Im Schatten von Israels Kampf gegen die Terrororganisation Hamas schreitet er weiter voran: der Rückzug des Christentums im Heiligen Land. Lag der Anteil der Christen in Jerusalem vor hundert Jahren noch bei knapp 20 Prozent, ist er inzwischen auf unter zwei Prozent gefallen. Tendenz: weiter sinkend.
Zwar garantiert Israel als Demokratie die Freiheit der Religionen. Aber wer im Heiligen Land das Sagen hat, behandelt andere Religionen meist nicht gut, diese Regel gilt seit Jahrhunderten. In jüngster Zeit hat sich diese Tendenz noch einmal verstärkt.
Es ist eine Entwicklung, die wie so oft in der Geschichte zuerst nicht von staatlicher Seite kommt, sondern von der Straße. Zuletzt zeigte sich die Polizei von Jerusalem öffentlich besorgt über die Zunahme von Gewalttaten gegen Christen und christliche Einrichtungen in der Altstadt.
Vor wenigen Tagen stach ein jüdischer Extremist eine Frau nieder, die er für eine Christin hielt. Die Frau war allerdings Jüdin, meldete „Channel 13“. In der vergangenen Woche nahm die Polizei acht Personen fest, die eine Kirche in der Altstadt bespuckt haben sollen. Dass Mönche und Priester von jüdischen Extremisten angespuckt werden, gehört mittlerweile zur Tagesordnung.
„Leider sind wir Zeugen eines verabscheuungswürdigen und inakzeptablen Phänomens von Hassausbrüchen gegenüber Christen in der Altstadt von Jerusalem“, teilte der Kommandant der Jerusalemer Polizei, Dvir Tamim, am vergangenen Freitag mit.
Nun zeigen sich die Oberhäupter der verschiedenen Kirchen im Heiligen Land über eine neue Art der von Übergriffen besorgt. Diesmal stammen sie von öffentlicher Seite.
Seit im vergangenen Jahr bei den Jerusalemer Kommunalwahlen die ultraorthodoxen Juden und die jüdischen Siedler einen Erdrutschsieg einfahren konnten, auch dank niedriger Wahlbeteiligung, geht die Stadtverwaltung mit großer Härte gegen das Orthodoxe Armenische Patriarchat von Jerusalem vor.
Nach Ansicht der Behörde schuldet das Patriarchat der Stadt rückwirkend bis zum Jahr 1994 eine kommunale Grundsteuer, die sogenannte Arnona. Um die Steuerschuld zu begleichen, droht die Stadtverwaltung nun damit, Immobilien des Patriarchats zu pfänden und versteigern zu lassen.
Das würde einer Auslöschung des Armenischen Viertels in der Altstadt gleichkommen, das bereits seit dem 4. Jahrhundert existiert und mit rund 15 Prozent der Fläche und knapp 2000 Einwohnern das kleinste Viertel der berühmten Altstadt ist.
Ein anberaumter Gerichtstermin zur Lösung des Falls musste kürzlich wegen Schneefalls abgesagt werden. Wenn es in Jerusalem schneit, bricht schnell ein Großteil des Verkehrs zusammen. Um den Fall zu verstehen, muss man etwas tiefer in juristische Fragen einsteigen.
Kirchen dürfen keine Klage einreichen
Der Staat Israel hat bis heute keine Verfassung, sondern nur einen obersten Gerichtshof. Das bedeutet: Alle Staatlichkeit geht von Gesetzen aus, und diese stammen aus verschieden Rechtssystemen und Jahrhunderten. So gilt in Jerusalem israelisches Recht, osmanisches Recht, Recht aus der britischen Mandatszeit und auch religiöses Recht, wie etwa die Scharia oder Kirchenrecht.
Da nun fast alle Kirchen mehrere hundert, wenn nicht gar tausend Jahre alt sind, gilt für sie noch immer Recht aus osmanischer Zeit. In dieser Rechtsprechung ist festgelegt, dass religiöse Einrichtungen keine Steuern zahlen, aber auch keine juristischen Personen sind, also keine Institutionen des öffentlichen Rechts. Somit kann eine Kirche niemals am obersten Gerichtshof eine Klage einreichen.
Im Jahr 1994 hatte der Vatikan unter Papst Johannes Paul II. angefangen, offizielle diplomatische Beziehungen aufzubauen, um einen Grundlagenvertrag mit dem Staat Israel auszuhandeln.
In der Folge wurde 1997 ein Vertrag zur Neuordnung fiskalischer Fragen geschlossen. Der wurde allerdings nicht mehr von dem israelischen Parlament, der Knesset, ratifiziert, da man über Rom verärgert war, das mittlerweile gleichlautenden Verträge mit der PLO geschlossen und auch den Staat Palästina anerkannt hatte.
