Wie soll es mit dem Bürgergeld weitergehen? Soll es gesenkt werden? Sollen die Sanktionen gegen Arbeitsunwillige erhöht werden? Und wie sollen Bürgergeldempfänger in Arbeit gebracht werden? Darüber diskutieren die Gäste bei "Hart aber fair".
Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD laufen auf vollen Touren. Doch viele Themen sind noch strittig. Dazu gehört das Bürgergeld, bei dem die Parteien Kürzungen vornehmen wollen. Fünfeinhalb Millionen Menschen sind davon betroffen. Sie bekommen 563 Euro im Monat, wenn sie alleinstehend sind. Die Miete kommt obendrauf. Wie geht es damit weiter? Das möchte Moderator Louis Klammroth am Abend in der ARD-Talkshow "Hart aber fair" von seinen Gästen wissen.
Deutschland müsse schnell handlungsfähig werden. Da ist sich der CDU-Wirtschaftspolitiker und -Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban sicher. Dazu waren in der vergangenen Woche zwei Finanzpakete für die Infrastruktur und die Sicherheit Deutschlands in einer Gesamthöhe von einer Billion Euro vom Bundestag beschlossen worden. Nun muss gespart werden. Auch beim Bürgergeld, sagt Kuban. Es gebe Bürgergeldempfänger, die krank sind oder aufstocken müssen, weil sie mit ihrer Arbeit zu wenig verdienen oder alleinerziehend sind. "Aber wir haben eine Gruppe, die voll erwerbsfähig ist. Die könnten arbeiten, aber sie gehen nicht arbeiten. Bei den beiden ersten Gruppen sind wir stolz darauf, dass wir in Deutschland ein soziales Netz haben, dass wir diejenigen auffangen und für sie da sind und dass wir für diejenigen sogar mehr machen wollen. Aber wir sagen klar und deutlich zu denen, die erwerbsfähig sind: Der Sozialstaat kann nur für diejenigen da sein, die gerade nicht können, aber er kann nicht für die da sein, die gerade nicht wollen."
Das Abstandsgebot zwischen Bürgergeldempfängern, die erwerbsfähig sind und nicht arbeiten gehen und jenen, die einen niedrigen Lohn verdienen, sei nicht gewährleistet, meint die Unternehmerin Isabel Grupp-Kofler. Zudem geht sie davon aus, dass viele Bürgergeldempfänger noch zusätzlich mit Schwarzarbeit Geld verdienen. "Die Betrugsquoten gehen nach oben", sagt sie. "Natürlich ist dann auch der Groll da bei denen, die Leistung bringen." Die Managerin eines Kunststoff-Familienbetriebes in Baden-Württemberg fordert deswegen eine Reform des Bürgergeldes.
Reichinnek: Da rangehen, wo viel zu viel ist
Heidi Reichinnek schüttelt mit dem Kopf, wenn sie so etwas hört. Reichinnek ist Chefin der Linken-Fraktion im Bundestag und hat zu dem großen Wahlerfolg ihrer Partei beigetragen. Sie ist der festen Überzeugung: Das Bürgergeld ist zu niedrig. So könnten Kinder nicht ausgewogen ernährt werden, das würden Studien beweisen. "Diese Debatte geht in eine Richtung: Es wird so getan, als ob massenhaft Menschen Bürgergeld beziehen, obwohl sie arbeiten könnten. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, ist das aber nur ein Bruchteil von den Leuten, die Bürgergeld bekommen."
Immerhin 1,7 Millionen, glaubt man der Bundesagentur für Arbeit. Die Frage sei, "warum diese Menschen nicht arbeiten", so Reichinnek. Ein Problem sei, dass sie nicht adäquat ausgebildet seien. "Da müssen wir ansetzen." Daher will die Linke den Regelsatz auf 813 Euro anheben und die Mieten bezahlen. Gleichzeitig sollen für alle Bürger Lebensmittel, Mieten und Energiekosten günstiger werden. Zudem soll der Mindestlohn auf 15 Euro steigen. Reichinnek: "Wenn wir bei 15 Euro Mindestlohn ansetzen und vernünftige Tariflöhne zahlen, dann muss sich niemand beschweren. Also lasst uns doch darüber reden, wie wir mittlere und geringe Einkommen entlasten, und da, wo viel zu viel ist, rangehen, zum Beispiel bei leistungslosen Milliardenerbschaften. Das ist die Debatte, die wir führen müssen."
