Von Mitte März bis Juni 1940 dreht Regisseur Veit Harlan "Jud Süß". Das Propagandawerk zeigt eine verzerrte Version eines berühmten Romans von Lion Feuchtwanger und hetzt Deutschland gegen die Juden auf. Noch immer ist der Hass des Werkes aktuell.
Wie sie denn das Drehbuch finde, fragt Tobias Moretti in der Rolle des unter Druck gesetzten Schauspielers Ferdinand Marian in "Jud Süss - Film ohne Gewissen" seine Frau. "Schlecht ist es nicht, aber furchtbar", antwortet Martina Gedeck als Anna nach der Lektüre des Skripts. So wie sie in Oskar Roehlers Film von 2010 muss man es wohl formulieren.
Vor 85 Jahren, von Mitte März bis Juni 1940, drehte der später wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" angeklagte und am Ende freigesprochene Regisseur Veit Harlan (1899-1964) den antisemitischen Spielfilm "Jud Süß" (oft auch mit "ss" geschrieben). Das Machwerk stand unter besonderer Aufsicht von Propagandaminister Joseph Goebbels. Es wurde am 5. September 1940 bei den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt. Am 24. September war Premiere in Berlin - im Ufa-Palast am Zoo. Mehr als 20 Millionen Kinobesucher wurden damals gezählt. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg fand der Film Zuspruch.
Verzerrte Version einer Biografie
Auch in den von Deutschen besetzten Gebieten wurde der Film oft vorgeführt, wenn Deportationen von Juden bevorstanden. SS-Schergen bekamen den nationalsozialistischen Hetzfilm extra gezeigt, um hemmungsloser zu morden.
Nach Krieg und Holocaust wurde "Jud Süß" zunächst verboten. Seit fast 60 Jahren gehört das Werk zu den sogenannten Vorbehaltsfilmen im Bestand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. Aufführungen müssen laut Murnau-Stiftung in einen einführenden Vortrag und eine Diskussion danach eingebunden sein.
Der Film zeigt eine verzerrte Version der Biografie des Bankiers Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer, kurz Joseph Süß Oppenheimer. Dieser wurde 1738 in Stuttgart hingerichtet. Regisseur Harlan berief sich auf den 1925 erschienenen Bestseller "Jud Süß" von Lion Feuchtwanger (1884-1958).
Nur den Titel gemeinsam
Der 100 Jahre alte Feuchtwanger-Roman war in den 1920ern ein Welterfolg. Das Buch fragt, ob eine Assimilation von Juden in Deutschland möglich sei. 1933 wurde es von den Nazis verboten - ein Beleg dafür, dass der jüdische Autor seinen ebenfalls jüdischen Titelhelden differenziert betrachtete.
Harlans Film behauptet, auf geschichtlichen Tatsachen zu beruhen, verdreht die Geschichte jedoch komplett. Inszeniert ist er aber keineswegs plump als antisemitische Indoktrination, sondern als Unterhaltungskino und fast subtiler Schurken-Thriller. In dem Film vereinigt der Jude Süß Oppenheimer in seiner Person viele antisemitische Stereotype wie Habgier, Hinterlist, Feigheit, bedrohliche Geilheit bis hin zur Weltverschwörung.
Darum geht es in dem Spielfilm
Im Film von 1940 wird der Frankfurter Geld- und Schmuckhändler Oppenheimer (Ferdinand Marian) im 18. Jahrhundert vom württembergischen Herzog Karl Alexander (Heinrich George; der Vater von Götz George) an den Hof berufen. Er soll dessen maßlosen Lebensstil finanzieren helfen. Machtbesessen und schmierig spielt Marian den Juden Süß. Bei den Landständen ist er rasch unbeliebt.
Seinen Einfluss nutzt der Finanzexperte, um den Judenbann in Stuttgart aufzuheben. Viele Juden strömen in die Stadt. Als Statisten zwangsverpflichtete die NS-Filmindustrie Juden aus dem Warschauer Ghetto.
Das tugendhafte Gegenbild zu Oppenheimer liefern aufrechte Bürger, allen voran der Staatsrat Sturm (Eugen Klöpfer), dessen Tochter Dorothea (die aus Schweden stammende Frau von Regisseur Harlan, Kristina Söderbaum) und ihr Verlobter Faber (Malte Jaeger). Oppenheimer ist besessen davon, Dorothea zur Frau zu nehmen. Da sie sich ihm verweigert, lässt er Faber foltern und vergewaltigt Dorothea. Die nimmt sich daraufhin das Leben.
Oppenheimer bringt den Herzog dazu, beginnende Aufstände der Bevölkerung niederzuschlagen. Der Herzog stirbt an einem Schlaganfall. Oppenheimer wird festgenommen und zum Tode verurteilt. Jämmerlich um sein Leben bettelnd, wird er gehängt. Alle Juden müssen innerhalb von drei Tagen Württemberg verlassen. Die letzten Worte im Film lauten: "Mögen unsere Nachfahren an diesem Gesetz ehern festhalten. Auf dass ihnen viel Leid erspart bleibe an ihrem Gut und Leben - und an dem Blut ihrer Kinder und Kindeskinder."
Film als Anti-Israel-Propaganda
Ein weitgehend dunkles Kapitel in der Rezeptionsgeschichte ist die Nutzung des Films in der Nachkriegszeit außerhalb Deutschlands. "Der Film wurde in den 50er und 60er Jahren im Nahen Osten - Libanon, Syrien, Irak - als Propaganda gegen Israel gezeigt", sagt der britische Historiker Bill Niven ("Jud Süß - das lange Leben eines Propagandafilms"). Er plädiert dafür, gerade jetzt anhand des Films zu zeigen, wie antisemitische Muster, die bei Harlan erkennbar sind, heute fortleben und auch nach dem Hamas-Massaker in Israel vom 7. Oktober 2023 verbreitet sind.
"Es geht etwa um die Vorstellung, dass Juden 'kolonisieren', damals den Staat Württemberg, heute den Nahen Osten. Es geht auch um die Idee, dass Juden keine richtige Heimat haben; dass sie auf die Zerstörung anderer Kulturen aus sind, damals die christliche, heute die palästinensische", sagt Niven. "Es geht vor allem auch um den Wahn, dass die einzige Lösung in der Vertreibung der Juden besteht, damals aus Württemberg, heute durch die Auslöschung des Staates Israel."
"Jud Süß" ist 85 Jahre alt, Niven zufolge aber alles andere als veraltet. "Antisemitismus ist im rechten politischen Spektrum anzutreffen und im linken, postkolonialen Milieu", sagt der Historiker. "Das Problem ist vielfältiger geworden. Es ist groß - und global."
Der Historiker plädiert auch dafür, dem Film von 1940 den Nimbus des Verbotenen zu nehmen. "Sonst können Rechtsradikale kommen und sagen: Es muss also etwas dran sein, sonst würde man den Film nicht verbieten", sagt Niven. Er wünscht sich eine kommentierte, wissenschaftlich aufbereitete Fassung - auf DVD oder zum Streamen: Im Internet könne ihn ohnehin jeder finden, sagt der Historiker.
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