Die Kursk-Offensive ist vorbei, im Donbass wird nach vorn marschiert. Kreml-Chef Putin sieht sich auf der Gewinner-Straße, aber kann er heute Nachmittag am Telefon US-Präsident Trump einfach auflaufen lassen? Eher nicht, aus zwei Gründen.

Heute Nachmittag, 14 Uhr MEZ: das nächste Audio-Date zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Machthaber Wladimir Putin. Der russische Präsident ist dort angekommen, wo er unbedingt und schon so lange hinwollte: auf gefühlte Augenhöhe mit dem mächtigsten Staatsmann der Welt.

Trump hat Putin den roten Teppich ausgerollt: Er hat das Telefonat vorgeschlagen - das zweite nach einem 90-minütigen Gespräch im Februar, über das sich der US-Präsident anschließend begeistert geäußert hatte. Trump hat seinen Sondergesandten für Nahost, Steve Witkoff, in Moskau vorbeigeschickt, wo dieser Berichten zufolge acht Stunden lang warten musste, bis Putin geruhte, ihn zu empfangen. Trump bestreitet die acht Stunden. Warum schickte er überhaupt den Nahost-Mann? Weil er seinen Sondergesandten für Russland und die Ukraine, Keith Kellogg, von der Zuständigkeit für die Beziehung zu Moskau entbunden hat. Der Kreml hatte befunden, Kellogg sei "nicht unser Typ", dem Weißen Haus war Putins Wunsch Befehl.

Putin muss gar nichts. Stimmt das?

Sucht man das verbindende Signal, das der russische Machthaber in den vergangenen Tagen mit seinen Verhaltensweisen Richtung Westen gesendet hat, so kommt man in etwa auf den Satz, "Ich muss gar nichts".

Was nicht ganz stimmt, und das weiß Putin selbst auch. Zu den Hintergründen später mehr. Vordergründig aber kann der Präsident durchaus breitbeinig auftreten, gestützt zuallererst durch die Lage an der Front. Die ärgerliche ukrainische Offensive auf russisches Gelände ist quasi beendet, im Donbass geht es für Moskaus Truppen stetig voran. Der hohe Blutzoll unter den Soldaten juckt im Kreml niemanden.

Der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Ende Februar im Weißen Haus hat zudem gezeigt, wie seiden der Faden ist, an dem die US-Unterstützung für die Ukraine hängt. Selenskyj wurde provoziert, drangsaliert, vorgeführt, schließlich rausgeschmissen, all das vor laufenden Kameras. Im Kreml soll die Stimmung bei Ausstrahlung des Höllenritts bestens gewesen sein.

Binnen weniger Tage wurde im Anschluss an die Kernschmelze im Oval Office die komplette Ukraine-Hilfe einschließlich der Weitergabe von Geheimdienst- und Aufklärungsergebnissen runtergefahren auf null. Kurze Zeit später wieder hoch. Das Weiße Haus agiert in einem Maße erratisch, dass die Ukrainer nur noch eines sicher wissen: Verlassen dürfen sie sich auf gar nichts mehr. Beste Bedingungen für den russischen Aggressor.

Kann sich also Putin am Nachmittag breitbeinig im Amtssessel fläzen, wenn er Trump an der Strippe hat, der ihn um Zustimmung zum Waffenstillstandsplan bittet? Nein, kann er nicht, vor allem aus zwei Gründen.

Putins Kooperationswille liegt bei null

So erratisch und unzuverlässig, wie Trump sich im Umgang mit dem ehemaligen "Partner" Ukraine gebärdet, so wenig vorhersehbar ist sein Agieren mit Blick auf Russland. Bereits mehrfach hat die US-Regierung harte Sanktionen angekündigt, sollte sich Russland nicht auf einen Deal zur Beendigung des Krieges einlassen, sondern an seiner Aggression festhalten. Zuzutrauen wäre es ihr. Putin darf also zumindest nicht allzu offensichtlich zeigen, dass sein Kooperationswillen mit Blick auf eine mögliche Einschränkung seiner Kriegsziele bei exakt null liegt.

Der Kreml-Chef hat bereits versucht vorzubauen, um die Erkenntnis zu verwässern, dass es ihm an jeglichem Kooperationswillen fehlt: In der vergangenen Woche streute Russland die Behauptung, mehrere tausend ukrainische Soldaten seien von russischen Truppen umzingelt. Laut dem renommierten Militärexperten Markus Reisner "entbehren diese Meldungen jeder Grundlage". Anders gesagt: Die bevorstehende Gefangennahme war offensichtlich frei erfunden.

