Geld allein reicht nicht. Auch nicht 500 Milliarden Euro. „Uns fehlt die Kombination von Finanzierung und gehaltvollem Plan“, sagte am Donnerstagabend der Frankfurter Staatsrechtler Georg Hermes. Ganz ähnlich der Weimarer Verkehrswissenschaftler Thorsten Beckers: „Erst einmal braucht man eine gute Planung.“

Wie aber sieht die Planung aus? Das ist offen, sagte Ingrid Felipe, Vorständin der Deutschen Bahn AG (DB) für die gemeinwohlorientierte DB-Netzsparte Infrago: „Wir kennen ja noch nicht die verkehrspolitische Zielsetzung der neuen Regierung.“

So machte diese Diskussionsrunde in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin beispielhaft – anhand des maroden Schienennetzes – ein Hauptproblem dessen erkennbar, was aktuell im Bundestag verhandelt wird: Die mutmaßlichen künftigen Koalitionäre von Union und SPD wollen sich vom bisherigen Parlament per Grundgesetzänderung unter anderem ein 500-Milliarden-Euro-„Sondervermögen“ für Infrastruktur genehmigen lassen, ohne dass es für die Verwendung auch nur Ansätze eines greifbaren Plans gäbe.

Das betrifft die Bahn in besonderem Maße. Denn bei ihr, die nach allgemeiner Einschätzung einen nennenswerten Teil aus diesem Schuldentopf bekommen müsste, sind sich Union und SPD noch nicht einmal über die Grundzüge ihrer künftigen Politik einig. Das beginnt mit der Struktur der DB: Während die Union das Netz aus dem Staatskonzern herauslösen und vom Betrieb trennen will (von einer „Zerschlagung“ des Konzerns sprach der CSU-Verkehrspolitiker Ulrich Lange im Oktober im „Tagesspiegel“), lehnt die SPD eine solche Trennung ab.

Genauso umstritten ist, ob die Schiene bei den Ausbau-Investitionen Vorrang vor der Straße haben soll. Weit auseinander liegen die Vorstellungen auch beim größten und teuersten Sanierungsvorhaben für das Schienennetz, der sogenannten Generalsanierung von mehr als 40 langen Streckenabschnitten zur Schaffung eines „Hochleistungsnetzes“ bis voraussichtlich 2032. Mehr als 30 Milliarden Euro dürften hierbei für den Gesamtzeitraum zu veranschlagen sein, gesichert aber ist die Finanzierung derzeit nur bis 2027. Und offen ist, ob Union und SPD das Projekt per sogenanntem Sondervermögen durchfinanzieren wollen.

Die SPD ist zwar dafür. Aber in der Union wird die Generalsanierung mit immer größeren Fragezeichen versehen, weil der Nutzen zweifelhaft und die Kosten unkalkulierbar seien. Aktuell verweisen Unionspolitiker darauf, dass sich die erste Generalsanierung, die der Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt am Main 2024, laut einem „FAZ“-Bericht noch einmal um 15 Prozent auf nunmehr 1,5 Milliarden Euro verteuert haben soll.

Für eine der nächsten Generalsanierungen, Hamburg-Berlin ab Sommer dieses Jahres, veranschlagt DB-Infrago laut dem Verband der nicht-bundeseigenen Güterverkehrsunternehmen (Die Güterbahnen) trotz abgespeckten Bauprogramms nicht mehr „nur“ 2,2 Milliarden, sondern schon 2,5 Milliarden Euro. Das verstärkt die Zweifel der Union an dem Gesamtprojekt und wirft umso mehr die Frage auf, ob die Koalitionäre die Kredite aus dem „Sondervermögen“ wirklich für die Generalsanierung verwenden wollen. Wofür aber sonst?

Militärische Pläne könnten dazwischenkommen

Eine bloße Umschreibung tiefer Differenzen ist, was in dem vor einer Woche vorgestellten Sondierungspapier von Union und SPD zum Regionalverkehr steht, der wegen großer Kapazitätsengpässe und überfüllter Bahnhöfe ebenfalls für Investitionen in die Infrastruktur infrage kommt. „Wir beraten über den Ausbau und die Modernisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs“, schreiben dort die Koalitionäre in spe ohne jede Festlegung.

Damit machen sie klar: Die Koalitionsverhandlungen werden erst nach einer eventuellen Bundestagszustimmung zum Sondervermögen ergeben, welchen Plan zum Geldausgaben es bei der Bahn geben könnte.

Im luftleeren Raum stehen deshalb die finanziellen Bedarfsangaben, die DB Infrago in der vergangenen Woche dem Aufsichtsrat des Staatskonzerns übermittelte. Demnach soll die DB laut der Deutschen Presse-Agentur und der „Süddeutschen Zeitung“ bis 2034 für Sanierung, Modernisierung und Ausbau des Netzes insgesamt 290 Milliarden Euro benötigen.

