Signal-Gate lässt grüßen: Wohnadressen, Mobilnummern, persönliche Mailkontakte sind im Internet frei zugänglich - auch die von deutschen Ministern, Parteichefs und Abgeordneten. Wer gezielt sucht, wird oft binnen Minuten fündig.

Es ist der 29. Dezember 2021. Boris Pistorius - zu diesem Zeitpunkt noch Innenminister von Niedersachsen, nicht Bundesverteidigungsminister - bucht eine Flugreise ins europäische Ausland. Wie tausende andere Reisende auch, trägt er auf der Website der Airline seine Kontaktdaten ein: sein Geburtsdatum (14. März 1960), seine private E-Mail-Adresse, seine Mobilnummer und seine Wohnadresse in Niedersachsen.

Was wie ein alltäglicher Vorgang erscheint, birgt im Fall von Spitzenpolitikern erhebliche Risiken - vor allem dann, wenn diese sensiblen Daten in falsche Hände geraten. Seit seinem Amtsantritt als Verteidigungsminister zählt Pistorius zu den Hauptzielen internationaler Nachrichtendienste, insbesondere aus Russland.

Leichtes Spiel für Geheimdienste

Im Jahr 2022 wird die Fluggesellschaft Opfer eines Hackerangriffs. Die Angreifer stehlen zahlreiche Kundendaten. Auch die Informationen von Boris Pistorius geraten in ihren Besitz. Seitdem kursieren sie im Netz, tauchen immer wieder im sogenannten Darknet auf - teils zum Verkauf, teils frei zugänglich in Chatgruppen. Bis heute sind die fraglichen Daten öffentlich und kostenlos abrufbar. Reporter von RTL und ntv konnten sie ohne große Mühe innerhalb weniger Minuten online auffinden.

Für Geheimdienste, ausgestattet mit üppigem Budget und hochspezialisierten Fachkräften, sind solche Leaks leichtes Spiel. Sie durchforsten das Netz gezielt nach genau solchen Sicherheitslücken und können sie nutzen. Die Betroffenen wissen davon häufig nichts.

Nicht nur die Informationen über Mobilfunknummern, sondern auch die Kenntnis über Privatadressen können Geheimdienste theoretisch nutzen, um die Kommunikation von deutschen Politikern zu überwachen. "Ein Angriff gegen das WLAN, gegen Bluetooth-Geräte und auch die Nachverfolgung von Bewegungen im Haus durch Funkwellen sind denkbar", sagt Simon Dohmen, IT-Sicherheitsexperte bei RTL. Auch ein gezieltes Anzapfen des Internetanschlusses sei möglich, wenn die Privatadresse bekannt ist, warnt der Experte.

Nicht nur Pistorius betroffen

Der Fall zeigt: Nicht nur in den USA, wo ein Berater von US-Präsident Donald Trump offenbar einen Journalisten versehentlich einer internen Chat-Gruppe hinzugefügt hat, ist der Umgang mit sensiblen Daten ein Problem. Denn Pistorius ist bei Weitem kein Einzelfall. RTL und ntv liegen sensible Daten dutzender Spitzenpolitiker vor - aus öffentlich zugänglichen Quellen. Auch CDU-Chef Friedrich Merz, der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler, ist betroffen: Seine private Wohnadresse im Sauerland ist in einem Datenleck dokumentiert. Ebenso die Privatanschrift des CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt in Bayern, des ehemaligen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet in Aachen und von Grünen-Politiker Sven Giegold in Niedersachsen. Von Giegold lässt sich zudem eine Mobilnummer finden.

Zwar sind auch die Wohnsitze internationaler Staats- und Regierungschefs - etwa Donald Trumps Anwesen in Florida oder Wladimir Putins Residenzen - öffentlich bekannt. Doch im Gegensatz zu Deutschland sind diese Anwesen meist hochgesichert. In Deutschland hingegen handelt es sich bei den Wohnorten führender Politiker oft um ganz gewöhnliche Häuser. Eine dauerhafte Bewachung durch die Polizei findet in der Regel nur während der Amtszeit Minister oder Abgeordneter statt - mit dem Ausscheiden aus dem Amt endet häufig auch dieser Schutz.

Unachtsamkeit im digitalen Alltag

SPD-Chef Lars Klingbeil geht offenbar recht sorglos mit seiner Mobilnummer um. Auch sie ist online abrufbar. Wer die Nummer speichert, kann sofort sein WhatsApp-Profilbild erkennen - öffentlich einsehbar für jeden, der Zugriff auf die Nummer hat. Mit einer einfachen Einstellung in der App ließe sich das verhindern.

Nicht nur Klingbeil ist unvorsichtig: Auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner von der CDU, Grünen-Chef Felix Banaszak und der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla machen diesen Fehler. Ihre Profilfotos sind ebenfalls ungeschützt sichtbar.

Ein weiteres Beispiel: Der SPD-Politiker Jörg Kukies, seit November 2024 Bundesfinanzminister, hat sich mit seiner Mobilnummer bei einem sozialen Netzwerk registriert - das wenig später Opfer eines Datenlecks wurde. Obwohl das Datenleck seit Jahren öffentlich bekannt ist, scheint Kukies die Nummer weiterhin zu nutzen.

Datendiebstähle häufen sich

Bereits 2019 wurden zahlreiche Handynummern von deutschen Politikern öffentlich. Geleakt wurden bereits damals Kontaktdaten wie Handynummern und Adressen. Die Daten wurden offenbar durch die missbräuchliche Nutzung von Zugangsdaten zu Clouddiensten, E-Mail-Accounts und sozialen Netzwerken erlangt.

2021 stahlen Hacker Nutzerdaten von Facebook. Auch in diesen Leaks waren laut Medienberichten die Daten von rund 50 Abgeordneten enthalten.

RTL und ntv haben die betroffenen Parteien mit den Ergebnissen der Recherche konfrontiert. Aus der SPD heißt es, man nehme die Gefahr durch Hacker sehr ernst, investiere zunehmend in IT-Sicherheit und arbeite eng mit den Behörden zusammen, um den Schutz sensibler Daten regelmäßig zu überprüfen.

Auch bei den Grünen betont man den sensiblen Umgang mit persönlichen Informationen und prüft fortlaufend, ob zusätzliche Schutzmaßnahmen notwendig sind - verweist aber zugleich darauf, dass Handynummern von Spitzenpolitikern im politischen Betrieb oft breit gestreut seien. Andere Parteien äußerten sich bislang nicht.

Ein unterschätztes Risiko

In Deutschland sind Millionen Nutzer von diesen Sicherheitslücken betroffen, weil sie entweder zu sorglos mit ihren Daten umgehen oder die Daten von Firmenservern gestohlen werden. Doch sie sind in der Regel nicht Zielobjekt feindlicher Geheimdienste. Oft reichen schon wenige digitale Spuren, um eine Person ins Visier zu nehmen.

Über Mobilnummern könnten beispielsweise fingierte Chatnachrichten an Politiker gesendet werden, durch die im schlimmsten Fall Spionagesoftware auf dem Mobiltelefon landet. Die Datenlecks können ernsthafte Konsequenzen haben - für die Betroffenen und für die Sicherheit des Landes. Vielleicht werden sie bereits seit Jahren von fremden Mächten heimlich ausgenutzt.

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