Seit Russlands Großinvasion in der Ukraine wird viel über russische Propaganda im Internet gesprochen. Ein Spionage-Fall aus Wien zeigt, wie auch Akteure im deutschsprachigen Raum die Stimmung zugunsten Moskaus drehen sollen. Und dann sind da noch Menschen, die es bis in die Talkshows schaffen.

Mit Stickern kann man Kriege führen. Vor allem in Städten sind das zumeist harmlose Kleinkriege zwischen Fans rivalisierender Fußballvereine. Auf diesem Weg werden auch seit Jahrzehnten politische Botschaften verbreitet. Gegen Rassimus etwa oder für eine radikale Abschiebungspolitik. Was dann aber doch überrascht: Wenn hinter solchen Stickern direkt der Kreml steckt. In Wien tauchten 2022 nach Russlands Großinvasion in der Ukraine Aufkleber auf, die den Eindruck erwecken sollten, sie stammten von ukrainischen Neonazis. Sie klebten an sowjetischen Ehrenmalen, aber auch im Umfeld von Redaktionsbüros und beleidigten Russen als "Schweine" - versehen mit dem Symbol des ukrainischen "Asow-Regiments".

Erst das Auffliegen einer Spionagebande machte klar: Der Auftraggeber hinter der Stickerkampagne war Moskau. Sie sollte die russische Propagandaerzählung untermauern, in Kiew herrsche ein "Nazi-Regime". Der Fall zeigt, dass sich die Einflussnahmeversuche des Kreml längst nicht auf die viel diskutierte Propaganda im Internet beschränkt. Im Gegenteil: Russland drängt in die reale, alltägliche Lebenswelt der westlichen Bürger - wobei die Methoden nicht nur vielfältig, sondern auch erstaunlich kleinteilig sind.

Die Aufkleber-Kampagne geht zurück auf eine vom Bulgaren Orlin Roussev angeführte Gruppe, die der gesuchte Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek von Russland aus gesteuert haben soll. Ein Londoner Gericht hat den Bulgaren Orlov und zwei Frauen, die einer insgesamt sechsköpfigen Bande angehört haben sollen, Anfang März wegen Spionage verurteilt. Neue Erkenntnisse des österreichischen Nachrichtendienstes DSN zeigen nun, dass die bulgarischstämmige Bande neben klassischer Spionage auch mit prorussischer Propaganda beschäftigt war.

Die Gruppe heuerte die Bulgarin Zwetinka "Zweti" Doncheva in Wien an. Doncheva soll für Roussev Kreml-Gegner wie den Journalisten Christo Grozev ausgespäht haben. Aber sie war es auch, die nach Erkenntnissen des DSN im Auftrag russischer Nachrichtendienste prorussische oder diffamierende Inhalte in Umlauf brachte. Doncheva gestand nach ihrer Festnahme, im Jahr 2022 für die Spionagezelle tätig gewesen zu sein. Sie ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Propagandakampagnen wie die Wiener Klebeaktion stellten einen "bedeutenden Faktor in der hybriden Kriegsführung Russlands dar", so Österreichs Geheimdienstler.

Schon die Sowjets schmierten Hakenkreuze an die Wände

Der österreichische Desinformationsanalyst und Initiator des "Disinfo Resilience Network", Dietmar Pichler, sieht die Klebekampagne ganz in der Tradition der sogenannten "aktiven Maßnahmen" verhaftet. Gemeint ist die klassiche Einflussnahme mit Methoden, die schon zu Sowjetzeiten üblich waren. "Schon im Nachkriegsdeutschland haben die Sowjets Hakenkreuze an Wände geschmiert, um den Annäherungsprozess an Frankreich zu sabotieren und die europäische Einigung zu verlangsamen", sagt Pichler.

Auch heute gehört diese Art der Informationsmanipulation im öffentlichen Raum zum Repertoire der russischen Einflussnahme im Ausland: "Diese Offline-Operationen, um die Gesellschaft zu spalten, kennt man auch aus Frankreich. Dort wurden nach dem 7. Oktober 2023 zum Beispiel Davidsterne in jüdische Viertel gesprayt - also als Markierung, wie man das aus der NS-Zeit kennt." Auch das sei eine Operation mit russischem Hintergrund gewesen, so Pichler.

Hinter Russlands Propagandakrieg steckt die 5. Abteilung "für operative Informationen und internationale Beziehungen" des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, für den auch Marsalek tätig sein dürfte. In den vergangenen Jahren soll diese Abteilung erhebliche Kapazitäten im Cyberbereich aufgebaut haben. Zusätzlich zu den Agenten und Kollaborateuren vor Ort verbreiten Onlinekrieger sowohl von Russland aus als auch in den Zielstaaten prorussische Erzählungen. Die Netzwerke und Kanäle dahinter sind laut einem jüngst veröffentlichten EU-Bericht zur Bedrohung durch ausländische Einflussnahme selten klar zuzuordnen. Bedeutung und Einfluss von Propagandasendern wie dem in der EU inzwischen verbotenen, russischen Kanal RT hätten zugunsten dieser verdeckten Operationen nachgelassen.

Deutschland im Visier der Kreml-Informationskrieger

Auch die deutsche Politik treibt das Thema um: Im Juni 2024 nahm die "Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation" (ZEAM) ihre Arbeit auf. Die zwölf ZEAM-Mitarbeiter nehmen die Vorgehensweise, Verbreitungswege und Mechanismen ausländischer Einflussnahme in den Blick. "Russische offizielle Stellen, staatliche und staatsnahe Medien sowie pro-Kreml-Accounts verbreiten in hohem Maße Desinformation, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und gesellschaftliche Spaltungen zu provozieren", heißt es aus dem Bundesinnenministerium (BMI).

