Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) hat die Forderung nach einer Reform des Paragrafen 218 Strafgesetzbuch zur Bedingung für eine Koalition der SPD mit CDU/CSU erklärt. Der Paragraf regelt die strafrechtlichen Bedingungen, unter denen Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland erlaubt sind.
Die Bundesvorsitzende Ulrike Häfner schreibt in einem offenen Brief an die SPD-Spitze, über den der „Spiegel“ berichtete: Eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sei „essenziell für einen künftigen Koalitionsvertrag von Union und SPD“. Die bisherige Regelung sei nicht länger tragbar: „Eine Nicht-Entkriminalisierung wäre ein Stillstand, den wir so nicht mehr akzeptieren.“
Auch Christine Faltynek, stellvertretende ASF-Vorsitzende, sagte: „Ein Gesetz von 1871 ist völlig aus der Zeit gefallen.“ Die SPD-Frauen knüpfen ihre Unterstützung für einen schwarz-roten Koalitionsvertrag explizit an Fortschritte in dieser Frage: Ohne Einigung über eine Entkriminalisierung wollen sie nicht zustimmen. Die SPD will nach Abschluss der Verhandlungen ihre Mitglieder über die Annahme des Koalitionsvertrags entscheiden lassen.
Auf Unionsseite stoßen diese Forderungen auf deutliche Ablehnung. In ihren Reaktionen verweisen Politikerinnen der Unionsparteien übereinstimmend auf den bestehenden Kompromiss, der seit den 1990er-Jahren in Kraft ist und Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland unter bestimmten Bedingungen straffrei stellt – sie aber grundsätzlich im Strafgesetzbuch belässt.
Gitta Connemann (CDU), Vorsitzende der Mittelstands-Union, sagt: „Ich sehe keinen Reformbedarf“, so Connemann. „Paragraf 218 sorgt für einen Ausgleich zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes.“ Dass die SPD-Frauen das Thema nun zur Koalitionsbedingung machen, erklärt sie für unangemessen. „Ethische Fragen können und dürfen niemals durch einen Koalitionsvertrag geregelt werden. Dafür gibt es Gruppenanträge.“ Connemann verweist auf das Recht jedes Abgeordneten, in Gewissensfragen unabhängig zu entscheiden. „In Gewissensentscheidungen lasse ich mir von niemandem reinreden – weder von der SPD noch von meiner Fraktion.“ Für sie als Christdemokratin sei klar: Selbstbestimmung ende dort, „wo die Rechte eines anderen beginnen“.
Die CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig betont die Vorzüge der derzeitigen Regelung. „Wir nehmen beide Seiten in den Blick: die Konfliktsituation der Frau auf der einen Seite und das ungeborene Leben auf der anderen.“ Der Paragraf 218 biete eine „sinnhafte Ausgewogenheit zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter und dem Schutz des ungeborenen Lebens“. Ludwig warnt davor, Abbrüche zu verharmlosen. „Ein Abbruch darf keinesfalls zu einem ästhetischen Eingriff bagatellisiert werden.“
Auch Unionsfraktionsvize Dorothee Bär (CSU) plädiert für Zurückhaltung. „Das Thema ist hochsensibel und eignet sich nicht für Kulturkämpfe“, so Bär. Die politische Aufgabe sei es, Selbstbestimmung und Lebensschutz „gleichermaßen zu bewahren“. Der bestehende Kompromiss habe „seit 30 Jahren die Debatte in unserem Land befriedet“.
Christina Stumpp, CDU-Abgeordnete und stellvertretende Generalsekretärin ihrer Partei, warnt vor den gesellschaftlichen Folgen eines neuen Gesetzes. „Die aktuelle Fassung des Paragrafen 218 ist ein bewährter Kompromiss, der das Gleichgewicht zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau wahrt.“ Eine Reform würde dieses Gleichgewicht gefährden und „tiefe Gräben in unserer Gesellschaft aufreißen“.
Recht auf Abtreibung galt bislang als Gewissensfrage
Dass Abtreibungen nun im Kontext der Koalitionsverhandlungen zum Thema werden, ist ungewöhnlich, weil es bislang als klassische Gewissensfrage galt – also als Feld, das nicht durch Fraktionsdisziplin oder Koalitionsverträge geregelt wird.
Der stellvertretende WELT-Chefredakteur Robin Alexander kommentierte auf X, eine solche Forderung sei „eine bizarre Idee“. Noch vor wenigen Tagen hätten dieselben Politikerinnen betont, dass ihr Anliegen überfraktionell behandelt werden müsse – jenseits parteipolitischer Logiken. Außerdem könnte in einer Gewissensfrage ein Unionsfraktionschef – in diesem Fall Friedrich Merz – seine Abgeordneten nicht anweisen, für ein Gesetz zu stimmen, das Ergebnis eines Koalitionsdeals sei.
Alexanders Prognose: SPD und Union werden sich im Koalitionspapier auf eine Formulierung einigen, die eine weitere parlamentarische Beratung „jenseits von Fraktionsgrenzen“ in Aussicht stellt. Die SPD dürfte versuchen, dabei die Empfehlungen der sogenannten Ampel-Kommission als Grundlage zu nutzen – ein Gremium, das im Auftrag der scheidenden Familienministerin Lisa Paus (Grüne) gearbeitet hatte.
Maximilian Heimerzheim ist Volontär bei WELT.
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