Angesichts eines US-Präsidenten, der sie als "Schmarotzer" beschimpft, müssen die Europäer ihren Handel neu ausrichten. Eine tiefere Zusammenarbeit mit Peking komme jedoch nur punktuell infrage, sagt Merics-Chefökonom Max J. Zenglein. Er warnt vor zu vielen Zugeständnissen an China.

ntv.de: US-Präsident Donald Trump hat nicht nur Zölle auf den Import von Aluminium und Stahl verhängt und droht mit weiteren Einfuhrbeschränkungen - er bezeichnet die Europäer auch als "Schmarotzer". Sind die USA als Handelspartner so unzuverlässig geworden, dass sich Europa von ihnen lösen sollte?

Max J. Zenglein: Es gibt in den Beziehungen mit den USA verstärkt Disruptionen, auf die wir uns einstellen müssen. Aber der Lärm, der jetzt aus Washington kommt, wird nicht über Nacht die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Europa auflösen. Die transatlantischen Zerwürfnisse stellen Europa vor immense Herausforderungen. Aber es wird kein komplettes De-Coupling, also eine Entkopplung, Europas von den USA geben – genauso wenig wie dies mit China der Fall ist. Ohne Zweifel wird ein Umdenken stattfinden müssen und die Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte steht vor einem großen Umbruch.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warb einst unter dem Stichwort "De-Risking" dafür, sich wirtschaftlich ein Stück weit von China zu lösen. In Davos sprach sie aber davon, die EU und China sollten ihre Handelsbeziehungen ausbauen. Steckt dahinter eine Drohgebärde gegenüber Trump?

Das halte ich nicht für eine Drohgebärde. Es sind einfach die Realitäten, auf die man sich einstellen muss. Die Wirtschaftsbeziehungen mit den USA und China sind für Europa extrem wichtig. Trotz des De-Risking gibt es genügend unkritische Bereiche, in denen die EU die Beziehungen mit China fortführen kann und soll - bei erneuerbaren Energien oder Konsumgütern etwa. Das Gleiche gilt für die Beziehungen mit den USA. Aber es gibt eine neue Realität: Die Globalisierung und die wirtschaftlichen Verflechtungen werden zunehmend politisiert. Europa wird Position beziehen müssen und es wird die eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken müssen – auch um in einem komplexeren Umfeld resilienter zu werden.

EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič reist am Donnerstag nach Peking, um mit dem chinesischen Handelsminister Wang Wentao zu sprechen. Wird China den Europäern konkrete Angebote auf den Tisch legen?

Ich erwarte keine konkreten Angebote, aber China wird versuchen, sich als der stabiler und verlässlicher Partner zu positionieren. Es werden nach dem Treffen wahrscheinlich die gleichen Geschichten erzählt, die wir schon seit Jahren hören: Dass China den offenen Handel fördern, seinen Markt weiter öffnen und sich für faire Wettbewerbsbedingungen einsetzen möchte. Außerdem wird es Europa für seinen angeblichen Protektionismus kritisieren, auch mit Blick auf die EU-Zölle gegen chinesische E-Autos. China sieht die Europäer durch Trump und die Entwicklungen in den Handelsbeziehungen zu den USA geschwächt. Es gibt deshalb keinen Grund für Peking, Europa konkrete Angebote zu unterbreiten. Genauso wenig ist es glaubhaft, dass China als Garant für liberalen Handel einstehen kann.

Europäische Unternehmen klagen, die Profitabilität auf dem chinesischen Markt sinke – wegen schwachem Konsum, hohem Wettbewerbsdruck und massiven Subventionen. China kann auch vor diesem Hintergrund kaum das Vakuum füllen, das die USA hinterlassen, oder?

Genau. Die USA waren bisher ein äußerst offener Markt, der sich unter Trump zunehmend abschottet und nationalistisch agiert. Aber in China haben wir diese Situation schon längst. Es wird in China auch künftig keine Offenheit geben, wie es bisher in den USA der Fall war. Das ist die Zwickmühle, in der sich Europa befindet. In dieser Situation darauf zu hoffen, dass China der Rettungsanker für die Wirtschaft sein wird, ist ein falscher Ansatz. Dann müsste man ausblenden, wie nationalistisch die chinesische Wirtschaftspolitik seit Jahrzehnten ist. Deshalb muss man auch in Bereichen, die auf den ersten Blick unkritisch scheinen, genau prüfen, welche industriepolitischen Ambitionen China dort hat.

