Altkanzlerin Merkel schätzt in einem Interview das Machtgebaren Putins Richtung Europa ein und verurteilt den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Einen kleinen Seitenhieb gegen Präsident Selenskyj setzt sie aber - und erklärt, was ihr am Diskurs hierzulande missfällt.

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in einem Interview mit der "Berliner Zeitung" über Russlands Präsidenten Wladimir Putin geäußert. "Präsident Putin versucht, die Europäische Union zu schwächen, mit den Mitteln, die ihm im Augenblick zur Verfügung stehen." Es sei Teil der russischen Militärdoktrin, andere Länder zu schwächen, sagte die CDU-Politikerin auf die Frage, ob Putin das Baltikum, Deutschland und Polen angreifen würde. Merkel betonte allerdings auch: "Es gibt keinerlei Entschuldigung dafür, dass er ein anderes Land überfällt. Aber den Diskurs über die Interessen Russlands muss man zulassen."

Ihrer Wahrnehmung nach gehe es Putin sehr um Anerkennung - "gerade von Amerika". Dieses Denken komme noch aus der Zeit des Kalten Krieges. Für Putin seien die relevanten Größen nicht Deutschland oder die EU, sondern die eigentlich große Macht, die Vereinigten Staaten von Amerika. "Sie waren und sind sein Bezugspunkt."

UN-Resolution "erstaunlich"

Ob sich Trump auf Putins Seite schlagen werde, könne man noch nicht abschließend sagen, erklärt die Ex-Kanzlerin weiter. "Aber dass die USA zusammen mit Russland wenige Tage vor der Oval-Office-Begegnung in der UN-Vollversammlung eine Resolution gegen die territoriale Integrität der Ukraine beschlossen haben, ist sehr erstaunlich, bemerkenswert", so Merkel.

Zum Treffen von Selenskyj und Trump im Oval Office sagte Merkel, dass sie es als sehr bedrückend empfunden habe. "Ich hätte diese Begegnung so lieber nicht gesehen, zumal wenn man bedenkt, dass sie auch in ganz Russland gesehen wurde, auch von Präsident Putin."

Welche Kritik die Ex-Kanzlerin nicht gelten lässt

Kritik an ihren eigenen Entscheidungen als Kanzlerin weist Merkel in Bezug auf den Ukraine-Krieg zurück. Sie habe sich sehr wenig Illusionen über Putin gemacht. Putin habe 2022 die Ukraine angegriffen, obwohl Nord Stream 2 noch nicht in Betrieb gewesen sei. "Ich empfehle, sich in die Zeit, in der man damals war, hineinzuversetzen. Und ich empfehle weiterhin, nicht sofort, wenn sich heute eine andere Perspektive ergibt, zu sagen, man hätte damals falsch entschieden. Das jedenfalls lasse ich für mich so nicht gelten."

Auf die Frage, wie sie den Begriff "Putin-Versteher" finde, der verwendet wird mit Blick auf Menschen, die Putins Perspektive auf die Nato-Osterweiterung diskutieren, sagt Merkel: "Nicht gut, denn es muss ja eine Diskussion darüber geben können. Man muss diplomatische Initiativen vordenken, damit sie im richtigen Moment zur Verfügung stehen. Wann die Stunde der Diplomatie geschlagen hat, kann nicht allein Präsident Selenskyj entscheiden, sondern die Ukraine nur gemeinsam mit ihren Unterstützern. Denn wir als Freunde der Ukraine gehen ja auch ins Risiko für die Ukraine. Den Vorwurf 'Putin-Versteher' finde ich nicht in Ordnung. Denn er ist ein Totschlagargument."

Merkel über Diskriminierung gegen die eigene Person

Im Interview spricht die Altkanzlerin außerdem über ihr Verhältnis zu Ostdeutschland und ihre Vergangenheit in der DDR. Sie reflektiert noch einmal über die Anmaßung eines West-Journalisten, der sie in einem Text als "angelernte Bundesbürgerin" bezeichnet hat. Auf die Frage, ob sie sich immer noch Diskriminierungen wegen ihrer DDR-Biografie ausgesetzt sieht, sagt Merkel, grundsätzlich seien solche Bewertungen nicht vorbei. "Auch bei der Veranstaltung zur Vorstellung des Buches von Beate Baumann und mir im November 2024 habe ich das an manchen Stellen so erlebt und empfunden. Deshalb ist es wichtig, das zu thematisieren." Wenn sie auf Lesungen darüber berichte, seien die Leute richtig erschrocken, "nicht nur der Saal in Stralsund, auch der Saal in Köln".

Auf die Frage, warum Friedrich Merz so unbeliebt im Osten sei, antwortet Merkel: "Verschiedene Typen sprechen verschiedene Gruppen an. Und Friedrich Merz ist sicher jemand, der eher das Sauerland verkörpert. Ich hatte auch bei Männern im Westen wenig Rückhalt, weil ich aus der DDR kam, gegen mich gab es auch viele Anfeindungen, später auch im Osten. Auf Auslandsreisen hat mir keiner geglaubt, dass ich immer meinen Wahlkreis gewonnen habe, weil der Eindruck entstanden war, alle im Osten seien gegen mich."

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