Als am Donnerstag Sudans Armee die vollständige Rückeroberung der Hauptstadt Khartum vermeldete, tanzten in der Küstenstadt Port Sudan die Menschen vor Freude auf den Straßen. Dorthin waren Hunderttausende geflüchtet, auch die Armee hatte nach Kriegsbeginn im April 2023 ihr Hauptquartier an die Küste verlegen müssen, genauso die Ministerien.

Nun aber wittert die Regierung die Wende in diesem Krieg. Soldaten posten Videos in den sozialen Netzwerken aus dem Präsidentenpalast in Khartum, posieren mit ihren Maschinengewehren in dem symbolträchtigen Gebäude. Anderthalb Jahre war das traditionelle Machtzentrum des Landes in der Hand des Kriegsgegners gewesen, der paramilitärischen Miliz „Rapid Support Forces“ (RSF).

Damit ist der brutale Bürgerkrieg, der mehr zivile Opfer als jeder andere fordert, wieder an dem Ort angekommen, an dem er im April 2023 schlagartig begonnen hatte: im Zentrum Khartums. Es war strategisch logisch, dass sich die Kämpfe während der ersten Monate überwiegend auf Khartum und die Nachbarstädte Omdurman und Bahri konzentrierten.

Denn seit Jahrhunderten gilt: Wer Khartum kontrolliert, der kontrolliert den Sudan. Entsprechend vermeldete die Armee die Rückeroberung des Palastes „von den Resten der terroristischen Miliz“ in besonders tragenden Worten: Es handele sich „um das Symbol der Souveränität und Würde der sudanesischen Nation“.

Einen Rückschlag von derartiger Symbolkraft hatte die RSF seit Kriegsbeginn nicht zu verkraften gehabt. Wohl nicht zufällig war ein Drohnenangriff der Miliz vor einigen Tagen auf ein Fernsehteam des Staatsfernsehens gerichtet, das am Palast drehte. Dabei wurden mindestens zwei Journalisten getötet, zudem der Chef der Medienabteilung der Armee, Hassan Ibrahim Mohammed, der zentrale Ansprechpartner für WELT bei einer Recherche im vergangenen Dezember in dem Land.

Alan Boswell, Regionaldirektor für das Horn von Afrika bei der Denkfabrik „International Crisis Group“, sieht in der Rückeroberung Khartums durch die sudanesische Armee die bisher wichtigste Entwicklung des Krieges. Die Stadt sei für beide Konfliktparteien von zentraler Bedeutung: Für die Armee war ihre Rückeroberung das entscheidende Ziel. Der Verlust Khartums war schließlich einer der zentralen Unterschiede zu vorangegangenen Konflikten im Land, die vorwiegend in der Peripherie stattgefunden hatten. Randregionen also, um deren Schicksal man sich im Zentrum traditionell eher wenig schert.

Für die RSF war die Kontrolle über die Hauptstadt hingegen das wichtigste Druckmittel bei möglichen Friedensverhandlungen. Ihr Rückzug sei daher ein „massiver Schlag auf mehreren Ebenen“, der kaum zu beschönigen sei, so Boswell – auch, weil RSF-Führer Mohamed Hamdan Dagalo, genannt „Hemedti“, öffentlich versichert hatte, Khartum nicht aufzugeben. Am Sonntag bestätigte die Miliz ihren Abzug. RSF-Chef Dagalo kündigte in einer Audiobotschaft über Telegram allerdings an, man werde „stärker, mächtiger und siegreich“ in die Hauptstadt zurückkehren. Der Krieg sei nicht vorbei, sondern habe vielmehr gerade erst angefangen.

Auch Experte Boswell hält ein rasches Ende des Krieges für unwahrscheinlich. Der Krieg im Sudan ist längst zu einem regionalen Machtkonflikt geworden, bei dem die Vereinigten Arabischen Emirate als Unterstützer der RSF sowie Ägypten, die Türkei und Katar aufseiten der Armee zentrale Rollen spielen. Europa müsse auf diplomatischer Ebene Druck auf diese Akteure ausüben, um eine Deeskalation zu ermöglichen, sagt der Analyse. Die USA, so Boswell, hätten sich aus ihrer Vermittlerrolle weitgehend zurückgezogen – eine Lücke, die Europa nun füllen müsse. Der aktuelle Moment sei zwar „ein Fenster der Gelegenheit“, aber ohne ernsthaften politischen Druck werde es sich schnell wieder schließen.

Emirate stehen an der Seite der RSF

Nicht nur in der Hauptstadt, auch im Süden und Zentrum des Landes zog die Miliz Truppen zurück, selbst aus Städten, über die der Nachschub der RSF abgewickelt wird. Sogar an der Machtbasis im Westen des Landes gab es Rückschläge. Zwar hat die RSF in Darfur, einem Gebiet, das ähnlich groß ist wie Deutschland, weiter klar das Sagen. Doch der seit Monaten angepeilte Einmarsch in die bis dato letzte von der Armee gehaltene Großstadt Al-Fashir scheiterte.

Beobachter sind sich allerdings einig, dass die RSF von einem Kollaps weit entfernt ist. Die Emirate stehen trotz des wachsenden internationalen Drucks weiter an der Seite der Miliz. Mit sieben Milliarden Dollar waren sie vor dem Krieg der größte arabische Investor im Sudan. Kontakte gab es damals sowohl zur RSF als auch mit der Armee, die sich die Macht teilten.

Doch die persönlichen Beziehungen von RSF-Chef Dagalo erwiesen sich am Ende als stärker. Der Kriegsfürst hatte über viele Jahre Söldner in den Jemen geschickt, die dort für die Allianz der Emirate und Saudi-Arabien die Huthi-Miliz bekämpften. Zudem wickelt Dagalo, der reichste Mann Zentralafrikas, sein geplündertes Gold über Dubai ab.

Seit Kriegsbeginn lassen die Emirate auch Nachbarländer wie den Tschad, die Zentralafrikanische Republik und Äthiopien ihren Einfluss spüren – er wirkt bis nach Kenia, von wo aus die RSF im Dezember eine Regierung für Darfur ausrief.

Doch die Armee scheint zuletzt mehr Erfolg beim Schmieden internationaler Allianzen gehabt zu haben. Anders lässt sich kaum erklären, dass sich in verschiedenen Landesteilen eine ganze Reihe einflussreicher Milizen von der RSF abgespalten hat und nun an der Seite der Armee kämpft. Ohne gute finanzielle Argumente wäre das nicht möglich gewesen.

Die Armee profitiert zudem von Drohnenlieferungen aus der Türkei und dem Iran, auch Ägypten hält als traditioneller Verbündeter der sudanesischen Streitkräfte die Unterstützung aufrecht – wenngleich man in Kairo eigentlich vermeiden möchte, dass die Islamisten um Ex-Diktator Omar al Baschir im Sudan wieder an die Macht kommen. Sie hatten in der Armee zuletzt an Einfluss gewonnen.

Ein rasches Ende dieses Stellvertreterkrieges erwartet jedenfalls kaum jemand. Zuletzt sind auch alle Vermittlungsversuche erlahmt. Lange hatte sich Saudi-Arabien abgemüht, im vergangenen Jahr scheiterte eine Initiative der USA. Schon unter der Regierung von Joe Biden hatte sich die Weltmacht eher halbherzig um Frieden bemüht, versuchte im Hintergrund aber zumindest Spannungen zwischen rivalisierenden Regionalmächten wie Äthiopien und Ägypten zu schlichten. Was die neue US-Regierung in der Region vorhat, ist noch unklar.

Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.

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