Israel greift Gaza wieder massiv an, viele Menschen flüchten ein weiteres Mal, zugleich nehmen Proteste gegen die Hamas-Herrschaft zu. Über allem schwebt die Angst vor Trumps Traumstrand-Visionen.

Israel und die Hamas verhandeln über eine weitere Waffenruhe. Derweil nutzt Israels Premier Benjamin Netanjahu die Zeit, um den Gazastreifen mit einer weiteren Angriffswelle zu überziehen. Die Bewohner von Rafah, im Süden des Gebietes und nahe an der Grenze zu Ägypten, sollen in ein anderes Gebiet fliehen, so lauten die Meldungen heute.

Viele von ihnen sind erst vor kurzem nach Rafah zurückgekehrt, als der Waffenstillstand im Gaza-Krieg mehr Sicherheit versprach. "Die Menschen werden wie Flipperkugeln behandelt mit ständigen militärischen Befehlen", beklagt das UN-Palästinenserhilfswerk die neue Lage. Die Menschen seien in Panik. Die israelischen Angriffe sollen massiv und brachial sein wie lange nicht. Die humanitäre Lage - katastrophal.

Die 2,2 Millionen Menschen, die seit nunmehr anderthalb Jahren vor den israelischen Bomben und Panzern von einer Ecke des schmalen Landstreifens in die andere flüchten, sind erschöpft und kriegsmüde. Das kriegt auch die Hamas zu spüren, die den Gazastreifen seit 2007 mit Gewalt kontrolliert. Nach dem 7. Oktober lag die Zustimmung für die Terrorgruppe noch bei über 40 Prozent. Doch sie schwindet.

"Wir haben zuletzt Anfang Januar repräsentative Umfragen im Gazastreifen durchgeführt und festgestellt, dass nur noch jeder Fünfte die Hamas als legitime Vertretung palästinensischer Interessen sieht. Das ist wirklich ein massiver Machteinbruch", sagte der Konfliktforscher Nils Mallock vom Londoner King's College in der ARD. Noch sind die Demonstrationen, die ein Ende des Krieges, aber auch ein Ende der Terrorherrschaft fordern, klein. Sie treffen die Hamas aber gerade in einer fragilen Situation, denn die Miliz hat durch die israelischen Angriffe viele führende Köpfe ihres Machtapparats verloren.

Zur Erschöpfung und Verzweiflung in der Bevölkerung über die neu aufgeflammten Kämpfe kommen die Zukunftssorgen. Die 40 Kilometer Küste liegen bereits jetzt zu großen Teilen in Trümmern. Insgesamt schätzt man die völlig zerstörten oder stark beschädigten Gebäude auf 60 Prozent des Bestandes. Die Menschen, die in diesen Häusern lebten, haben nichts mehr, wohin sie zurückkehren könnten. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern und viele Milliarden Dollar kosten, das steht fest.

Auf dem Kreisel: eine Trump-Statue aus Gold

Was die Menschen in Gaza zusätzlich belastet: US-Präsident Donald Trump, von Hause aus Immobilienmogul, schaut inmitten des Kriegsgeschehens über die Schuttberge Richtung Mittelmeerstrand und gibt sich Visionen von Luxus hin: Wolkenkratzer und palmengesäumte Einkaufsmeilen, der Verkehr kreist um eine haushohe Trump-Statue aus Gold: Nimmt man das KI-Video ernst, das der US-Präsident Ende Februar in sozialen Medien teilte, dann hat Trump sehr konkrete Vorstellungen vom Ferienresort auf dem Boden des Gazastreifens.

Nur kommen in seinen Visionen die im Gazastreifen lebenden Palästinenser nicht vor. Die könnten in Nachbarstaaten umgesiedelt werden, lautet ein US-Plan, vor wenigen Wochen vorgestellt. Das neue Gaza, florierend, reich und sauber: ein Hauch von Dubai am Mittelmeer - bloß hätte die Bevölkerung nichts mehr davon.

Mit Bekanntwerden dieses Plans brach sich in der Arabischen Welt ein Empörungssturm Bahn. Selbst das ansonsten der Trump-Regierung durchaus wohlgesonnene Saudi-Arabien erklärte umgehend, die Notwendigkeit eines unabhängigen Palästinenser-Staates sei eine "feste und unerschütterliche Position".

