Es sind Bilder, die Hoffnung machen: Im Gaza-Streifen demonstrieren seit einigen Tagen Tausende Palästinenser gegen die Terrorherrschaft der Hamas. „Die Hamas repräsentiert uns nicht“, heißt es auf Transparenten. „Lasst die israelischen Geiseln frei“, rufen Demonstranten. „Stoppt den Krieg“, heißt es. „Wir wollen leben, wir wollen frei sein!“ Ein weiterer Slogan der Proteste ist ebenfalls unmissverständlich: „Hamas raus!“
Es handelt sich um die größten Demonstrationen in Gaza gegen die Regierung seit dem Jahr 2019. Die Teilnehmer sind außerordentlich mutig: Die Islamisten haben Proteste in den vergangenen Jahren immer wieder brutal niedergeschlagen. Sie haben Demonstranten eingekerkert, gefoltert, hingerichtet. Wer nun gegen die Hamas-Herrschaft auf die Straße geht, begibt sich in große Gefahr – und verdient Solidarität und Unterstützung.
Tatsächlich ist es aber weitgehend still, besonders unter denjenigen, die ansonsten vorgeben, sich so sehr für die palästinensische Sache zu interessieren und einzusetzen. Die propalästinensische Solidaritätsbewegung schweigt, auch in Deutschland. Und auch viele Israel-Unterstützer ignorieren die Proteste oder ziehen deren Authentizität in Zweifel.
Das ist wenig überraschend, schließlich stellen die palästinensischen Anti-Hamas-Demonstranten gleich zwei häufig anzutreffende Narrative infrage. Da ist zum einen die unter Israel-Feinden weitverbreitete Ansicht, dass es sich bei der Hamas um eine legitime Widerstandsbewegung handle, die im Interesse der Palästinenser agiere. Und da ist die unter einigen Israel-Freunden vertretene Ansicht, dass nahezu jeder Bewohner Gazas mit der Hamas gleichzusetzen sei und es in dem Küstengebiet zwischen Israel und Ägypten keine unschuldigen Zivilisten und damit ausschließlich legitime militärische Ziele gebe.
Natürlich bleibt weiterhin richtig, dass ein großer Teil der Bevölkerung im Gaza-Streifen radikalisiert im Hass gegen Israel und Juden ist. Kinder werden dort zur Feindschaft erzogen, in ihren Schulbüchern wird der antisemitische Terror glorifiziert. Die widerlichen Bilder jubelnder Palästinenser nach dem 7. Oktober 2023 dürfen nicht vergessen werden. Zivilisten wurden zu Komplizen des Massenmords, beteiligten sich an Vergewaltigungen und Entführungen. Auf den Straßen feierten damals viele Menschen in Gaza die Terroristen, verteilten Süßigkeiten, schändeten Geiseln und Leichen.
Auch bei denjenigen, die derzeit gegen die Hamas auf die Straße gehen, sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Dass diese sich in der Not und angesichts der massiven Zerstörung in ihrem Wunsch nach einem Ende des Kriegs nun auch gegen die eigene Regierung und nicht nur gegen Israel richten, bedeutet nicht, dass plötzlich jeder von ihnen tief verwurzelte antisemitische oder islamistische Ansichten gänzlich abgelegt hätte. Die Kritik an der Hamas zielt vor allem auf deren Umgang mit dem Krieg und daraus folgende verschlechterte Lebensbedingungen.
Um in friedlicher Nachbarschaft mit Israel leben zu können, braucht es mehr: Einen Bruch mit der Verherrlichung und Legitimierung von Terror, einen Bruch mit der Ideologie des Judenhasses, einen Bruch mit dem Verharren im Opferstatus, einen Bruch mit der Erziehung zu Hass und Gewalt. Mit der Hamas, die Gaza immer wieder in den Krieg stürzt, ist das unmöglich.