Sanktionen beim Bürgergeld
Ob sich an der Höhe des Bürgergeldes überhaupt etwas ändern soll, ist bisher noch völlig unklar. Klar ist jedoch: Wer mehrfach zumutbare Arbeit ablehnt, muss mit harten Maßnahmen rechnen. Es geht um den vollständigen Leistungsentzug. Das haben Union und SPD in ihrem Sondierungspapier festgelegt. Das Problem: Vollständiger Leistungsentzug ist laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich. Außer dann, wenn der Verdienst bei einem abgelehnten Job so hoch wäre, dass ein Bürgergeldempfänger mit seiner Familie komplett auf Sozialleistungen verzichten könnte. Das kommt jedoch praktisch fast nie vor.
Rechne man nur die Menschen, die arbeiten könnten, dann sei die Zahl der Bürgergeldempfänger in den letzten zwanzig Jahren um eine Million zurückgegangen. Darauf weist der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte von der SPD hin. Der Netto-Regelsatz der Grundsicherung sei in den vergangenen zwanzig Jahren nicht angestiegen. Und dieser Satz sei niedrig. So habe ein Bürgergeldempfänger in einem Single-Haushalt gerade mal 50 Euro in der Woche für Essen und Trinken zur Verfügung. Bovenschulte: "Ich finde überhaupt nicht, dass der Regelsatz zu gering ist. Allerdings kann es nicht sein, dass der Regelsatz beliebig gesteigert wird, denn er muss ja in einem Verhältnis zu dem stehen, was Menschen, die Arbeit haben, verdienen und wie das mit dem Lohngefüge zusammenpasst." Der Regelsatz sei kein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern die Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums.
Es geht also in Wahrheit darum, dass Arbeitnehmer mehr verdienen müssten. Da habe die Union keine Ideen, wirft Heidi Reichinnek dem CDU-Politiker Kuban vor. Das solle aber nun geändert werden, erklärt Kuban. "Wir werden insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen mit einer Steuerreform entlasten. Das haben wir gemeinsam vereinbart. Daran werden wir uns auch messen lassen. Die Gespräche waren etwas hakelig, aber jetzt werden die Parteivorsitzenden das noch glätten. Unser Ziel ist, dass Arbeitnehmer am Ende auch mehr Geld in der Tasche haben." Eine Erhöhung des Mindestlohnes auf 15 Euro lehnt Kuban ab. "Wenn sich der Mindestlohn erhöht, dann erhöht sich nicht nur der Mindestlohn um 2,50 Euro pro Stunde, sondern es erhöht sich auch der Lohn, der vorher bei 17 Euro war, auf 19,50 Euro. Das ist die realistische Folge. Und die sorgt dafür, dass Unternehmen am Ende Probleme bekommen, weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind." Die Union wäre trotzdem für eine Anhebung des Mindestlohnes, aber nur, wenn dies die Mindestlohnkommission entscheide. Die Politik solle sich aus diesem Thema heraushalten, sagt Kuban.
Wie die Leute in Arbeit bringen?
Eine andere wichtige Frage ist: Was muss man tun, um Bürgergeldempfänger wieder in Arbeit zu bringen. Das Problem: Jobcenter helfen oft nicht. Deren Mitarbeiter sind häufig überlastet, und oft haben sie es bei der Vermittlung mit schwierigen Fällen zu tun. "70 Prozent ihrer Arbeit fließen in die Verwaltung des Systems", fügt Isabel Grupp-Kofler hinzu. "Das ist ein Problem, weil wir da gar nicht den Fokus richtig gesetzt haben. Wir bekommen teilweise Vermittlungsvorschläge, die funktionieren. Aber beim Großteil ist das so: Die kommen und sagen dann: Ich will hier gar nicht arbeiten, ich brauche nur die Unterschrift, damit ich das Geld wieder bekomme. Und weg sind sie. Die rauben uns die Zeit, holen sich die Unterschrift für das Bürgergeld und arbeiten dann schwarz."
"Wir können stolz darauf sein, dass wir ein solches Sozialsystem haben", findet Sasa Satata. Sie gehörte der Piratenpartei an, kann wegen einer schweren Rheuma-Erkrankung nicht mehr arbeiten und bekommt Bürgergeld. Sie weiß nicht, ob sie an diesem Wochenende ihren Kühlschrank vollbekommen wird. Und sie macht sich Sorgen: "Ich beobachte, dass der Hass auf Leistungsbeziehende tendenziell größer geworden ist, dass immer mehr auf uns herabgeschaut wird. Ich sehe keine positive Entwicklung bei einer kommenden Regierungsbildung. Im Gegenteil: Ich sehe dort Rückschritte."
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