Deutschlands ranghöchster Soldat fand klare Worte für die bedrohliche Lage, in der sich die Bundesrepublik befindet. „Bei Putins Krieg gegen die Ukraine geht es nicht um Landnahme und Rohstoffe. Sein Krieg wird mit dem Griff nach der Ukraine nicht aufhören. Das militärische Material, das Russland jetzt produziert, geht nicht an die Front in der Ukraine, sie ist auf den Westen gerichtet“, sagte Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer am Dienstag in Berlin. Ein Ende des Ukraine-Krieges werde nicht dazu führen, „dass wir auf dem europäischen Kontinent Frieden haben“.

Der General warnt: „Nach unseren Analysen ist Russland in der Lage, in vier bis sieben Jahren Nato-Territorium anzugreifen – also 2029.“ Um diese Jahreszahl kreisten Breuers Rede und auch die anderen Beiträge auf der 18. Sicherheitstagung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft.

Deutschland und der Westen suchten nach Ordnung und Verständnis angesichts dieser bedrohlichen Lage, erklärte Breuer. „In diesen Wochen haben wir eine sicherheitspolitische Dynamik, wie ich sie in meinen mehr als 40 Jahren als Soldat noch nie erlebt habe.“ Er könne das Wort „Weckruf“ nicht mehr hören. Es sei Zeit zum Handeln. Nach drei Jahren stelle er fest: „Die 100 Milliarden Sondervermögen für die Verteidigung wurden sinnvoll investiert. Es sind jedoch immer noch Lücken offen.“ Die Bundeswehr habe ihre Beschaffung beschleunigt, aber von der Bestellung bis zur Lieferung etwa eines Kampfpanzers dauere es drei Jahre.

Zum Vergleich: Die Russen produzierten jährlich 1500 Kampfpanzer. „Die fünf größten europäischen Nato-Nationen haben gerade mal die Hälfte davon im Bestand“, sagte Breuer. Russland produziere zudem jedes Jahr vier Millionen Schuss Artilleriemunition. „Wir haben uns in Europa letztes Jahr ziemlich schwer damit getan, der Ukraine eine Million Schuss zur Verfügung zu stellen.“ Bis 2026 wolle Russland seine Mannstärke auf 1,5 Millionen Soldaten erhöhen. „Das ist eine Verdopplung der Vorkriegsstärke.“

Breuers Folgerung: „Russland ist für uns derzeit die größte und unmittelbarste Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa.“

Für eine glaubwürdige Abschreckung brauche die Bundeswehr bis 2029 einen Aufwuchs von 100.000 Soldaten. Dafür sei „irgendeine Form des Wehrdienstes“ nötig. „Ich plädiere nicht für eine komplette Wehrpflicht. Nicht dafür, ganze Jahrgänge auszubilden.“ Das ginge zulasten der Verteidigung der östlichen Nato-Flanke.

BfV-Vizepräsident Sinan Selen forderte eine grundlegende Neuausrichtung von Sicherheitsbehörden. In seiner Rede sprach er immer wieder in Bezug auf seine Behörde von einem „Abwehrdienst“. Vor allem Russland agiere zunehmend offensiver gegen die Demokratien in Europa und weite seine nachrichtendienstlichen Methoden aus.

Man sehe derzeit verstärkt den Einsatz sogenannter Low-Level-Agenten: „Akteure, die genutzt werden, um Aktionen wie Propaganda oder Sabotage zu verüben. Sie kommen häufig aus kleinkriminellen Kreisen und sind oft auf schnelles Geld aus.“ Nachrichtendienstliche Operationen würden immer komplexer: „So werden Cyberangriffe, Desinformation und Sabotage miteinander verzahnt, um die Wirkung zu maximieren.“

Deutschland ist gerade dabei, sich an Begriffe wie Kriegstüchtigkeit zu gewöhnen. „Können Sie Krieg?“ Diese Frage, berichtete General Breuer, stelle er oft bei seinen Vorträgen. „Die Reaktionen darauf reichen von Ablehnung, das wird zunehmend weniger, über Verblüfftheit und Nachdenken.“ Nach so einem Vortrag habe eine Frau zu ihm gesagt: „Herr General, Sie machen mir Angst“. Seine Antwort: „Ich hoffe nicht, dass ich es bin, der Ihnen Angst macht. Das ist jemand, der in Moskau sitzt.“

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