Die Klage gegen den Solidaritätszuschlag scheitert. Weder hat das Bundesverfassungsgericht ein Problem mit den weiter bestehenden Kosten der Wiedervereinigung noch mit der einseitigen Belastung von Spitzenverdienern. Schwarz-Rot kann aufatmen, die FDP erntet die nächste Klatsche.
Das Bundesverfassungsgericht ist immer für eine Überraschung gut. Die Beteiligten der Ampelkoalition können davon ein Lied singen. Erst kassierte Karlsruhe den Gesetzgebungsprozess zum Heizungsgesetz wegen nicht eingehaltener Beratungsfristen, dann erklärten die Richter die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds über die Umwidmung von Corona-Krediten für unzulässig. Das Urteil gilt als Anfang vom Ende der Regierung Olaf Scholz. Entsprechend bange schauten an diesem Mittwoch die sich zur nächsten Regierungsbildung anschickenden Parteien CDU, CSU und SPD von Berlin aus in den Südwesten. Dort wurde final befunden, dass die fortgesetzte Erhebung des Solidaritätszuschlags für Spitzenverdiener und Unternehmen rechtmäßig ist.
Andernfalls hätte die kommende Regierung nicht nur schlagartig rund 12 Milliarden Euro weniger Einnahmen pro Jahr gehabt. Sie hätte womöglich auch 60 Milliarden Euro an die verbliebenen Soli-Zahler zurückerstatten müssen. 100 Milliarden Euro weniger für die kommenden vier Jahre: Die Koalitionsbildung wäre erheblich schwieriger geworden. Es ist bekannt, dass die Bundesverfassungsrichter meist auch einen Blick für die praktischen Folgen ihrer Urteile haben - und wissen, dass Deutschland schnell eine funktionierende Regierung braucht. Das geschlossene Votum des Zweiten Senats mit nur einer abweichenden Begründung ist aber ein starkes Zeichen - und eine Klatsche für die Kläger aus den Reihen der FDP.
Über den Eigennutz des Teilens
Der Gesetzgeber sei "in Anbetracht des Sozialstaatsprinzips und der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Einkommensteuerpflichtigen" berechtigt, Abgaben entsprechend abzustufen - wie bei Steuern auch, befinden die Richter. Die von den Klägern monierte Ungleichbehandlung, die angebliche Diskriminierung von Leistungsträgern, die die Freidemokraten witterten, stuften die Richter als Unsinn ein - freilich ohne eine derartige Wertung ins Urteil einfließen zu lassen. Aber die Bundesrepublik ist nun einmal ein Sozialstaat, in dem der Starke eine stärkere Verantwortung für die Finanzierung des Gemeinwesens hinnehmen muss. In dieser Einschätzung decken sich das Urteil und das jüngste Bundestagswahlergebnis eindrücklich.
Die abweichende Urteilsbegründung fällt zudem nicht im Sinne der FDP aus, sondern geht noch über die Entscheidung hinaus. Richterin Astrid Wallrabenstein stellt darin fest, dass Umverteilung via Steuern als notwendiges Korrektiv zum grundgesetzlich garantierten Schutz des Privateigentums beiträgt. Wallrabenstein wurde zwar einst von Bündnis90/Die Grünen als Verfassungsrichterin vorgeschlagen. Dennoch sollten sich nicht nur FDP-Politiker dieses Argument zu Herzen nehmen: Der Reichtum einer Minderheit ist nur sicher vor gesellschaftlichen Umwälzungen, wenn sich auch alle anderen fair behandelt fühlen. Damit es auch die FDP versteht: Wahre Leistungsträger leisten einen Beitrag zum Gemeinwohl - wenn schon nicht aus Großherzigkeit, dann aus kluger Abwägung.
Karlsruhe will mitreden
In ihrer abweichenden Urteilsbegründung warnt Wallrabenstein zugleich vor den Folgen des jüngsten Urteils. Die übrigen Richter schließen sich in ihrem Urteil der Argumentation der Bundesregierung an, wonach die Einnahmen durch den Solidaritätszuschlag weiter benötigt würden, um die Folgekosten der deutschen Wiedervereinigung zu finanzieren. Diese Aufgabe besteht demnach ungebrochen fort. Der Gesetzgeber müsse aber sehr wohl sicherstellen, so das Urteil, dass der Zweck einer Abgabe tatsächlich über den Zeitpunkt ihrer erstmaligen Erhebung hinaus fortexistiert.
Karlsruhe behalte sich mit dieser Auflage faktisch vor, künftig auch Abgaben wieder einzukassieren, wenn die ursprüngliche Begründung einer Abgabe so nicht mehr besteht, moniert Wallrabenstein. Sie befürchtet, dass sich Karlsruhe damit künftig in Haushalts- und Finanzfragen einmischen könnte, die doch Hoheitsgebiet des Gesetzgebers sind. Die FDP dagegen mag - nach ihrem Bundestagsrauswurf und nun der Niederlage vor Gericht - Trost darin finden, dass sich Karlsruhe ein Einschreiten gegen etwaige Steuern- und Abgabenexzesse vorbehält.
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