Trump nahm den Ball jedoch dankbar auf. Tausende ukrainische Soldaten seien eingekreist und "in einer sehr schlechten und verletzlichen Lage", schrieb der US-Präsident auf seiner Plattform Truth Social. Er habe Putin darum gebeten, ihre Leben zu schonen. Erstaunlich fix antwortete der Kreml-Chef, man werde die Gefangenen gut behandeln.

So kreierten sich die beiden mit wenig Aufwand - es brauchte nicht mehr als eine Lüge - eine klassische Win-win-Situation mit Werbeeffekt: Putin gaukelte der Welt vor, mit ihm könnte man reden, er sei kooperativ und habe Skrupel. Trump gaukelte der Welt vor, er habe direkten Einfluss auf das Verhalten des Russen. "I know him very well", ich kenne ihn sehr gut, wird der US-Präsident nicht müde, in Interviews zu versichern.

Putin braucht Trump für seine großen Ziele

Putin braucht Trumps Zugeneigtheit jedoch nicht nur, um etwaige Sanktionen zu vermeiden. Er ist vor allem auch auf den Amerikaner angewiesen, mit Blick auf seine mittelfristigen Ziele in Europa. Eine Waffenruhe müsse zu einem dauerhaften Frieden führen und die tieferliegenden Ursachen dieser Krise angehen", formulierte Putin in der vergangenen Woche. Welche tieferliegenden Ursachen er da sieht, hat der russische Machthaber in der Vergangenheit schon reichlich oft dargestellt.

Die ukrainische Regierung möchte Putin gern "entnazifizieren", indem er sie gegen ein kreml-höriges Marionetten-Regime austauscht. Die Ukraine soll zudem "neutral" und "entmilitarisiert" werden. Das heißt: keine eigene Armee und keine eigenen Waffen mehr haben. Eine Nato-Beitritts-Perspektive? Denkt nicht mal drüber nach.

Doch Putins Wünsche gehen noch weiter: Die Nato hätte er gern raus aus den osteuropäischen Ländern, alle Truppen sollten abziehen, alle Logistik zurückgebaut werden. Das forderte er schon Ende 2021 ganz offiziell vom westlichen Bündnis, mit dem Hinweis, ein Einschwenken auf diese Forderungen könnte einen Ukrainekrieg noch verhindern.

Um diesem Ziel endlich schrittweise näher zu kommen, braucht der Russe die Gunst des US-Präsidenten. Der hat in dieser Hinsicht bereits vorgelegt. Unter anderem stoppte die US-Regierung Anfang März alle Cyber-Einsätze gegen Russland. Aus Trumps Sicht ist es offenbar nicht notwendig, sich gegen die gerade im Cyberbereich sehr aktiven Russen zu wappnen.

Europa ohne Schutz der USA? Wladimir Putin gefällt das

Für Putin wäre es wichtig, Trump zu der vermeintlichen Erkenntnis zu bringen, dass es die USA auch nicht nötig haben, sich im Rahmen der Nato gegen Russland zu wappnen. Würde Trump aus der Nato aussteigen, die US-Truppen aus Europa abziehen, den atomaren Schutzschirm einklappen - dann hätte Putin perspektivisch sehr viel Beinfreiheit, um seine Expansionspläne etwa in Richtung Baltikum umzusetzen. Ein Manöver an der Grenze zwischen Russland und den Baltenstaaten hat Moskau für den kommenden Herbst angesetzt.

Für Putin und seine Europa-Pläne ist es wichtig, mit Trump auf Augenhöhe zu bleiben. Darum muss er alles daran setzen zu kaschieren, dass er zu keinem Waffenstillstand im Ukrainekrieg bereit ist. (Für Putin hätte der nur Nachteile, es läuft an der Front gerade zu gut.) Es gilt, eine Einigung zum Waffenstillstand unbedingt zu verhindern, aber nach außen dennoch so zu wirken, als sei man dafür. Die Ukrainer können nur hoffen, dass sich Donald Trump beim heutigen Telefonat nicht so bereitwillig einen russischen Bären aufbinden lässt, wie bei der frei erfundenen Einkesselung letzte Woche.

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