Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert nun schon mehr als drei Jahre an. Strenge Sanktionen sollen eigentlich verhindern, dass westliche Unternehmen Produkte nach Russland liefern und so die Armee des Kremls unterstützen. Doch häufig werden sie erst spät oder gar nicht verhängt. So wird die russische Rüstungsindustrie - ob direkt oder über Zwischenhändler - weiterhin von Unternehmen aus dem Westen beliefert. Eine neue Recherche des unabhängigen belarussischen Exil-Mediums Zerkalo.io zeigt, wie ein deutsches Unternehmen über Jahre hinweg ungehindert Bauteile an ein belarussisches Werk liefern konnte, das wiederum die russische Armee beliefert. Der Artikel zeichnet nach, wie die Sanktionslücken noch bis ins laufende Jahr die russische Aufrüstung mit deutscher Hochtechnologie ermöglichten. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion erscheint die Recherche nun auch bei ntv.de.
Das Werk Planar in der belarussischen Hauptstadt Minsk ist bereits seit Sowjetzeiten in der Mikroelektronikproduktion tätig. Heute produziert das staatliche Unternehmen, das unter der Kontrolle des Regimes von Diktator Alexander Lukaschenko steht, verschiedene Anlagen zur Herstellung integrierter Mikrochips. Seine Produkte liefert Planar nicht nur an die ebenfalls Lukaschenko-nahe Firma Integral, deren Mikrochips in russischen Raketen wie Iskander und Kalibr verbaut werden, wie frühere Recherchen ergaben.
Nach Informationen von BELPOL, einer Vereinigung ehemaliger belarussischer Sicherheitskräfte, arbeitet das Minsker Werk auch direkt mit der russischen Staatsgesellschaft Rostec zusammen, einem zentralen Zulieferer der russischen Armee. Das Geschäft scheint äußerst lukrativ zu sein: Im vergangenen Jahr berichteten belarussische Medien von "gigantischen" Investitionen in Höhe von umgerechnet rund 800 Millionen Euro, die Russland für neue Produktionsanlagen bei Planar und Integral bereitgestellt haben soll.
Die Produktion in Minsk läuft auf Hochtouren: Das Werk arbeite rund um die Uhr und habe einen beeindruckenden Anstieg der Exporte erreicht, prahlte Generaldirektor Sergej Awakow im September 2024 in belarussischen Staatsmedien. Dieser Anstieg begann ausgerechnet nach dem russischen Einmarsch. 2022, im ersten Kriegsjahr, habe sich das Exportvolumen nach Awakows Angaben verdoppelt. Im zweiten Kriegsjahr stieg es erneut auf das Doppelte an.
USA verhängten bereits 2023 Sanktionen
Die Aktivitäten des belarussischen Unternehmens und seine bedeutende Rolle für die russische Rüstungsindustrie blieben nicht unbemerkt: Ende 2023 verhängten die USA Sanktionen gegen Planar. Bis zum folgenden Sommer zogen Australien, Großbritannien und Kanada nach. Die Europäische Union reagierte jedoch erst viel später - Ende März dieses Jahres, während dieser Artikel zur Veröffentlichung vorbereitet wurde. So konnte das Werk auch lange nach Beginn des Krieges weiterhin von europäischen Unternehmen beliefert werden.
Denn ohne Bauteile aus dem Westen wäre die Arbeit von Planar schwierig bis unmöglich. Aus Zolldokumenten, die der Zerkalo-Redaktion vorliegen und von ntv.de eingesehen werden konnten, geht hervor, dass das Minsker Unternehmen in den vergangenen Jahren mehrfach spezielles optisches Glas bei der deutschen Firma Oxapa GmbH eingekauft hat. Der Transport erfolgte über ein Lager in Litauen. Als Ursprungsland war Deutschland angegeben.
Was ist das für ein deutsches Unternehmen?
Planar-Lieferant Oxapa GmbH sitzt in Jena. Auf ihrer Website bietet die Firma eine breite Palette von Produkten für die Optikbranche an. Der Name der Firma ist bemerkenswert: Oxapa erinnert in seiner Schreibweise stark an die bekannte japanische Glasmarke Ohara, als sei der Name direkt aus dem Kyrillischen transkribiert worden.
Im Jahr 2023 war das Unternehmen laut dem Business-Analytics-Dienst North Data als kleines Unternehmen eingestuft und beschäftigte keine Mitarbeiter. Das könnte darauf hindeuten, dass sämtliche Arbeiten ausgelagert wurden.
Geschäftsführer ist Wladislaw Matussewitsch, wie aus den Firmendaten hervorgeht. Laut Informationen von Zerkalo lebt er dauerhaft in Deutschland und stammt ursprünglich aus Minsk. Zudem ist er Wissenschaftler und Autor von mehr als 88 wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich Optik. Außerdem sind auf seinen Namen vier weitere Firmen registriert, die alle offiziell unter derselben Adresse in Jena eingetragen sind.
Seit April 2024 keine Lieferungen mehr?
Nach der Einführung der US-Sanktionen Ende 2023 wurden die Lieferketten angepasst, wie aus weiteren Zollunterlagen hervorgeht, die der Zerkalo-Redaktion vorliegen. Dabei griff man auf Scheinfirmen in Belarus und Polen zurück. Eine dieser Firmen in Polen wurde laut BELPOL von Belarussen gegründet, die zuvor in einem staatlichen belarussischen Rüstungskonzern tätig waren.
Auf Anfrage der Zerkalo-Redaktion verwies Oxapa-Chef Wladislaw Matussewitsch darauf, dass Planar zum Zeitpunkt der Lieferungen nicht auf der EU-Sanktionsliste stand und die Zusammenarbeit daher nicht verboten gewesen sei. Das Gespräch fand am 17. März 2025 statt, also vor dem EU-Sanktionsbeschluss gegen Planar.
Er gab zudem an, dass Oxapa bereits 2023 beschlossen habe, keine Geschäfte mehr mit belarussischen und russischen Firmen zu machen, da die Sanktionslisten ständig wüchsen, die Überprüfung potenzieller Partner immer schwieriger werde und Banken zusätzliche Einschränkungen verhängten. Seit Dezember 2023 habe das Unternehmen keine neuen Verträge mit Belarus oder Russland mehr abgeschlossen. Was 2024 noch geliefert wurde, seien "Restlieferungen" aus früheren Verträgen gewesen.
Die letzte Lieferung, die Zerkalo anhand von Zollunterlagen belegen kann, erfolgte im April 2024. Ob die Zusammenarbeit mit dem belarussischen Unternehmen danach beendet wurde, ist nicht bekannt. Die jüngsten EU-Sanktionen dürften es jedoch zumindest erschweren, solche Geschäfte fortzusetzen.
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