Ihre Idole flattern auf einer zwei Meter großen Fahne im brütend heißen Sommerwind von Rio de Janeiro: von Javier Milei aus Argentinien über Jair Bolsonaro und seiner Frau Michelle aus Brasilien, Nayib Bukele aus El Salvador bis zu Elon Musk und Donald Trump aus den USA.

Geht es nach den Menschen auf der Avenida Atlantica an der Copacabana, dann wird der amerikanische Kontinent in Zukunft überwiegend rechts regiert: von Kanada, das nach Trumps Willen irgendwann zu den USA gehört, bis hinunter zu Mileis libertärem Argentinien.

Es ist Sonntagmorgen in Rio de Janeiro und Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro hat seine Anhänger zu einer Großdemonstration gerufen. Offiziell geht es um die Forderung nach einer Amnestie für die wegen des Sturms auf die Hauptstadt Brasilia am 8. Januar 2022 inhaftierten Gefangenen. Sie zweifelten damals den hauchdünnen Wahlsieg des heutigen Präsidenten Lula da Silva an.

Der Tag hat aber noch ein anderes Ziel: den Kampf für das politische Überleben Bolsonaros. In einigen Tagen beginnt der Prozess, der den Vorwurf der Staatsanwaltschaft klären soll, dass der heute 69-Jährige der Kopf einer Verschwörung ist, den Wahlgewinner Lula zu ermorden und sich selbst an die Macht putschen zu lassen. Die Indizien und gesammelten Beweise sprechen gegen Bolsonaro, doch viele Brasilianer empfinden das Vorgehen der Justiz als parteiisch.

Die Verantwortlichen der großen Korruptionsskandale rund um die Konzerne Odebrecht und Petrobras erhielten Amnestie. Die Skandale hatten ihren Ursprung alle in der Regierungszeit der PT, der Partei Lulas. An den Schlüsselstellen der Justiz sitzen überwiegend Richter und Ermittler, die während der ersten Regierungszeit Lulas sowie unter Dilma Rousseff ernannt wurden und die nun auch darüber entscheiden, wer zu Wahlen zugelassen wird.

Bolsonaro weiß, dass sein politisches Überleben am seidenen Faden hängt und bereitet seine Anhänger auf die Zeit danach vor: „Mein Zyklus wird eines Tages zu Ende gehen. Aber wir hinterlassen viele Leute, die in der Lage sind, mich in der Zukunft zu ersetzen.“ Und wenn ihm irgendeine Gemeinheit widerfahren sollte: „Dann kämpfen sie weiter.“ Das klingt eher nach Abschied als nach Aufbruchsstimmung.

Im kommenden Jahr wird in Brasilien gewählt. Lulas Umfragewerte sind schlecht, rund 55 Prozent der Brasilianer sind nach einer am Freitag veröffentlichten Umfrage des Instituts Ipsos-Ipec mit seiner Amtsführung unzufrieden. Das bringt Bolsonaro zurück ins Spiel, doch die Justiz hat ihm bis 2030 das passive Wahlrecht entzogen, er darf für kein Amt mehr kandidieren.

„Ich hoffe, dass die Veranstaltung heute die Herzen der Menschen berührt, die dieses Land regieren. Damit sie ihre Pflicht tun, nämlich die Verfassung zu respektieren. Das tun sie bislang nicht“, sagt Isaias Tadeu da Silva Ferreira (60) im Gespräch mit WELT. Er hat sich früh einen Platz am Eisengitter gesichert, um Bolsonaro nah zu sein.

„Sehnsucht nach meinem Ex“ verkündet ein Aufkleber auf seinem T-Shirt. „Wenn die Verfassung respektiert wird, ergeben sich andere Dinge von selbst“, sagt Silva Ferreira und meint damit: Dann heißt der Präsident nach den nächsten Wahlen 2026 wieder Jair Bolsonaro.

Elisa Felix (51) kommt auf ein anderes Thema zu sprechen, dass die Bürger bewegt: „Es steht nicht gut um Brasilien, denn alles ist teurer geworden. Wir machen eine sehr große Krise durch – Arbeitsplätze, Gesundheit, Bildung, Lebensmittel. Die Ärmsten leiden. Sie haben nicht die Unterstützung unserer Regierung. Wir müssen Brasilien ändern, wir müssen unser Land ändern“, sagt sie WELT.

Im Wahlkampf 2022 hatte Lula auf zahlreichen Veranstaltungen in den Favelas versprochen, es werde bald allen Menschen mit niedrigem Einkommen besser gehen. Nun berichten lokale und internationale Medien, dass die Bewohner der Armenviertel wegen der hohen Lebensmittelpreise auf Hühner- und Schweineknochen ausweichen.

Schuld seien die Pandemie und der Klimawandel, heißt es vonseiten der Lula-Regierung und ihrer Anhänger. „Die PT kann nicht einmal mehr die Armen ernähren“, spottet dagegen Bolsonaro von der Tribüne an der Copacabana über Lulas Arbeiterpartei. Die Regierung setzt nun auf eine neue Rekordernte, die mittelfristig die Preise drücken soll, und auf Steuerfreiheit für Lebensmittelimporte.

Die Hitze steht auf dem Asphalt, im Minutentakt versorgen die Sanitäter vor allem ältere Menschen, die mit Schwächeanfällen zusammenbrechen. Trotzdem harrt die Menge stundenlang aus. Wie viele tatsächlich gekommen sind, ist unklar. Vonseiten der Veranstalter wurden eine Million Menschen erwartet, der evangelikale Pastor und Mitorganisator Silas Malafaia, der an diesem Morgen fast 20 Minuten lang ins Mikrofon brüllt, spricht von 400.000, die Lula-nahe Zeitung „O Globo“ von 18.000 Menschen.

Einige von ihnen tragen auch Bilder von Donald Trump, Elon Musk oder Javier Milei mit sich. Sie träumen von einem kontinentalen Zusammenschluss der Rechten von Kanada bis nach Argentinien: „Wir müssen die kommunistischen Diktaturen für immer aus Amerika vertreiben“, fordert einer, der neben einer Fahne mit den Bildern der Protagonisten steht. Seinen Namen will er nicht nennen, sonst, so behauptet er, „steckt mich die Lula-Justiz ins Gefängnis“.

Weil Bolsonaro weiß, dass seine Zukunft ungewiss ist, tritt auch dessen potenzieller Nachfolger auf: Tarcisio de Freitas, Gouverneur des Bundesstaates São Paulo und möglicher Präsidentschaftskandidat der brasilianischen Rechten bei den Wahlen 2026.

Und der 49-Jährige liefert, was die Bolsonaro-Anhänger hören wollen: „Was ist der Grund dafür, dass Jair Bolsonaro von den Wahlen ferngehalten wird?“, ruft er von der Bühne, um die Frage gleich selbst zu beantworten: „Es ist die Angst, die Wahl zu verlieren – und sie wissen, dass sie verlieren werden.“

Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.

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