30 Tage keine Angriffe auf die Energieinfrastruktur in der Ukraine und in Russland - was nach einem Anfang auf dem Weg zum Frieden klingt, stößt bei Experten und Politikern auf große Skepsis. Die freundlichsten Töne kommen noch von Kanzler Scholz.
Eine teilweise Waffenruhe in der Ukraine - was nach einem Hoffnungsschimmer klingt, löst tatsächlich große Skepsis bei Politikern und Experten aus. Als großes Kopfschütteln könnte man die Reaktionen auf die Vereinbarung umschreiben, die US-Präsident Donald Trump mit dem russischen Diktator Wladimir Putin getroffen hat. Sie einigten sich auf eine 30-tägige Pause von gegenseitigen Angriffen auf die Energieinfrastruktur. Doch noch in derselben Nacht griffen russische Drohnen wieder Kraftwerke an. Allerdings stimmte Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj erst am Abend zu, seinerseits Angriffe auf russische Einrichtungen einzustellen. Womöglich wird also erst die kommende Nacht zeigen, wie viel die Absprache wert ist.
Experten und Politiker halten ohnehin wenig von dem Mini-Deal Trumps. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich am Dienstagabend noch am höflichsten geäußert. Die Vereinbarung könne ein "erster wichtiger Schritt sein", sagte er nach einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Ziel müsse ein vollständiger Waffenstillstand sein. Macron betonte, es müsse eine Waffenruhe geben, die auch überprüft werden könne. Sicherheitsgarantien sowie ein Platz für Kiew am Verhandlungstisch seien unabdingbar.
Verteidigungsminister Boris Pistorius brachte es etwas prägnanter auf den Punkt. In einer Talkshow sprach er von einer "Nullnummer". Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte, es sei klar, dass Russland keinerlei Zugeständnisse machen wolle.
Anschließend äußerte sich Regierungssprecher Steffen Hebestreit. "Den Ankündigungen sind bislang keine Taten gefolgt", stellte er fest. "Was wir ... in der Nacht beobachtet haben, ist, dass von einer Waffenruhe im Augenblick noch nicht die Rede sein kann", fügte er hinzu. Es gebe Informationen aus der Ukraine, dass weiterhin auch Einrichtungen der Energieinfrastruktur beschossen worden seien.
Kasparow: "Natürlich will Putin Trumps Hilfe"
Russlands Angriffe auf die Ukraine zeigen nach Einschätzung Frankreichs einen Widerspruch zwischen den Äußerungen der russischen Regierung und ihrem Vorgehen. "Russlands Angriffe auf ukrainisches Territorium vergangene Nacht, von denen einige auf zivile Infrastruktur zielten, zeigen die Kluft zwischen Moskaus Worten und Taten", sagte der Sprecher des Außenministeriums in Paris.
Denn wie Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer zu ntv.de sagte, fliegt Russland seine Großangriffe auf Kraftwerke und andere Energieinfrastruktur ohnehin nur alle zwei bis drei Wochen. 30 Tage sind da keine große Pause. Vor allem dann nicht, wenn anschließend ein doppelter Angriff folgen sollte.
Der frühere Schach-Weltmeister und Kreml-Kritiker Gary Kasparow schrieb bei X, bei Angriffen auf Ölraffinerien und Gasanlagen sei Russland verwundbar. "Natürlich will Putin Trumps Hilfe, die Angriffe zu stoppen", sagte er.
Für den scheidenden SPD-Außenpolitiker Michael Roth ist die Ukraine von einer Friedenslösung "weiterhin Lichtjahre entfernt". Putin habe kein Interesse an Frieden, sagte er bei ntv. "Aber er hält Trump hin, weil er weiß, er braucht ihn noch." Trump gehe eher auf Putins Wünsche und Forderungen ein und weniger auf die Forderungen des ukrainischen Präsidenten.