Die Erkenntnis der Demonstranten, dass die Terrororganisation ihnen Tod und Zerstörung bringt, dass sie den Krieg durch die Freilassung der Geiseln und Niederlegung ihrer Waffen sofort beenden könnte, ist zumindest ein Anfang für eine hoffentlich andere Zukunft. Sie wollen nicht länger als Marionetten benutzt werden, nicht mehr als menschliche Schutzschilde missbraucht werden. Sie wollen nicht mehr akzeptieren, dass die Hamas dem Frieden den Krieg vorzieht.
Die Hamas hat längst reagiert. Sie beschuldigt die Demonstranten, Kollaborateure Israels zu sein. „Sie werden entsprechend behandelt werden“, heißt es in einem Statement. Eine klare Drohung: Immer wieder hat die Terrororganisation in den vergangenen Jahren angebliche Kollaborateure öffentlich hingerichtet und damit auch andere Andersdenkende zum Schweigen gebracht.
Am Sonntag berichtete die „Times of Israel“ in Bezug auf den palästinensischen Menschenrechtsaktivisten Ihab Hassan, dass die Hamas einen der Organisatoren der Protestbewegung ermordet habe, den 22-jährigen Odai Naser Saadi. Demnach wurde er entführt, gefoltert und dann hingerichtet. Die Terroristen sollen seine Leiche vor der Tür seiner Familie abgelegt haben, mit der Botschaft: „Das ist der Preis für diejenigen, die die Hamas kritisieren.“
Auch bei den Israel-Feinden der Linken bleibt es still
Zurück zur propalästinensischen Solidaritätsbewegung in Deutschland. Dass hier kaum ein Wort zu den mutigen Protesten zu hören ist, ist so bezeichnend wie erbärmlich. No Jews, no news? Jedenfalls zeigt sich einmal wieder, dass es vielen vermeintlich propalästinensischen Demonstranten gar nicht um die Unterstützung von Palästinensern geht, sondern lediglich um die Dämonisierung des jüdischen Staats.
Was nun in Gaza zu hören ist – Parolen gegen die Hamas, Forderungen nach einer Freilassung der Geiseln –, wird auf den israelfeindlichen Demonstrationen im Westen äußerst selten geäußert. Dort geht es nahezu ausschließlich gegen Israel, mit grotesken Falschbehauptungen und Legitimierungen des Terrors. „Lang lebe der Widerstand“, heißt es da, „Yallah Intifada“.
Ein Beispiel sind die Israel-Feinde in der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Der Münchnerin Nicole Gohlke, dem Berliner Ferat Koçak und der Bochumerin Cansın Köktürk, die immer wieder einseitig gegen Israel Stellung beziehen, fallen zu den Anti-Hamas-Protesten nichts ein.
Die Abgeordnete Köktürk unterstellt Israel etwa einen „systematischen Genozid“ und inszenierte sich bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags mit einem Palästinensertuch – also einem Symbol, das eine lange Tradition im palästinensischen Nationalismus und „Widerstand“ gegen den jüdischen Staat hat und vom Palästinenserführer Jassir Arafat zu einem Zeitpunkt popularisiert wurde, als dieser offen zur Zerstörung Israels aufrief.
In einem Statement, in dem sie das Tragen der Kufiya rechtfertigte, schrieb Köktürk am vergangenen Freitag, dass Deutschland „zu Recht eine historische Verantwortung jüdischem Leben gegenüber“ habe, „aber auch, dass es keine weiteren Völkermorde geben darf“. Den israelischen Verteidigungskrieg parallelisiert sie damit indirekt mit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Die Opfer von damals werden so zu den Tätern von heute. Entsetzlich. Linke-Fraktionschefin und TikTok-Ikone Heidi Reichinnek findet das Tragen des Tuchs ihrer Genossin übrigens „vollkommen gut und richtig so“.
Zu den Anti-Hamas-Protesten postete Köktürk lediglich kommentarlos zwei Kacheln der „Tagesschau“ auf Instagram. Auf eine eigene Stellungnahme wartete man vergeblich. Sie lässt die Palästinenser ausgerechnet dann im Stich, wenn sie sich gegen ihre terroristischen Unterdrücker wenden. Diese Sprachlosigkeit und selektive Empörung sind schwer erträglich.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Die bisherigen Folgen:
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