In Berlin kommen die Grünen zu einem kleinen Parteitag zusammen. Nach der enttäuschenden Bundestagswahl und dem Abschied von Habeck und Baerbock sucht die Partei ihren Kurs in der Opposition - und ringt dabei mit sich selbst.
Ausgerechnet der Berliner Westhafen: Im Kongresszentrum entlang der alten Verladekrähne waren die Grünen nach der Bundestagswahl 2021 zusammengekommen, um sich über ein für sie damals enttäuschendes Wahlergebnis zu berappeln. Hier präsentierten die Ampelspitzen im Herbst 2021 gemeinsam ihr Koalitionspapier. Hier stritten sich anschließend die Grünen bei einem kleinen Parteitag über die Postenvergabe, an deren Ende Toni Hofreiter überraschend ohne Ministerposten da stand. Und hier treffen sie sich nun, dreieinhalb Jahre später zum kleinen Parteitag, um ein noch enttäuschenderes Wahlergebnis aufzuarbeiten: das der Bundestagswahl 2025. Und hier geht nun auch offiziell die Ära von Annalena Baerbock und Robert Habeck zu Ende. Die langjährigen Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten beider Bundestagswahlen verabschieden sich aus der ersten Reihe der Politik.
"Es war mir eine Ehre", beendet Habeck unter stehendem Applaus seine vorerst letzte Rede vor der Bundespartei. Den Grünen brauche nicht bange zu sein vor der Zukunft, ermuntert er sein Mitstreiter, räumt aber auch ein: Er selbst brauche jetzt erst einmal Zeit zum Nachdenken. Die Partei denkt derweil auf offener Bühne nach darüber, wie es weitergehen soll in der Opposition - und welche Lehren die vergangene Bundestagswahl für die Partei bereithält. Ein ausführlicher, hinter den Kulisse teils hart veränderter Leitantrag soll der Startschuss in diese neue Zeit sein - und offenbart zugleich die harten Konflikte, denen sich die Partei nun stellen will.
In alle Richtungen an Zustimmung verloren
Mehr oder weniger Klimaschutz? Lauter für Menschenrechte kämpfen oder einschwenken auf die gesellschaftliche Stimmungslage, die vermeintlich mehr Abschottung gegen Geflüchtete fordert? Investieren in Schwachstellen der Partei wie ländliche Gegenden und dem Osten? Oder mehr Konzentration auf die Hochburgen in den Innenstädten? Muss die Parteiführung stärker an Beschlüsse der Basis gebunden werden oder müssen Parteitage entschlackt werden um Debatten, die renegate Gruppierungen schon mit wenigen Unterschriften erzwingen kann? Sollen die Grünen nun eine Fundamentalopposition zu Schwarz-Rot praktizieren oder sich als verantwortungsvolle Partei der demokratischen Mitte aufstellen?
Die Antwort lautet momentan eher: alles zusammen. Denn die Grünen haben sowohl in den Regierungsjahren als auch auf den letzten Metern der Bundestagswahl in alle Richtungen an Zustimmung verloren. Rund 700.000 vormalige Grünen-Wähler wandten sich der Linken zu. Aber auch an die Union gingen Wählerinen und Wähler verlustig, während keine Stimmen aus dem konservativeren SPD-Milieu gewonnen wurden -trotz historischer Schwäche der Sozialdemokraten. Die Grünen gleichen gerade einem Pkw, der in alle Richtungen blinkt, während die Insasen noch debattieren, wo es nun hingehen soll. Es obliegt den erst seit November amtierenden Parteivorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak diese Diskussion zu moderieren und anzuleiten.
"Wir werden auch schwierige Debatten führen", verspricht Brantner auf dem Länderrat. Doch der Grad zum Nachtreten und Nachkarten ist schmal. Vor allem auf dem linken Flügel, der sich während des Wahlkampfs noch hinter dem Realo Habeck versammelt hatte, gibt es einen tiefsitzenden Frust. "Manchmal bin ich mir nicht sicher, für welche Beschlüsse unser Spitzenpersonal gekämpft hat", sagt Jette Nietzard, Co-Vorsitzende der Grünen Jugend. "Wir brauche keine rassistischen Narrative mehr unter dem Deckmantel von Sicherheitsversprechen", sagt sie mit Blick auf die Migrationspolitik. Ihr Co-Vorsitzender Jakob Blasel mahnt einen Kurswechsel an: "Junge Menschen haben uns bei der Bundestagswahl kollektiv das Vertrauen entzogen."