Politikprofessor Thomas Jäger von der Universität Köln sprach denn auch von einem "großen Erfolg für Putin" und einer "Schmach für Trump". Nichts anderes sei zu erwarten gewesen, so Jäger. Nach zwei Treffen und mal einem Telefonat hier und einem dort, konnte es keinen Durchbruch geben, sagte er bei ntv. Das habe jeder wissen müssen, der sich schon einmal mit Verhandlungen befasst habe.
Was sind Trumps Ziele?
"New York Times"-Kolumnist Thomas L. Friedman schrieb, Trump sei sich nicht über seine eigenen Verhandlungsziele im Klaren. "Mir scheint, Trump hat nie deutlich gemacht, welche Zugeständnisse, Opfer und Garantien er von Russland fordert, um einen Friedensdeal zu erreichen. Und wer geht in eine Verhandlung ohne eine sehr klare, unerschütterliche Grundlinie der amerikanischen Kern-Interessen?"
Dabei steht die Grundvoraussetzung für Verhandlungen infrage: Vertrauen. "Das Telefonat und die gemachte Zusage haben Russland dann auch nicht davon abgehalten, kurze Zeit später die Ukraine wieder massiv anzugreifen. Putins Wort ist wenig wert", sagte Carlo Masala, Politikprofessor an der Universität der Bundeswehr in München, bei "t-online".
Trump sieht das selbstredend anders. Bei Fox News sprach er von einem "großartigen Gespräch". Kremlsprecher Peskow sagte, Putin und Trump verstünden sich gut und vertrauten einander. Doch ob freiwillig oder unfreiwillig - auch in dem Interview bei Fox News zeigten sich Widersprüche. So sagte Trump, eine Einstellung der US-Waffenlieferungen an die Ukraine seien nicht Thema des Gesprächs gewesen. Genau das hatte der Kreml allerdings mitgeteilt.
Russland bleibt bei weitgehenden Forderungen
Putin bekräftigte derweil im Laufe des Tages seine Forderungen. Laut einem Bericht der russischen Zeitung "Kommersant" soll Trump die vier von Russland annektierten Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja, Cherson sowie die Krim als russisches Territorium anerkennen. Entsprechende Forderungen erhebt Putin schon lange - obwohl seine Truppen die Regionen nicht einmal vollständig kontrollieren. Im Gegenzug werde Putin darauf verzichten, Anspruch auf die ukrainische Hafenstadt Odessa und andere ukrainische Gebiete zu erheben. Kremlsprecher Peskow sagte, das sei nicht Thema im Telefonat mit Trump gewesen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat solche Forderungen bislang immer als unannehmbar abgelehnt. Dabei weiß er die europäischen Staats- und Regierungschefs hinter sich. Insbesondere der britische Premier Keir Starmer hatte sich mit ihm solidarisch gezeigt, indem er sich gleich nach dem Trump-Putin-Telefonat mit Selenskyj austauschte. Die Europäer, darunter Kanzler Scholz und Kanzlerkandidat Friedrich Merz, gehen fest davon aus, dass Putin weiterhin die gesamte Ukraine zerstören will.
Auch der Selenskyj hat mittlerweile mit dem US-Präsidenten gesprochen. Der Republikaner teilte mit, es sei ein "sehr gutes Gespräch" gewesen, das eine Stunde gedauert habe. Es war der erste persönliche Kontakt seit dem heftigen Streit im Oval Office des Weißen Hauses, der mit dem Rauswurf Selenskyjs endete. Dem Ukrainer bot Trump in dem Gespräch diesmal an, die USA könnten die ukrainischen Atomkraftwerke übernehmen, um sie zu beschützen.
Ziemlich deutlich wurde der ehemalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace. Putin habe zwar einer Feuerpause zugestimmt, aber alle möglichen Bedingungen gestellt, die nur Russland helfen, zitiert ihn die Zeitung "Evening Standard". "Ich denke, Putin lacht uns gerade aus."
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