Die SPD sieht eine "historische Entscheidung" im Bundestag: Union, Sozialdemokraten und Grüne stellen ein Milliarden-Schuldenpaket zur Abstimmung. CDU-Chef Merz argumentiert mit den "ganz besonderen Umständen" - und zieht gleich den Ärger der Grünen auf sich.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat das geplante riesige Schuldenprogramm für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und damit gegen Europa verteidigt. "Eine solche Verschuldung lässt sich nur unter ganz besonderen Umständen und auch nur zu ganz bestimmten Bedingungen eine Rechtfertigung finden", sagte der wohl künftige Kanzler im Bundestag vor der Abstimmung über das von Union, SPD und Grünen vereinbarte Milliarden-Finanzpaket. Zugleich kritisierte er scharf die AfD. Man habe nichts mit deren Weltbild gemein.
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Diese Umstände würden vor allem vom russischen Angriffskrieg gegen Europa bestimmt, sagte der CDU-Chef. Gegen diese Angriffe auf die offene Gesellschaft, gegen diese Angriffe auf die Freiheit werde man sich in den nächsten Jahrzehnten zur Wehr setzen. Von der Entscheidung des Bundestags hänge nicht nur die deutsche Verteidigungsfähigkeit ab. "Unsere Verbündeten in der Nato und der Europäischen Union schauen heute ebenso auf uns wie unsere Gegner und wie die Feinde unserer demokratischen und regelbasierten Ordnung." Die Entscheidung könne der erste große Schritt hin zu einer neuen europäischen Verteidigungsgemeinschaft sein.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann widersprach im Anschluss Merz' Aussagen zu den "besonderen Umständen". Diese seien schon im Herbst klar gewesen. "Wir haben Sie gebeten, uns auf diesem Weg zu begleiten. Von Ihnen kam aber nicht nur ein kategorisches Nein". Vielmehr habe Merz jeden Vorschlag zu einer Reform der Schuldenbremse abgelehnt - mit dem Argument, Deutschland habe kein Problem mit zu geringen Einnahmen, sondern mit zu hohen Ausgaben. Merz habe Grünen-Politiker diffamiert "und meistens noch mit einer solchen Überheblichkeit und einem solchen Populismus, dass einem schlecht werden konnte".
Es sei "verdammt bitter", dass Merz "ein paar Wochen gebraucht" habe, um zu sehen, was notwendig sei. Dies werde dadurch aber nicht falsch. Die Investitionen seien dringend notwendig, Deutschland stehe in der Verantwortung für die künftigen Generationen.
SPD lobt "positiven Aufbruch"
SPD-Chef Lars Klingbeil erklärte, dass der Bundestag vor einer "historischen Entscheidung" stehe. "Es geht um einen positiven Aufbruch für Deutschland und Europa", sagte der Fraktionschef in der Bundestagsdebatte. Deutschland sollte bereit sein, Führungsverantwortung zu übernehmen, um Frieden in Europa aufrechtzuerhalten, sagt er mit Blick auf den russischen Überfall auf die Ukraine.
Klingbeils Parteifreund, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, verteidigte die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben angesichts der Weltlage als notwendig. "Unsere Sicherheit darf nicht durch haushaltspolitische Zwänge gefährdet werden", sagte Pistorius. "Bedrohungslage steht vor Kassenlage", sagte er. Es sei aber klar, dass es bei Ausgaben im Verteidigungsbereich "keine Blankoschecks" geben werde.
Deutschland stehe womöglich vor "der größten sicherheitspolitischen Herausforderung" seiner Geschichte, sagte Pistorius. Russland sei "mit Abstand die größte Bedrohung" für die europäische Sicherheit. Gleichzeitig komme es zur "Verlagerung des amerikanischen Engagements mehr in den Indopazifik". Pistorius betonte: "Die Zeiten in denen wir uns in der Hoffnung wiegen konnten, andere würden schon für unsere Sicherheit sorgen, sind vorbei."
Dürr: Merz knickt vor Grünen und SPD ein
FDP-Fraktionschef Christian Dürr warf Merz Einknicken vor SPD und Grünen vor. Die Schuldenbremse sei eine Versicherung für kommende Generationen gewesen, sagt Dürr. "Jetzt wird sie zur Makulatur erklärt." CDU/CSU, SPD und Grüne setzten mit der Änderung des Grundgesetzes den "Startschuss für hemmungslose Schuldenmacherei", sagt Dürr. Die neue designierte Koalition aus Union und SPD sei daher keine "Groko", sondern eine "Schuko" - eine Schuldenkoalition.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla warf Merz vor, nicht nur kein Rückgrat zu haben, sondern inzwischen "komplett wirbellos" zu sein. "Hier soll planlos die Staatsverschuldung in den Himmel getrieben werden", bemängelte er.
Anträge von FDP und AfD abgelehnt
Zuvor hatte der Bundestag mit den Stimmen von SPD, Union und Grünen die Anträge von FDP und AfD abgelehnt, die Sitzung zur Entscheidung über das milliardenschwere Finanzpaket wieder abzusetzen. AfD und FDP kritisieren, dass die Entscheidung nicht mehr vom alten Bundestag getroffen werden dürfe. Redner von Union, SPD und Grünen argumentieren mit der Eilbedürftigkeit. Das BSW stimmte für den AfD-Antrag.
Die angestrebte Zweidrittelmehrheit für das Schuldenpaket im Bundestag scheint nach Angaben von Vertretern von Union, SPD und Grünen zu stehen. Die SPD-Fraktion wird nach den Worten von Generalsekretär Matthias Miersch so gut wie geschlossen dafür stimmen. "Wir haben einen Krankheitsfall und eine Person, die dagegen stimmen wird, ansonsten werden wir geschlossen für dieses Paket stimmen", sagte Miersch vor der Bundestagssondersitzung im Sender Phoenix. Was man hier mache, sei historisch, fügte er hinzu.
Bei den Grünen fehlen nach Angaben von Fraktionschefin Britta Haßelmann fünf Stimmen. Bei der Union gibt es nach Angaben von Fraktionschef Friedrich Merz von der CDU vom Montag zwei bis drei Abgeordnete, die nicht zustimmen wollen. Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor sagte bei Phoenix, es handele sich um "einige sehr, sehr, sehr wenige Abgeordnete". Er sprach von einer großen Geschlossenheit in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Für die benötigte Zweidrittelmehrheit brauchen Union, SPD und Grüne 489 Ja-Stimmen. Zusammen kommen sie auf 520 - 31 mehr als nötig. Zumindest rechnerisch wäre die Mehrheit den Angaben aus den drei Fraktionen zufolge mit mehr als 20 Stimmen gesichert. Überraschungen sind aber immer möglich. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird für den frühen Nachmittag erwartet.
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