Svenja Borgschulte aus dem Kreisverband Berlin-Pankow geht mit ihrer Partei noch härter ins Gericht: "Wir haben uns zu oft treiben lassen, ohne die Richtung zu ändern", sagt Borgschulte. Die Partei hätte "lauter, mutiger und klarer sein müssen", als während der Bundestagswahl das Thema migrationspolitischer Verschärfungen dominierte. Die Grünen seien "nicht mehr als die Menschenrechtspartei wahrgenommen worden, die wir einmal waren und wieder werden müssen". In seiner Rede geht Habeck auf diese Kritik ein: "Sicherlich hätte man auch andere Themen stärker akzentuieren können", sagt Habeck. Doch er wolle daran erinnern, dass es vier Mordanschläge in Deutschland binnen sechs Wochen gegeben habe. "So einfach war das dann eben nicht."
Dass die internen Debatten in den vergangenen Spuren hinerlassen haben, wird auch während der Wortmeldung der Co-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann deutlich. "Zutrauen, liebe Leute, darum geht's", wirbt Haßelmann um Vertrauen in die Führung von Partei und Bundestagsfraktion. Haßelmann verweist auf die Verhandlungserfolge ihrer Fraktion, als Union und SPD eine verfasssungsändernde Mehrheit zur faktischen Lockerung der Schuldenbremse ermöglichte.
Brantner-Rede erntet Applaus
Im am Ende einstimmig beschlossenen Leitantrag findet das an der Rumoren der Basis eingang: Die Grünen seien in der Ampel-Koalition Kompromisse eingegangen, die "in Teilen unserer Wählerschaft für Irritation oder Enttäuschung gesorgt" hätten. Zur Sozial- und Migrationspolitik sei zudem "eine kommunikative und strategische Unklarheit an den Tag gelegt" worden, heißt es dort weiterhin selbstkritisch. Für die Rolle der Grünen in der Opposition wird nun "eine klare, gestaltende und empathische" Haltung gefordert. Zudem sollen Programm und Partei weiterentwickelt werden. Brantner kündigt zudem die "pro-europäischste Opposition" an, die das Land jemals erlebt habe. Um künftig auch im Osten, wo die Partei bei der Bundestagswahl besonders stark verloren hat, wieder solide Wahlergebnisse einzufahren, soll eine Task Force gebildet und im Herbst ein Festival in den neuen Bundesländern veranstaltet werden.
Neben lauterem Einsatz für Menschenrechte wollen sich die Grünen im Bundestag auch für Erleichterungen im Alltag einsetzen. Banaszak erklärt in seiner Rede, warum aus seiner Sicht auch eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen praktizierter Antifaschismus sei: "Die Betonung der Bezahlbarkeit des Lebens ist deshalb richtig, weil er der Gesellschaft die Resilienz verschaft, sich ihren Feinden im Inneren und Äußeren besser entgegensetzen zu können." Die Analyse folgt auch der Erkenntnis, dass die Partei sowohl aus Sicht der Wähler links der Grünen als auch der Wähler rechts der Grünen zu wenig in der Lebenswirklichkeit der Menschen verhaftet sei.
Ähnlich äußert sich Co-Chefin Brantner: "Wir werden nicht ruhen, bis diese Republik endlich alle mitdenkt - nicht nur die Lauten und nicht nur die Starken." Brantner ist auf dem linken Parteiflügel durchaus umstritten. Für dieses Satz aber erntet sie Applaus. Ihre Arbeit, die Partei aus der Opposition zurück auf die Regierungsbank und auch zurück in alle Landtage der Republik zu führen, geht aber erst los. Ob diese Arbeit von weniger Frust und Enttäuschung überschattet sein wird als in den vergangenen Wochen, muss sich noch zeigen.
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