Kinder und Jugendliche tauchen immer öfter als Tatverdächtige von Gewaltverbrechen in der Polizeistatistik auf. BKA-Chef Münch warnt vor schlagenden Kindern und Jugendlichen, die zu gewalttätigen Erwachsenen heranreifen.

Die Zahl der verdächtigten Gewalttäter unter Kindern und Jugendlichen ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. 13.755 Kinder und 31.383 Jugendliche wurden 2024 als Beschuldigte im Zusammenhang mit Gewaltdelikten geführt. Dies geht aus der von Bundeskriminalamtspräsident Holger Münch, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und dem Bremer Innensenator Ulrich Mäurer vorgestellten Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) hervor. Demnach stieg die Zahl der beschuldigten Jugendlichen im Vergleich zum Vorjahr um 3,8 Prozent; die der tatverdächtigen Kinder gar um 11,3 Prozent.

"Weiter anhaltende Belastungen infolge der Corona-Maßnahmen sind speziell bei dieser Altersgruppe ein möglicher Treiber von Delinquenz", ordnete Münch die Zahlen in einem Begleitschreiben für die Presse ein. Vor Medienvertretern sagte Münch: "Diese jungen Menschen werden älter. Wir müssen davon ausgehen, dass die auch in den nächsten Jahren erhöht auffällig sein werden, auch als Heranwachsende."

Die aus diversen Gründen stets mit Vorsicht zu lesende PKS wirft ein Schlaglicht auf ein offenbar großes Folgeproblem der Pandemiemaßnahmen wie Schulschließungen und Ausgangsbeschränkungen: Während die Kriminalität unter Kindern und Jugendlichen insgesamt gesunken ist, nimmt die Anzahl minderjähriger Gewalttäter seit den Corona-Jahren zu. Welche Jahrgänge genau betroffen sind, sagte Münch auf Nachfrage zwar nicht. Dennoch zeigten die Zahlen einen Zusammenhang zu tatsächlich erlebten Pandemie-Erfahrungen: "Wenn wir uns Vergleichsdaten angucken über mehrere Jahre, scheint dies wirklich eine bestimmte Altersgruppe besonders zu betreffen, die durch die Belastungen der Maßnahmen besonders belastet werden."

Die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen ist ein wachsendes Thema, wobei sich die Ursachen genauso wenig auf die Pandemie-Maßnahmen beschränken, wie sich die Folgen der Pandemie allein in steigender Gewaltbereitschaft zeigen. "Wir sehen ja, dass psychische Belastungen bei Kindern gestiegen sind - sehr stark", sagt die SPD-Politikerin Faeser. Sie nennt neben den Corona-Folgen auch allgemein das Thema Schule.

Eine Bertelsmann-Studie aus dem Sommer 2024 weist wachsende Einsamkeitsgefühle unter Jugendlichen und Heranwachsenden nach. Nach einer Studie der DAK von Mitte März hat sich die Zahl der 10- bis 17-Jährigen mit einem riskanten bis abhängigen Konsum sozialer Medien seit 2019 auf einen Anteil von 25 Prozent mehr als verdoppelt. Ebenfalls nach DAK-Daten hat sich die Zahl der Essstörungen unter minderjährigen Mädchen seit der Pandemie drastisch erhöht. Auch Angststörungen und Depressionen haben unter Kindern und Jugendlichen deutlich zugenommen.

Während monokausale Zusammenhänge sicherlich zu kurz greifen, erscheint ein Zusammenhang zwischen den Pandemiejahren und dem drastischen Anstieg der Internetnutzung unter Minderjährigen naheliegend. Im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren ist so auch die Gewalttätigkeit unter einem Teil der Kinder und Jugendlichen gestiegen.

BKA-Präsident Münch berichtete von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich des Phänomens minderjähriger Gewalttäter angenommen hat. "Aber es betrifft nicht nur polizeiliche Maßnahmen, sondern es ist auch die Frage: Wer braucht jetzt auch besondere Maßnahmen im Hinblick auf die weitere Sozialisation?", sagte Münch. Es sei zu beobachten, "dass der digitale Raum auch bei jungen Menschen eine immer größere Rolle spielt". Daher müsse man auch "Gewalt, Verrohung im digitalen Raum" stärker in den Blick nehmen. Zu beobachten sei eine stärkere Verbreitung von gewaltlegitimierenden Einstellungen. "Also solche Annahmen wie 'ein richtiger Mann ist bereit zuzuschlagen, wenn jemand schlecht zum Beispiel über seine Familie redet'", nannte Münch beispielhaft. Solche Einstellungen seien zwar nur bei einer Minderheit verbreitet, doch diese Randgruppe scheine zu wachsen.

Auch Faeser betonte, dass es mit polizeilichen Maßnahmen nicht getan sei und Prävention eine wichtige Rolle spiele. Es brauche etwa flächendeckend Schulsozialarbeiter, um Kinder mit Problemen frühzeitig zu identifizieren und zu unterstützen, bevor sie Probleme kriegen - sei es nun durch Kriminalität oder psychische Probleme.

Was bringt Schwarz-Rot?

Ein anderer Aspekt ist der Umgang mit straffällig gewordenen Jugendlichen. Dass diese die Strafe "auf den Fuß" zu spüren bekommen müssen, ist seit Jahrzehnten bekannt. Verschiedene Länder haben sich hier an verschiedenen Modellen versucht, etwa mit spezialisierten Staatsanwaltschaften, die eng mit Jugendgerichten und Jugendämtern kooperieren. Weit gekommen ist Deutschland aber insgesamt nicht. "Ich bin da noch nicht zufrieden, wenn ich mir die Dauer der Strafverfahren oder auch die Dauer angucke, wann ein solches Strafverfahren da beginnt", sagte Faeser. "Ich bin fest der Meinung, dass es enorm wichtig ist, gerade bei jüngeren Menschen, dass sie sofort Konsequenzen spüren."

Tatsächlich kann Faeser aber nur bedingt Einfluss nehmen, weil der polizeiliche und juristische Umgang in den Ländern festgelegt wird. "Nichts ist schlimmer, als wenn andere Jugendliche auch sehen, dass, wenn Jugendliche delinquent werden, es keine Folgen hat oder das sehr lange dauert, bis Folgen entstehen", sagte Faeser. Hoffnungen setzt die Sozialdemokratin in die kommende schwarz-rote Bundesregierung. Im noch nicht fertig ausgehandelten Koalitionsvertrag sei "vereinbart, dass es wieder einen Pakt für den Rechtsstaat gibt, sodass auch von Bundesseite Unterstützung für die Länder dort erfolgt, um dafür zu sorgen, dass es schneller geht".

Das Gewaltphänomen hat es auch an anderer Stelle in den Entwurf des Koalitionsvertrags geschafft: "Zu den Ursachen der gestiegenen Kinder- und Jugendgewalt werden wir eine Studie in Auftrag geben, die auch gesetzgeberische Handlungsoptionen erfasst", heißt es im zwischen CDU, CSU und SPD geeinten Unterkapitel "Jugendstrafrecht". Das mag sinnvoll sein, nach schnellen Lösungen klingt es eher nicht.

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