Seit 2022 habe der Kreml die Verbreitung pro-russischer und anti-westlicher Narrative offensiv ausgebaut. Instrumentalisiert werden insbesondere Themen wie Migration, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine oder terroristische Anschläge, so das BMI. Aber auch der angebliche wirtschaftliche und politische Abstieg Deutschlands in der Welt, die angebliche Uneinigkeit der EU und ihrer Mitgliedsstaaten oder das Infragestellen des menschengemachten Klimawandels, zählen demnach zu den verbreiteten Erzählungen.

Die Entlarvung der Online-Kampagnen und auch der EU-Bericht hierzu seien "sehr wichtig und gut", sagt Desinformationsexperte Pichler. Neben vielen aktuellen Beispielen für Einflussoperationen im Internet kartiere der EU-Report die sogenannten Alternativ- oder Regime-Medien. "Was fehlt sind aber genau diese Zellen an Einflussagenten oder Desinfo- und Spionagezellen, die im öffentlichen Raum aktiv sind." Diese seien oft schon länger aktiv, doch im aktuellen EU-Bericht tauchten sie nicht auf, da dieser sich auf die jüngsten Entwicklungen fokussiert.

Einflussagenten besonders im deutschsprachigen Raum ein Problem

Einflussagenten, aus dem Englischen "Agents of Influence", werden Akteure genannt, die sich gegen oder ohne Bezahlung Narrative eines autoritären Regimes verbreiten oder für dieses lobbyieren. "Und das tun sie verdeckt oder pseudo-verdeckt", so Pichler. "Wenn wir den Diskurs analysieren, dann muss man einfach sagen, dass pro-russische Narrative von gewissen Personen sehr erfolgreich verbreitet werden." Die einen stünden in direkter Verbindung zu Russland, andere seien einfach nur für russische Positionen empfänglich.

"Ein einschlägiges Beispiel ist der Putin-Biograf und Journalist Hubert Seipel, der 600.000 Euro Buch-Sponsoring aus dem Umfeld eines Putin-nahen Oligarchen erhalten hatte", sagt Pichler. "Er hat in seinen Auftritten und Büchern immer wieder für enge Beziehungen mit Russland geworben. Noch 2023 behauptete er, das Kriegsziel Russlands sei es, den 'Vormarsch' der Nato zu stoppen." Seipel bestreitet eine russische Einflussnahme auf seine Arbeit. Pichler sagt: Solche "einflussreichen Kommunikatoren", deren Haltung gegenüber Russland vergleichsweise milde ausfällt, die jedoch den Westen und die Ukraine scharf verurteilen, gebe es auch auf internationaler Ebene - etwa der Ökonom Jeffrey Sachs oder der Politikwissenschaftler John Mearsheimer.

Ein Großteil der ausländischen Einflussnahme sei aber "hausgemacht", so Pichler. Sorgen bereiteten ihm insbesondere Philosophen, Intellektuelle, Lehrer und Akademiker, die im Sinne autoritärer Regimes argumentieren. "Wenn jemand sagt: 'Ich verurteile die Invasion, aber…' und dann nach dem Aber ein ganzes Bündel russischer Narrative kommt, dann wirkt das natürlich sehr stark." Hier seien insbesondere die Medien aufgerufen, Meinungsfreiheit nicht mit falscher Ausgewogenheit zu verwechseln. Klar sei: Nicht jede Meinung, die die russische Invasion relativiere, sei von Moskau gesteuert oder finanziert. "Dennoch bleibt die Wirkung auf den öffentlichen Diskurs erheblich."

Orchestrierte Manipulation: Online- und Offline-Kampagnen wirken zusammen

Doch was haben unterwanderte Talkshow-Runden mit von Russland gesteuerten Stickerkampagnen zu tun? Laut Pichler funktionieren alle unterschiedlichen Formen der Einflussnahme deshalb so gut, weil sie aufeinander abgestimmt seien: "Man muss sich das wie ein Orchester vorstellen und diese Klebeaktionen im öffentlichen Raum zum Beispiel, ist die Querflöte in diesem großen Orchester."

Öffentlicher Raum und Cyberraum verstärkten so einander: Relativ kleine Aktionen wie die Sticker-Kampagne würden in Telegram-Kanälen "wie heiße Ware gehandelt" und seien sehr attraktiv für die User, so Pichler. Vom Telegram-Kanal sei es nicht mehr weit bis in eine Talkshow-Runde. Umgekehrt landen Talkshow-Gäste mit ihren Thesen auch Jahre oder gar ein Jahrzehnt später wieder in den sozialen Kanälen - befeuert von Trollen. Pichler nennt als Beispiel einen Clip von 2014, in dem Richard David Precht das russische Narrativ der angeblich bedrohlichen Nato-Osterweiterung verbreitete. Der Ausschnitt dreht derzeit erneut Runden in den sozialen Netzwerken.

"Ein großer Teil der Profile, die an dieser Verbreitung beteiligt sind, ist anonym", sagt Pichler. "Die in den Videos gezeigten Personen haben darauf ebenso wenig Einfluss wie die Kanäle, auf denen das ursprüngliche Material verbreitet wurde." Und längst geht es dabei nicht nur um Aussagen vermeintlicher Fachleute. Unzählige Male habe er einen Ausschnitt aus einem Sandra-Maischberger-Interview aus dem Jahr 2017 auf Telegram, Instagram und Tiktok entdeckt, der auf einen pro-russischen Kanal zurückgeht, sagt Pichler. Maischbergers Interviewpartner: Russlandexperte Till Schweiger.

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