Die Zahl der erfassten Rauschgiftdelikte ist durch die Teillegalisierung von Cannabis um mehr als ein Drittel auf 228.104 Fälle gesunken. Dies entspricht einer starken Abnahme, um 34,2 Prozent. Das sorgt für einen Sondereffekt in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Das Zahlenwerk liegt WELT vorab vor. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will es gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, am Mittwoch offiziell in Berlin vorstellen.
Demnach hat auch die Gesamtzahl der Straftaten in Deutschland wegen der Abnahme der Cannabis-Fälle um 1,7 Prozent auf 5,837 Millionen (inklusive ausländerrechtliche Verstöße) abgenommen. Zur Freigabe von Cannabis für den Eigenkonsum durch die Ampelregierung heißt es in der PKS: „Der Rückgang der Fallzahlen insgesamt ist deutlich von Gesetzgebung beeinflusst.“
Einen stärkeren Rückgang gab es auch bei Heroin (8634 Fälle, minus 14,8 Prozent). Deutliche Steigerungen wurden hingegen bei Kokain und Crack (38.671 Fälle, plus 4,8 Prozent), bei Methamphetamin (11.070 Fälle, plus 6,0 Prozent), bei LSD (1073 Fälle, plus 32,6 Prozent) und den als NPS bezeichneten sogenannten „Neuen psychoaktiven Stoffen“ (4255 Fälle, plus 41,6 Prozent) registriert. Letztere werden Designerdrogen genannt. Sie sind meist im Internet, in sogenannten Smartshops (Geschäfte, in denen nicht oder noch nicht verbotene berauschende Substanzen verkauft werden) oder im Darknet als Pulver, Pillen Kräutermischungen und als „Blotter“ (Löschpapier als Träger) erhältlich. Nebenwirkungen wie Angstzustände, Herzrasen, Kreislaufprobleme, Übelkeit, Psychosen und Wahnvorstellungen kommen häufig vor.
Der starke Anstieg bei den auch als Designerdrogen bezeichneten NPS resultiert laut Kriminalstatistik hauptsächlich aus Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Justizvollzugsanstalten. Hierbei handelt es sich um Funde von Papierstücken (sogenannte „JVA-Papiere“), auf denen NPS aufgebracht waren, sowie um Feststellungen bei Drogentests von Häftlingen. Überdies dürfte sich hier auch, so die PKS, die deutliche Steigerung der Fallzahlen bei der synthetischen Mode-Droge Ketamin, einem synthetischen Narkosemittel, niederschlagen.
Ein Grund für die Zunahme bei Kokain und Crack ist der PKS zufolge die „hohe Verfügbarkeit“ in Deutschland und Europa, die durch große Kokain-Anbauflächen und Produktionsmengen in Südamerika begünstigt werde. Polizei und Zoll gehen zwar in enger Zusammenarbeit mit internationalen Partnern gegen die Strukturen der organisierten Kriminalität vor, um den Drogenhandel zu bekämpfen. Doch die Menge an Kokain und Crack scheint schier zu groß zu sein.
Die Polizei hatte 2023 in Deutschland die Rekordmenge von rund 43 Tonnen Kokain sichergestellt. In dem Jahr gab es 2227 Drogentote – so viele wie nie zuvor. Berücksichtigen muss man, dass es sich bei der Drogenkriminalität um ein „Kontrolldelikt“ handelt: Je mehr die Polizei kontrolliert, desto mehr Delikte stellt sie fest.
Kokain als Lifestyle-Droge
Kokain hat sich laut PKS längst in allen Gesellschaftsschichten als Lifestyle-Droge etabliert. „Es ist von einer flächendeckenden Versorgungsmöglichkeit für Konsumierende auszugehen“, heißt es in der Statistik. Nach wie vor liegen aber die Fallzahlen zu „Amphetamin und dessen Derivaten inklusive Ecstasy“ (39.133 Fälle, minus 3,1 Prozent) über denen von Kokain. Doch die Polizei stelle mittlerweile eine „deutliche Annäherung“ zwischen beiden Drogen fest.
Der Schmuggel von Kokain nach Europa erfolgt hauptsächlich aus Ecuador und Brasilien. Diese Länder verfügen nicht nur über eine Vielzahl von Containerhäfen. SIe grenzen auch an Koka-Anbaustaaten wie und Peru. Zudem wird Kokain aus Kolumbien, Panama und Peru per Seecontainer nach Europa geschmuggelt.
In Europa wird das Kokain dann mit Schmuggelfahrzeugen verteilt, die mit professionellen Verstecken ausgestattet sind. Nach Erkenntnissen des BKA liegt die Gesamtzahl der „Schmuggel-Kfz“ im fünfstelligen Bereich. Bei den Tätern spielen Gruppierungen der Organisierten Kriminalität aus den Balkanstaaten sowie aus Marokko, der Türkei und die italienische Mafia-Organisation 'Ndrangheta aus Kalabrien eine herausragende Rolle.
Nach einem Jahr Cannabis-Gesetz der Ampelregierung – heute ist der Jahrestag – streiten Union und SPD in den derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen darüber, ob es abgeschafft werden soll.
Der Verhandlungsführer der CDU für den Bereich Innen und Recht, Günter Krings, sagte WELT: „Als Union werden wir alles daransetzen, die negativen Auswirkungen der Cannabislegalisierung betreffend Genusscannabis zu stoppen, Drogenkriminalität zu bekämpfen und den Jugendschutz wieder zu stärken. Das Ziel des Gesetzes wurde klar verfehlt. Die Legalisierung kurbelt lediglich den Schwarzmarkt und die organisierte Kriminalität an.“ Zwar habe man Teile des Cannabisbesitzes straflos gestellt, Konsum und Drogenhandel seien dadurch aber nicht zurückgegangen.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert (SPD), sieht es anders: Das Cannabis-Gesetz habe für eine Entstigmatisierung und einen „ehrlicheren und entkriminalisierten Umgang mit Drogen“ gesorgt. Der Konsum von Cannabis gehöre seit Jahren zur Lebensrealität von rund viereinhalb Millionen Menschen in Deutschland. „Das müssen wir nicht gut finden, aber es ist eben Realität.“ Blienert räumte ein, dass das Gesetz verbessert werden müsse – etwa beim Gesundheits- und Jugendschutz.
Die Hoffnung, dass durch die Teillegalisierung von Cannabis die kriminelle Szene geschwächt werden könnte, hat sich nach Auffassung des Sprechers der Unions-Innenminister, Joachim Herrmann (CSU), nicht erfüllt. Die neue Regierung müsse die Fehlentscheidung der Ampel rückgängig machen. Ähnlich hatte sich bereits seine Amtskollegin aus Sachsen-Anhalt, Tamara Zieschang (CDU), in WELT AM SONNTAG geäußert.
Unabhängig davon, ob die neue Regierung das Cannabis-Gesetz kippen wird, setzt Bayern weiterhin auf Restriktionen. Dies gilt auch für das Erlaubnisverfahren zur Herstellung von Cannabis in sogenannten Anbauvereinigungen. Bisher wurde keine einzige Erlaubnis erteilt. Damit ist der Freistaat das einzige Bundesland ohne einen legalen Cannabis-Anbau außerhalb von Privatwohnungen.
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