
So geht das die ganze Zeit: Ein Redner oder eine Rednerin von SPD, CDU oder CSU tritt ans Pult, erklärt erstens die plötzlich und drastisch unsicherer gewordene Weltlage, erläutert zweitens den Investitionsstau in Deutschland, lobt drittens die Grünen für ihre wichtige Kritik an den angedachten Grundgesetzänderungen und appelliert viertens, doch jetzt bitte endlich einmal zuzustimmen um des lieben Landes willen. Es ist nicht weniger als die Bundestagsversion des Verhör-Klassikers "Guter Bulle, böser Bulle".
So macht es Sozialdemokrat Heil, so macht es Chef-Christdemokrat Friedrich Merz. Bei dem klingt das dann so: "Lassen Sie mich ein Wort des Dankes an die Grünen-Fraktion richten" für "außerordentlich gute, vertrauensvolle Gespräche". SPD und Union wollten nun auch einen Teil des Sondervermögens für den Klimaschutz aufwenden, flötet der angehende Kanzler, "weil Sie ja völlig zu Recht in den letzten Tagen auch darauf hingewiesen haben, dass dieses Geld auch für den Klimaschutz zur Verfügung stehen muss". Dann wechselt er in die Rolle des bösen Bullen: Mit dem Geld von Union und SPD werde repariert, was die Ampel nicht hinbekommen habe, sagt Merz. Dann platzt aus ihm heraus: "Was wollen Sie eigentlich in so kurzer Zeit noch mehr, als das, was wir Ihnen jetzt in den Gesprächen der letzten Tage vorgeschlagen haben?"
Schwer zu sagen, wie echt diese Empörung ist. Soll da den Grünen die Verantwortung zugeschoben werden, wenn Deutschland angesichts der neuen Allianz zwischen den Regierungen Russlands und der USA nicht schnell abwehrbereit wird? Oder liegen da doch Nerven brach, weil die beharrliche Verweigerungshaltung der Grünen das Projekt Kanzlerschaft gefährdet? Ohne Sondervermögen jedenfalls werden die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD schwierig.
Grüne wollen mehr
Die Grünen geben nicht zu erkennen, dass das "Guter Bulle, böser Bulle"-Spiel Eindruck auf sie macht. Im Gegenteil: "Ich habe darauf gewettet, dass Sie hier vor dem Deutschen Bundestag stehen würden und sagen würden 'Ich habe neue Erkenntnisse. Die Weltlage ist eine andere. Auf einmal sehe ich ein, dass die Schuldenbremse reformiert werden muss - zufällig zu dem Zeitpunkt, wo ich selber Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden möchte'", sagt Co-Fraktionschefin Katharina Dröge. Nur wie schnell das nun komme, überrasche sie.
Die Zugeständnisse von Union und SPD reichen ihrer Fraktion noch nicht. Die Grünen wollen ganz sicher sein, dass jeder einzelne Kredit-Euro für Verteidigung und Infrastruktur ein Extra ist, das obendrauf kommt. Keinesfalls sollen die neuen Schulden der schwarz-roten Koalition Spielräume für etwaige Wahlgeschenke wie Steuersenkungen ermöglichen. Das hätte man gerne auch schwarz auf weiß. Ferner wollen die Grünen keinesfalls die Verantwortung übernehmen, falls der Gesetzgebungsprozess im Nachhinein noch juristisch gekippt wird. Die Bevölkerung soll wissen, auf wessen Sondierungsmist die Abstimmung im alten Bundestag gewachsen ist.
Amüsierter Habeck, müder Scholz
Und eine Demutsgeste der Union hätte man auch gerne. Die Union solle doch ihren Irrtum, dass das vorhandene Geld reicht, einmal laut eingestehen, sagt Fraktionsvize Andreas Audretsch. Denn: "Unredlichkeit hat Konsequenzen."
Auf der Regierungsbank sitzt derweil Robert Habeck und verfolgt das Schauspiel mit amüsierter Miene. Dass Merz nun von diversen Rednern beschieden wird, Robert-Habeck-Politik zu machen, ist ein kleiner Triumph für den Grünen-Kanzlerkandidaten, nachdem Merz im Wahlkampf ja kein gutes Haar am Bundeswirtschaftsminister und dessen Schuldenplänen gelassen hatte.
Neben Habeck sitzt der Noch-Bundeskanzler. Olaf Scholz wirkt eher erschöpft ob des nicht enden wollenden Schlagabtauschs. Er weiß auch: Entschieden wird ohnehin erst in den kommenden Tagen. Bis Dienstag muss eine Einigung zwischen Union, SPD und Grünen stehen. Dann versammelt sich der alte Bundestag zu einer erneuten Sondersitzung, um über die Anträge zur Änderung des Grundgesetzes zu entscheiden. Es ist dann das wirklich das letzte Mal - also höchstwahrscheinlich zumindest.
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