In einer denkwürdigen Hauruckaktion macht der abgewählte Bundestag mit Zweidrittelmehrheit den Weg für eine 500 Milliarden Euro schwere Grundgesetzänderung frei. Das Sondervermögen stellt alle bisherigen "Schattenhaushalte" in den Schatten. Der Überblick über die 29 Sondervermögen des Bundes.

Es ist eine historische Entscheidung, die der abgewählte Bundestag am Dienstagnachmittag trifft. Mit den Stimmen von SPD, Union und Grünen wird der Weg für ein Rekord-Sondervermögen freigeschaufelt. 500 Milliarden Euro am regulären Haushalt vorbei, auf bis zu zwölf Jahre gerechnet. Das Finanzpaket für Infrastruktur- und Klimaschutzmaßnahmen ist das größte Schuldenpaket in der Geschichte der Bundesrepublik.

Und es ist ein deutlicher Kurswechsel nach der Politik der letzten Jahre. Vor allem die FDP und ihr Ex-Finanzminister Christian Lindner hielten vehement an der Schuldenbremse fest, aber auch die Union kämpfte im Wahlkampf immer wieder für deren Erhalt. Das Sondervermögen, damals noch ein Wunsch von SPD und Grünen, wurde auch vom designierten nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz als Schattenhaushalt zur Umgehung der Schuldenbremse abgestempelt.

Von diesem Kampf ist nach der Wahl nicht mehr viel übrig geblieben. Die erfolgreiche Abstimmung ist der entscheidende Schritt, den es für die Bildung der schwarz-roten Bundesregierung gebraucht hat. Für Merz rückt die Kanzlerschaft damit immer näher.

Bergarbeiter, Klärschlamm, Binnenschiffer

Eigentlich lautet eine zentrale Regel im Grundgesetz, dass alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes in den jeweils jährlich geltenden Haushaltsplan eingestellt werden müssen. Sondervermögen jedoch durchbrechen diese Regel. Das Geld aus einem Sondervermögen kann über das jeweilige Haushaltsjahr hinaus genutzt werden, es wird sozusagen neben den normalen Bundeshaushalt gestellt.

Das neue 500-Milliarden-Paket ist nicht das erste und einzige in Deutschland, im Gegenteil: Aktuell gibt es 29 weitere Geldtöpfe am regulären Haushalt vorbei.

Das älteste Sondervermögen ist fast so alt wie die Bundesrepublik selbst. Das Treuhandvermögen für den Bergarbeiterwohnungsbau wurde 1951 eingerichtet. Aus den 1950er Jahren stammen auch noch das Zweckvermögen bei der Deutschen Postbank sowie das Sondervermögen aus dem European Recovery Program (Marshallplan) zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das ERP-Sondervermögen ist eines der wenigen, das sich aus eigener Kraft finanziert und damit nicht durch Kreditaufnahmen gefüttert wird oder sich aus direkten Zahlungen aus dem Bundeshaushalt speist. "Durch zinsverbilligte Darlehen fördert das Sondervermögen Investitions- und Innovationsvorhaben der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstands. Die Tilgungszahlungen fließen dem Vermögen als sogenannten revolvierenden Fonds wieder zu", erklärt der Bundesrechnungshof.

Acht weitere Sondervermögen stammen noch aus dem vergangenen Jahrtausend, etwa ein Ausgleichsfonds für überregionale Vorhaben zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen, das Bundeseisenbahnvermögen oder der Klärschlamm-Entschädigungsfonds.

Anfang dieses Jahrtausends folgten weitere Sondervermögen, etwa ein Fonds für die deutsche Binnenschifffahrt. Auch einen Geldtopf für den Ausbau von Kinderbetreuung gibt es, ein Sondervermögen zur Vorsorge für Schlusszahlungen für inflationsindexierte Bundeswertpapiere oder für die Postbeamtenversorgungskasse bei der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation, wie es im Behördendeutsch heißt.

Drei Sondervermögen machen mehr als die Hälfte aus

Die deutlich bekannteren Sondervermögen heißen jedoch anders. Der Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS) zum Beispiel, 2008 als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise ins Leben gerufen. Drei Jahre später wurde der Klima- und Transformationsfonds (KTF) geschaffen. 2013 und 2021 sind Sondervermögen für die Aufbauhilfe nach den Flutkatastrophen aufgelegt worden.

Vor allem in den letzten beiden Legislaturperioden wurden zahlreiche weitere Sondervermögen eingerichtet, etwa 2020 der milliardenschwere Wirtschaftsstabilisierungsfonds als Reaktion auf die Corona-Krise. Zwei Jahre später wurde ein ähnlicher Stabilisierungsfonds auch als Reaktion auf die Energiekrise eingerichtet. Ebenfalls 2022 hat die damalige Ampel-Regierung mit Unterstützung der Union das Bundeswehr-Sondervermögen auf den Weg gebracht.

Mehr als die Hälfte des Gesamtvolumens aller deutschen Sondervermögen liegt in diesen drei Geldtöpfen aus den vergangenen fünf Jahren: die beiden Wirtschaftsstabilisierungsfonds (200 und 150 Milliarden Euro) sowie das Bundeswehr-Sondervermögen (100 Milliarden Euro) summieren sich auf 450 Milliarden Euro. In sämtlichen 29 Sondervermögen stecken insgesamt 869 Milliarden Euro.

Kritik vom Bundesrechnungshof

Deutliche Kritik an der Sondervermögens-Politik kommt vom Bundesrechnungshof. "Die Finanzwirtschaft des Bundes ist damit in einem erheblichen Umfang in Sondervermögen ausgelagert. Die Entkernung des Bundeshaushalts durch die Errichtung von Sondervermögen ist weit fortgeschritten", schreibt die Behörde. "Sie hat mit der seit dem Jahr 2020 finanzpolitisch stark expansiven Krisenpolitik eine bis dahin nicht bekannte Ausweitung und Dynamik erlangt."

Der Bundesrechnungshof fordert, dass die Kernaufgaben des Staates aus dem Kernhaushalt finanziert werden sollten. Der Bundeshaushalt sei "aus den Fugen geraten" und müsse wieder zum "wahren Ausweis der Bundesfinanzen" gemacht werden.

Ob das gelingt, erscheint spätestens jetzt nach Verabschiedung des Rekord-Sondervermögens im Bundestag fraglich. Der neue Geldtopf ist auf zwölf Jahre angesetzt. Der Bund kann in diesem Zeitraum Kredite für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 aufnehmen. Auf ein Jahr gerechnet sind das satte 42 Milliarden Euro, fast ein Zehntel des regulären letzten Bundeshaushalts allein durch ein einziges Sondervermögen. Im Haushaltsjahr 2024 lagen die Gesamtausgaben des Bundes bei 465 Milliarden Euro.

Endgültig in trockenen Tüchern ist die Grundgesetzänderung aber erst am Freitag. Dann muss auch der Bundesrat zustimmen. Inzwischen ist klar, dass auch Bayern trotz Bedenken der Freien Wähler zustimmen wird. Damit steht die Zweidrittelmehrheit für das riesige Schuldenpaket auch in der Länderkammer, und CDU-Chef Friedrich Merz hat sich in der historischen Bundestagssitzung am Dienstag höchstwahrscheinlich den Schlüssel für das Kanzleramt gesichert.

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