Zudem ist der Gazastreifen nicht etwa eine Art "Niemandsland", über das man als Großmacht frei verfügen könnte. Im Jahr 1993 fiel der Gazastreifen unter die palästinensische Selbstverwaltung. Das war Ergebnis eines Friedensprozesses zwischen Israel und den Palästinensern, der im norwegischen Oslo begonnen hatte und an dessen Ende eine Zwei-Staaten-Lösung stehen sollte. Auch wenn diese Entwicklung bis heute nicht erreicht wurde, hat das unterzeichnete "Oslo-Abkommen" von damals weiterhin Gültigkeit. Der Gazastreifen "gehört" den Palästinensern.

Donald Trump beeindrucken Besitzverhältnisse nicht. Das zeigt sich auch in dem Anspruch, den er auf Grönland anmeldet. Die Versicherungen aus dem Weißen Haus, man werde die Palästinenser nicht "vertreiben", also gegen ihren Willen aus Gaza umsiedeln, bieten nur eine trügerische Sicherheit. Denn die Menschen im Küstenstreifen können sich nicht selbst versorgen, sie sind auf humanitäre Hilfe von außen angewiesen. Die meisten von ihnen waren das schon immer.

Ohne Israel kein Strom, kein Wasser

Vor Ausbruch des Gazakriegs hatten laut Schätzungen von Human Rights Watch mehr als die Hälfte der 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen keinen sicheren Zugang zu Nahrungsmitteln. Israel kontrollierte jenseits der Grenzen seit jeher den Personen- und Warenverkehr und auch den Zugang zu kritischer Infrastruktur. Kein Liter Trinkwasser, keine Kilowattstunde Strom, keine Medizin erreicht die dort Lebenden, wenn Israel es nicht will.

Würden die Israelis, deren rechte Regierung von dem Trump-Plan begeistert ist, mit den USA zusammenarbeiten, so wäre es ihnen ein Leichtes, die in Gaza eingepferchten Palästinenser von der lebenwichtigen Versorgung abzuschneiden. Womöglich so lange, bis sie mit dem Rücken zur Wand ihren Widerstand gegen eine Umsiedlung aufgäben? Das müsste man wohl Erpressung nennen. Doch macht der US-Präsident bislang nicht den Eindruck, als würden ihn derlei Kriterien beschäftigen.

Allerdings - um 2,2 Millionen Menschen "umzusiedeln", wie Trump es möglichst neutral zu formulieren pflegt, bräuchte es auch einen Ort, wo diese aufgenommen würden. Ägypten und Jordanien - die arabischen Nachbarstaaten Richtung Osten und Süden - kamen dem US-Präsidenten offenbar als erstes in den Sinn. Kein Wunder, sind doch beide Länder stark angewiesen auf Finanzhilfe und Investitionen der USA, also mit Blick auf ihre Wirtschaft, teils aber auch militärisch.

Doch der Abhängigkeit zum Trotz lehnen sowohl Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi als auch Jordaniens König Abdullah die US-Pläne rigoros ab. Zu sehr müssten sie um die Stabilität im eigenen Land fürchten, würden sie sich für Trumps Pläne zu Kollaborateuren werden. In ihrer Ablehnung müssen sie allerdings den Balanceakt vollbringen, sich den Präsidenten dennoch gewogen zu halten. Ohne gute Beziehungen zu den USA läuft es nicht in ihren Staaten. Können sie sich ihr Rückgrat auf Dauer leisten?

Beide Länder gingen jüngst in die Offensive und legten Anfang März einen Plan vor, der vorsieht, mit 53 Milliarden Dollar die Infrastruktur in Gaza wieder aufzubauen. Solidarität mit den Palästinensern, für die ein Verlassen des Gazastreifens auf keinen Fall in Frage kommt, ist dabei nur ein Beweggrund. Genauso geht es ihnen darum, selbst politisch und sozial stabil zu bleiben.

In Ägypten nimmt die Armut zu

Die ablehnende Haltung der ägyptischen Regierung wird von den 140 Millionen Einwohnern unterstützt. Dabei wären die Palästinenser nicht die erste Flüchtlingswelle für das Land. Die größte Zahl an Ausländern stellen derzeit Sudanesen, vor ihnen strömten Syrer nach Ägypten. Die Zahl der Palästinenser, die seit Oktober 2023 kamen, wird grob auf bis zu 100.000 geschätzt. Doch diese Menschen kamen aus freien Stücken - anders als es nach dem Trump-Plan der Fall wäre.

Von den Geflüchteten nach Beginn des Gazakriegs seien viele gut in die ägyptische Gesellschaft integriert, hätten sich ein stabiles Leben aufbauen können, sagt Nagib, ein ägyptischer Aktivist, dessen wirklicher Name verborgen bleiben soll. Am Telefon berichtet er von der Stimmung im Land, die sorgenvoll über die Grenze auf den Gazastreifen blickt.

