Die Rechtspopulistin Le Pen bläst nach dem ersten Schock über ihre Verurteilung zum Angriff. Mit schrillen Tönen überdeckt der RN die drohende Gefängnisstrafe und stilisiert seine Präsidentschaftskandidatin zum Justizopfer. Auf der Strecke bleibt die sorgfältig gepflegte Seriosität.

Seit der Verurteilung ihrer Fraktionschefin Marine Le Pen fällt die Partei Rassemblement National (RN), die sich jahrelang um ein seriöses und regierungsfähiges Auftreten bemüht hatte, zurück in alte Reflexe. Ganz im Stile von US-Präsident Donald Trump stellt sich die Partei als Opfer einer angeblich "linken" Justiz dar und tritt zunehmend aggressiv auf, bis hin zu öffentlichen Protestaktionen, die ein Gewaltrisiko bergen. Bei den französischen Rechtspopulisten fallen die Masken.

Die Rhetorik Le Pens und ihrer Anhänger erinnert derzeit an die Zeit, als die Partei noch Front National hieß und Marine Le Pens Vater Jean-Marie Le Pen an ihrer Spitze stand. Auch der alte Le Pen gefiel sich in der Rolle des Opfers, der sich mit dem mächtigen Staat anlegt. Seine Tochter wiederum verbreitet Verschwörungstheorien, indem sie behauptet, dass der Veruntreuungs-Prozess gegen sie nur das Ziel gehabt habe, sie von der Präsidentschaftswahl 2027 auszuschließen. Sie und ihre Anhänger wettern gegen "die Eliten", "das System" und "die roten Richter".

Auf diese Weise haben sie erreicht, dass die Straftat von Le Pen und ihren Parteifreunden - die jahrelange systematische Veruntreuung von EU-Geldern in Millionenhöhe - sowie die deswegen verhängten Haft- und Geldstrafen in der öffentlichen Diskussion kaum noch eine Rolle spielen. Derzeit dreht sich alles um die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Le Pen in zwei Jahren bei der Präsidentschaftswahl antreten kann. Kein Vergleich ist dabei zu weit hergeholt, kein Motto zu dreist: Le Pen verglich ihre Situation bereits mit dem Schicksal des in Haft gestorbenen russischen Oppositionellen Alexej Nawalny sowie dem inhaftierten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu.

In den Fußstapfen ihres Vaters

Für Sonntag hat der RN Demonstrationen unter dem wohlklingenden Motto "Rettet die Demokratie" angekündigt. Mails an ihre Anhänger versieht die Partei mit den Worten "Empört Euch", mit denen der KZ-Überlebende und Widerstandskämpfer Stéphane Hessel einst zur Abkehr vom Finanzkapitalismus aufrief.

Der Aufruf zu Demonstrationen hat zudem ein historisches Vorbild - 1998 zogen tausende Anhänger des Front National durch Versailles, um gegen die Verurteilung von Jean-Marie Le Pen zu protestieren. Weil er eine sozialistische Abgeordnete tätlich angegriffen hat, hatte ein Gericht eine Haftstrafe und ein Kandidaturverbot gegen ihn verhängt.

Trump dachte, Le Pen säße im Gefängnis

"Die Justiz wird benutzt, um einen politischen Gegner auszuschalten", sagte Le Pen Senior damals - und gab damit die Linie vor, der seine Tochter heute folgt. Auf Transparenten der Demonstranten stand damals "Freiheit" - was heute in einer Solidaritätsadresse von Donald Trump nachklingt. "Free Marine Le Pen" (Lasst Marine Le Pen frei), schrieb der US-Präsident in einem zornigen Kommentar zum Le-Pen-Urteil - in offensichtlicher Unkenntnis der Lage, da Le Pens Haftstrafe durch das Berufungsverfahren ausgesetzt ist.

Seit Marine Le Pen 2011 die Parteiführung übernommen hat, bemühte sie sich um eine "Entdämonisierung" der rechtspopulistischen Partei und eine Abkehr von den antisemitischen und rassistischen Ausfällen ihres Vaters. Dies sollte die Partei für neue Wählerschichten am rechten Rand der Konservativen attraktiv machen. Das Konzept ging auf: Die Partei verwurzelte sich in der Fläche, bei der jüngsten Parlamentswahl im vergangenen Sommer erreichte sie ihr mit Abstand bestes Ergebnis.

Das Urteil gegen Le Pen scheint vorerst das Ende der Phase der "Entdämonisierung" eingeleitet zu haben. Fraglich ist allerdings, ob es ihre Anhänger stören wird, sich von dem gemäßigteren Image zu verabschieden. "Wer sich einmal für den RN entschieden hat, der bleibt dabei", sagte Brice Teinturier vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos der Zeitung "Le Monde". Laut einer aktuellen Umfrage wünschen sich auch nach Le Pens Verurteilung immer noch knapp die Hälfte der Franzosen, dass sie bei der nächsten Präsidentschaftswahl antritt.

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