Im neuen Lagebild zu russischer Spionage, das WELT vorliegt, stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) fest, dass „die Hemmschwelle für Aktionen gegen Deutschland auf russischer Seite gesunken ist“. Der Anstieg von Vorfällen in ganz Europa zeige, „dass Russland den Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel betrachtet“. Die Behörde möchte Aufmerksamkeit für „die vielfältigen und sich wandelnden Aktivitäten der russischen Dienste in Deutschland“ schaffen, „denn diese gehen seit 2022 zunehmend offensiv gegen die europäischen Demokratien und damit auch Deutschland vor“. Schon bei einer Sicherheitstagung mit Vertretern der deutschen Wirtschaft im März hatte deren Vizepräsident Sinan Selen das BfV in diesem Sinne als „Abwehrdienst“ definiert.
Russland entwickele seine Angriffsmethoden als langjähriger nachrichtendienstlicher Akteur fortlaufend weiter und passe sie an aktuelle Gegebenheiten an. „Dabei profitieren die russischen Nachrichtendienste von erheblichen Ressourcen, dem Zugriff auf den ganzen Staatsapparat und ihren methodischen Erfahrungen aus den Zeiten der Sowjetunion.“ Aktionen würden „zu komplexeren Operationen kombiniert“. Die russischen Spione könnten sich „aus einem großen Werkzeugkasten bedienen“.
Zugleich setze Russland „halbstaatliche Stellen wie Staatsunternehmen oder staatlich gesteuerte Einrichtungen wie Thinktanks oder Wissenschaftseinrichtungen für illegitime Aktivitäten“ ein sowie „private Akteure wie prorussische Hacktivisten“, um auch deutsche Stellen mit Cyberangriffen zu attackieren. Genannt werden etwa „DDoS-Attacken“, die IT-Systeme durch massenhafte Anfragen lahmlegen. Auch bei Desinformationskampagnen kämen externe Akteure zum Einsatz wie zum Beispiel „das russische IT- und Kommunikationsunternehmen Social Design Agency (SDA), das seit Jahren im Bereich Desinformation tätig ist und deshalb bereits 2023 von der EU sanktioniert wurde“.
Mit dem Ukrainekrieg sei das russische Aufklärungsbedürfnis gegenüber Deutschland als potenzieller Drehscheibe europäischer Verteidigung stark gestiegen. Spionage finde statt, indem „mit Satelliten oder Drohnen Kasernen und Fabriken ausgekundschaftet oder mit Abhöreinrichtungen Funk und andere elektronische Kommunikation abgehört und/oder aufgezeichnet werden“. Ihr dienten – neben menschlichen Quellen – auch „die intensiven Cyberangriffe“ etwa des russischen Cyberakteurs APT 28. „Zuletzt fanden unter anderem Cyberangriffe auf den Transport- und Logistiksektor sowie politiknahe Einrichtungen statt. Dabei konnten die Angreifer sehr wahrscheinlich auch sensible Daten aus IT-Netzwerken der Opfer ausleiten.“
Sabotage sei bis vor einigen Jahren das Feld von Terroristen gewesen. Das ändere sich gerade. „Insbesondere seit dem Jahr 2024 geht die Spionageabwehr einer Reihe von ungeklärten Vorfällen nach, die möglicherweise im Zusammenhang mit Sabotagehandlungen im russischen Auftrag stehen.“
Das BfV warnt: „Sabotage stellt für verschiedene Sektoren eine ernst zu nehmende Gefahr dar.“ Die im Sommer 2024 auf dem Flughafen Leipzig entdeckten „per Luftfracht versandten Brandsätze in Paketen stehen dafür beispielhaft“. Sabotage umfasse „die bewusste Beeinträchtigung militärischer, politischer oder produktionsbezogener Prozesse, einschließlich der Supply-Chain-Ketten“, also Versorgungswege. Möglich seien zudem „Gewalttaten wie Brandstiftungen, gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr oder Straftaten wie Sachbeschädigungen oder andere Formen der Störung von Abläufen“.
Neu sei „der Einsatz von niederschwellig rekrutierten Low-Level-Agenten, die als Handlanger fungieren und im Auftrag russischer Stellen Aktionen wie Ausspähung, Propaganda oder Sabotage ausführen.“ Das seien „oftmals (klein-)kriminelle Akteure“, die von russischen Nachrichtendiensten häufig über soziale Medien oder Messengerdienste angeworben und gesteuert würden.
Im Dezember 2024 wurden in mehreren Bundesländern mehr als 270 Autos beschädigt, indem ihre Auspuffrohre mit Bauschaum verstopft wurden. Die Täter hinterließen Aufkleber mit dem Konterfei von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und dem Slogan „Sei grüner!“. Zunächst wurde vermutet, dass Klimaaktivisten hinter der Aktion stecken könnten. Bei den Tatverdächtigen handelt es sich um drei Männer aus Deutschland, Serbien und Bosnien-Herzegowina. Sie gaben bei den Vernehmungen an, über den Messengerdienst Viber von einem russischen Auftraggeber für die Sabotageakte angeworben und bezahlt worden zu sein.
Diesen Dienstag wurde durch Recherchen des Spiegels ein weiterer, ähnlich gelagerter Fall bekannt. Demnach stellte die Berliner Polizei am 3. Februar einen 33-Jährigen, der mehrere Wahlplakate beschmiert hatte. Bei ihm fanden die Beamten einen Zettel, der wie eine detaillierte Anleitung wirkte. Unter dem Stichwort SPD stand dort offenbar die Parole: „Verspiel den Wohlstand unseres Landes“, bei den Grünen: „Dein Land oder die Ukraine“. Auch in diesem Fall prüfen die Ermittler den Verdacht, dass der 33-jährige Lette gezielt angeworben wurde.
2024 sei es in mehreren europäischen Ländern zu „Vorfällen wie Bränden, Ausspähungen von Menschen und Einrichtungen, Drohnensichtungen über sensiblen Bereichen von Verteidigung und KRITIS sowie Cyberangriffen“ gekommen. Das Kürzel KRITIS steht für kritische, also für ein Land lebenswichtige Infrastruktur. Trotz sorgfältiger Prüfung hätten die Urheber solcher Sabotageaktionen nicht immer zweifelsfrei identifiziert werden können. Bei manchen Fällen sei „ein Sabotagehintergrund wahrscheinlich“, bei anderen sei kein Hinweis auf staatliche Akteure auszumachen.
Klar sei aber, dass wegen „der sich zuspitzenden Konfrontation Russlands mit den europäischen Demokratien sowie der Bereitschaft Russlands zu Sabotage-Aktionen eine erhöhte Gefährdung der inneren Sicherheit“ bestehe und folglich „eine ausgeprägte Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden“.
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