In Europa gibt es auch Sicherheitsbedenken, weil China den russischen Angriffskrieg in der Ukraine stützt. Ist technologischer Wissenstransfer zwischen der EU und China gefährlich, weil er militärisch genutzt werden könnte?

Da ist Vorsicht erforderlich. Es geht beim Wissenstransfer zum einen um die militärische Anwendung und zum anderen auch darum, Chinas industriepolitische Ambitionen voranzutreiben. Ein naiver Wissenstransfer ist also aus vielerlei Gründen mit Risiken verbunden. Trotz aller Bedenken wäre es ein Fehler, in unkritischen Bereichen nicht mit China zu kooperieren. Es geht auch darum, zu gewährleisten, dass der Wissensaustausch keine Einbahnstraße ist. China ist den Europäern in einigen Bereichen voraus, sodass sie hier von Chinas technischem Wissen profitieren können. Daher gilt es, den Wissenstransfers nach Europa klug zu forcieren. Es geht also darum, die Kooperation nicht auszuschließen, aber sie strategischer und mit Bedacht auszurichten.

Trump hat Zölle von zehn Prozent auf alle Importe aus China eingeführt. Dadurch könnte Peking die EU mit noch mehr Billigwaren fluten als bisher. Könnte die EU deshalb irgendwann selbst Zölle gegen China einführen?

Das kommt auf den Bereich an. Falls durch die Flut chinesischer Billigwaren die Profitabilität der europäischen Unternehmen torpediert wird und ganze Wirtschaftszweige unter Druck geraten, könnte Europa die gleichen Zölle wie die USA erheben. Es ist aber nicht nur ein Problem der USA oder Europas. Es gab in den letzten Jahren auch innerhalb des globalen Südens Länder, die Zölle erhoben haben gegen die Flut von chinesischen Waren. Auch mit diesen Ländern muss der Dialog gesucht werden, um anschließend auch mit China zu verhandeln. Das ist aber, zugegeben, einfacher gesagt als getan und wird viel diplomatisches Geschick erfordern.

Sie sagten ja bereits, die Chinesen sehen die Europäer als geschwächt an - wegen Trumps Handelspolitik. Also sind die Europäer für Peking keine Verhandlungspartner auf Augenhöhe, oder?

Absolut nicht. China versucht die Situation dahingehend zu nutzen, oberflächlich die positiven Narrativen in den Beziehungen mit den Europäern in den Vordergrund zu stellen. Wir haben es am Wochenende beim China Development Forum in Peking gesehen, an dem viele europäische Unternehmen teilnahmen. Die europäischen Firmen zeigten dort auffällig viel Verständnis für die Situation, in der sich China befindet und gaben sich optimistisch. Es wirkt auf mich nicht so, als könnte China den Eindruck gewinnen, man habe es mit einem starken Europa zu tun. Das spielt China in die Karten. China wird die Situation der Europäer knallhart ausnutzen, sobald es die Gelegenheit dazu bekommt.

Die europäischen Unternehmer auf der Veranstaltung wirkten tatsächlich so, als wollten sie einen Kuschelkurs gegenüber Peking fahren. Gibt es bei dieser Veranstaltung keinen Raum für Kritik?

Keiner kommt zum China Development Forum, um dort kritische Worte auszusprechen. Unternehmen versuchen vielmehr, sich dort positiv gegenüber China zu positionieren. Das ist auch der Grund, weshalb China sie einlädt. Das sollten sich die Europäer auch klarmachen: Japanische oder südkoreanische Unternehmen waren bei der Veranstaltung kaum präsent. Die lassen sich weit weniger politisch einbinden. Das zeigt, wie viel mehr Erfahrung diese Länder im Umgang mit China haben. Die Europäer lassen sich für Chinas Zwecke einnehmen.

Sollten die Europäer gerade mit diesen Ländern, die Erfahrung im Umgang mit China haben, stärker kooperieren?

Davon bin ich überzeugt. Besonders von Japan, aber auch von Südkorea kann man viel lernen. Diese Länder haben viele Gemeinsamkeiten mit Herausforderungen, die Europa hat, ob es nun um die wirtschaftliche Bedeutung Chinas geht oder die Rolle der USA in deren Sicherheitsarchitektur. Mit Blick auf die wirtschaftliche Sicherheit und im Umgang mit China spielen diese Länder in einer anderen Liga als die europäischen Staaten. Davon kann sich Europa eine Scheibe abschneiden. Mit diesen Ländern lohnt sich jede Form von Kooperation, auch um die negativen Entwicklungen mit den USA auszubalancieren.

Mit Max Zenglein sprach Lea Verstl

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