Wenn man davon die regulären – bisher aber fiktiven – Haushaltsmittel für den Gesamtzeitraum bis 2034 in Höhe von insgesamt 142 Milliarden Euro abzieht, müsste die Bahn aus dem Sondervermögen 148 Milliarden Euro erhalten. Das wären drei Achtel jener 400 Milliarden, die nach derzeitigem Stand vom „Sondervermögen“ überhaupt für Zwecke des Bundes verwendet werden sollen. Das wirkt illusorisch. Aber nebulös ist, wie viel fürs Schienennetz denn tatsächlich aufgebracht – und was damit gemacht werden soll. Denn einen Plan gibt es ja nicht.

Zwar hatte noch zu Ampel-Zeiten Bundesverkehrsminister Volker Wissing (heute parteilos) einen sogenannten Infraplan erarbeiten wollen, aus dem hervorgehen sollte, welche Baumaßnahmen sich die DB in welchem Zeitraum zu welchen Kosten vornehmen sollte. Doch über ein weitgehend unverbindliches Entwurfsstadium ist der Infraplan nicht hinausgekommen. Wenn ihn die neue Koalition fertigstellen will – was aber offen ist –, könnte das Ausformulieren noch monatelang dauern.

Zumal militärische Zwecke, mit denen der riesige Schuldenplan oft begründet wird, den Infraplan oder Vergleichbares noch gehörig durcheinander werfen könnten. Denn bei Militärtransporten, die zum überwiegenden Teil auf der Schiene abgewickelt werden, gibt es nach WELT-Informationen andere Kriterien als in den meisten bisherigen DB-Plänen.

So hat es für Güterzüge, die beispielsweise mit Panzern beladen sind, nicht die oberste Priorität, dass es jenes "Hochleistungsnetz" gibt, das die Bahn mit den Generalsanierungen schaffen will. Ja, diese Generalsanierungen können sogar zu Problemen führen. Denn wenn dafür monatelang ganze Streckenabschnitte gesperrt werden, könnte das manchen Zug mit Material der Bundeswehr oder befreundeter Staaten ausbremsen.

Wichtiger sind für Deutschland als Nato-Drehscheibe der Ausbau und die Elektrifizierung der Strecken nach Polen und Tschechien, die Ertüchtigung mancher Brücken für die großen Achslasten vieler Militärzüge – sowie zusätzliche Gleise. Die braucht es zum einen dafür, dass jene Züge mit ihren oft übergroßen Beladungen an Bahnhöfen vorbeifahren können, statt durchfahren zu müssen und dort in Platz-Probleme mit Bahnsteigen oder Überdachungen zu geraten.

Zum anderen braucht es für Militärzüge zusätzliche Abstellgleise, und zwar auf besonders gesicherten Flächen, wo die Bundespolizei oder gar Feldjäger alles überwachen können. Daran fehlt es derzeit. Daher ist es wahrscheinlich, dass schon die DB selbst ihre eigenen Sanierungs- und Ausbaupläne noch einmal gründlich überarbeiten muss und erst dann der Bund seine eigene Strategie festlegen kann.

Doch selbst wenn es irgendwann einen konsistenten Plan geben sollte, bliebe immer noch das Problem, dass die nötigen Finanzmittel kontinuierlich und zuverlässig in der benötigten Höhe fließen müssten. Damit das Sondervermögen nicht heute hierhin und morgen dorthin wandert. In der Diskussionsrunde am Donnerstagabend waren sich alle einig, dass sich Deutschland deshalb an der Bahnpolitik der südlichen Nachbarn orientieren müsse.

Entweder an Österreich, wo der Staat einen mehrjährigen Rahmenplan vorgibt, dessen Ausbaufestlungen die dortige Bahn dann mithilfe klar bezifferter Finanzmittel umzusetzen hat. Oder an der Schweiz, wo die vorab vereinbarten Bahninvestitionen verlässlich aus einem Fonds gespeist werden. Doch in Deutschland hat die Union bisher keine Sympathien für das österreichische Modell erkennen lassen und einen Fonds nach Schweizer Bauart abgelehnt.

Somit bleibt vorerst nur, dass sehr viel Geld fließen soll. Das könnte aber zu viel auf einmal sein, sagte der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne): „Wir brauchen nicht alles Geld auf einmal, wir könnten es gar nicht ausgeben“, sagte Hermann und plädierte für eine langfristige Festlegung auf eine gesicherte Mittelbereitstellung für vorab definierte Ziele.

„Sorgen Sie für eine verlässliche Finanzierung“, ermahnte die Deutschen ein Schweizer, Martin von Känel, der fürs Geld zuständige Vize-Chef des Schweizer Bundesamts für Verkehr. „Man muss aufpassen, dass man den Wagen nicht überlädt, geben Sie sich Zeit“, sagte Känel.

Und stellte damit die an dem Abend unbeantwortete Frage in den Raum, warum in Deutschland nun noch ganz schnell der alte Bundestag 500 Milliarden Euro auf den Wagen des „Sondervermögens“ packen soll. Ohne dass klar wäre, wie dieser Wagen beschaffen sein und wohin er fahren soll.

Politikredakteur Matthias Kamann schreibt für WELT seit vielen Jahren über Verkehrsthemen, zurzeit etwa über die Krise der Deutschen Bahn.

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