Zwar kämpft Ägypten seit Jahren mit einer schweren Wirtschaftskrise, die Armut nimmt zu. Doch könnte das Land bei Aufnahme von Palästinensern mit finanzieller Unterstützung anderer Staaten rechnen. Nagib fürchtet aber um den gesellschaftlichen Frieden. "Unser Land ist schon jetzt nicht homogen, in der Gesellschaft prallen viele Konflikte aufeinander. Zwei Millionen Palästinenser dazu - das würde für noch mehr Chaos sorgen." Zusätzlich kämen potenzielle Sicherheitsrisiken: etwa, sich mit Hamas-Kämpfern auch Terrorismus ins eigene Land zu importieren.

Zentral für die ablehnende Haltung der ägyptischen Bevölkerung mit Blick auf eine Aufnahme von Palästinensern ist aber die Solidarität mit den Vertriebenen. "Die Leute wollen nicht, dass die Palästinenser ihr Land aufgeben müssen", sagt Nagib. "Sie wollen, dass die arabischen Staaten in dieser Frage zusammenhalten."

In Jordanien geht die Ablehnung der Bevölkerung in dieser Frage noch deutlich weiter als in Ägypten. Etwa die Hälfte der rund 11,5 Millionen Menschen in Jordanien haben palästinensische Wurzeln. Viele sind Nachkommen derer, die 1948 bei der Besetzung des Westjordanlands durch Israel ihren Grund und Boden verloren und flüchteten. "Nakba" - nennen die Palästinenser seitdem diese Vertreibung vor mehr als 75 Jahren. Auf arabisch heißt das "Katastrophe".

"Ein weiteres Vertreiben der Palästinenser aus ihrem historischen Heimatland wird von keinem Jordanier akzeptiert", sagt Raghda, eine jordanische Aktivistin, die einen anderen Namen trägt und schriftlich auf Fragen antwortet. Viele andere lehnen es ab, mit deutschen Medien überhaupt zu sprechen, da man der Bundesregierung ihren Israel-Beistand übel nimmt.

Mitmachen bei Trumps Plan? "Eine Schande"

Jordanien die Aufnahme von Vertriebenen aus Gaza "aufzuzwingen oder die verletzlichen Menschen im besetzten Gaza und Westjordanland zu manipulieren, ist aus humanitärer Sicht eine Schande", sagt Raghda. Für die Jordanier mit palästinensischen Wurzeln würde eine Umsetzung des Trump-Plans nicht weniger als eine zweite "Nakba" bedeuten.

Zudem wären zwei Millionen zusätzliche Palästinenser für das kleine Land und seine Gesellschaft ein massiver Eingriff - in etwa so, als müsste Deutschland 16 Millionen Vertriebene aus einem Nachbarland aufnehmen. "Das könnte die nationale Identität des Landes verwischen", fürchtet Raghda. Zumal Jordanien schon knapp 700.000 syrischen Flüchtlingen Zuflucht gewährte. Das riesige Flüchtlingslager Za'atari besteht seit bald 13 Jahren.

Das Land zählt zu den trockensten Nationen der Welt, Wasser ist ein kostbares Gut. "Ressourcenknappheit führt zu Konflikten - alle Bürger sind davon betroffen, unabhängig von ihrer Herkunft", sagt Raghda. 2,2 Millionen Menschen mehr würden die Ressourcen sehr stark zusätzlich belasten. Die Aktivistin ist sich sicher, dass die jordanische Bevölkerung gegen die Aufnahme von Palästinensern protestieren würde. "Dieser Schritt würde einen Wendepunkt markieren."

Für die Leidenden in Gaza ist die klare Haltung der Nachbarstaaten zunächst einmal Gold wert. Doch Donald Trump lässt sich so schnell nicht beirren. Schon schaut er über die Region des Nahen Ostens hinaus Richtung Afrika. Seine Teams sollen bereits den Sudan, Somalia und die von Somalia abtrünnige Region Somaliland kontaktiert haben. Alle drei bettelarm, von inneren Konflikten und Gewalt gebeutelt und Unterstützer der palästinensischen Forderung nach einem eigenen Staat.

Auch da hätte Trump dicke Bretter zu bohren und geriete womöglich in komplizierte Konflikte, deren Kontrolle ihm entgleiten könnte. Gut für die Palästinenser. Solange das Weiße Haus in der Frage des Zielorts nicht weiterkommt, haben die Menschen in Gaza noch Hoffnung auf eine Zukunft auf ihrem Grund und Boden.

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