Bis heute gilt: Die Katholische Kirche ist zwar bereit Steuern zu zahlen, aber ihr fehlt weiter der offizielle Status. Dass aber überhaupt ein Vertrag verhandelt wurde, war nur durch eine Besonderheit möglich. Die katholische Kirche ist durch einen Staat vertreten, den Vatikan, die meisten anderen Kirchen in Israel haben diese Möglichkeit nicht. Allerdings sind fast alle daran interessiert, das Verabredete als Blaupause zu übernehmen.
Nach der Drohung der Stadtverwaltung, das Armenische Patriarchat zu enteignen, haben sich nun alle christlichen Kirchen hinter Roms Vertreter, Pierbattista Kardinal Pizzaballa versammelt, um gegen das Vorgehen zu protestieren und einen Präzedenzfall abzuwenden. Fällt erst einmal das Armenische Viertel, befürchten die Kirchenführer, könnte es bald allen kirchlichen Einrichtungen schlecht ergehen.
Auch Abt Nikodemus Schnabel, ranghöchster Vertreter deutscher Katholiken im Heiligen Land, ist besorgt über eine mögliche langfristige Bedrohung der deutschen Besitztümer, darunter die Dormitio Abtei auf dem Berg Zion und das Kloster in Tabgha, am See Genezareth. Bisher war man auf deutscher Seite mit provisorischen Lösungen vorgegangen, um eine halbwegs stabile Situation zu haben. So ist bisher das Erzbistum Köln als Eigentümer aller Liegenschaften im Grundbuch eingetragen.
Die Mönche aber, die ihren Dienst in Israel verrichten, haben ein spezielles Visum, das jedes Jahr erneuert werden muss. Einen offiziell anerkannten Arbeitgeber im Heiligen Land haben sie schließlich nicht, dafür fehlt den Kirchen der rechtliche Status.
Schon länger steht das armenische Eigentum in Jerusalem unter Druck. Bereits vor ein paar Jahren versuchten dubiose Geschäftsleute über Strohmänner von einem Mitglied der Patriarchatsleitung die sogenannte armenische Kuhweide zu kaufen, die früher ein Garten vor der armenischen Kathedrale war und heute mitten in der Altstadt als Parkplatz genutzt wird.
Der Deal flog aber auf, der Verkäufer wurde vom Hof gejagt. Nach einigen Nachforschungen stellte sich heraus, dass die Käuferfirma erst am Tag nach Vertragsunterzeichnung gegründet wurde. Das dazugehörige Gerichtsverfahren läuft noch immer, der Ausgang ist ungewiss.
Solche Fälle gibt es immer wieder. Nicht selten enden sie damit, dass jahrhundertelange Eigentümer ihren Besitz abgeben müssen. Wenn jüdische Siedler oder ihre Organisationen eine Immobilie im christlichen oder armenischen Viertel kaufen wollen, suchen sie sich einen Strohmann aus der Gemeinschaft und kaufen über ihn die gewünschte Immobilie.
Neuer Eigentümer ist dann zumeist eine Offshore-Firma, irgendwo auf der Welt. Im Fall der armenischen Kuhweide sollte ein Luxushotel gebaut werden. Das hätte das Gesicht der Altstadt unwiederbringlich verändert. Man kann davon ausgehen, sollte es zur Zwangsversteigerung des armenischen Viertels kommen, würden recht schnell die Abrissarbeiten beginnen, etwas Neues entstehen und ein Stück zweitausendjährige Geschichte ausgelöscht werden.
Derweil geht in den Gassen der Altstadt die Gewalt gegen Christen weiter. Abt Nikodemus nennt die Angreifer „Hooligans der Religion“. Meist sind es junge Männer, die zu den militanten jüdischen Siedlern gehören und ganz Jerusalem unter ihre Kontrolle bringen wollen.
Wenn es abends dunkel wird, spielen sich oft solche Szenen ab. „Jesus war ein Schwein!“, brüllt einer, als er vor den Toren der Dormitio Abtei entlanggeht. An Samstagabenden fliegen auch mal Steine in Richtung der Mönche, Drohungen und Schmähungen werden gerufen. „Wartet nur, bald holen wir Euch!“
Jerusalems Polizeikommandant Tamim sagt: „Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, dass jeder Mensch jeder Religion in der Altstadt und insbesondere an den heiligen Stätten seine Religion ausüben kann.“ Das hören die Christen in und um die Altstadt gerne. Aber derweil geht ihr Exodus weiter.
Da mittlerweile die Gesamtzahl eine kritische Größe unterschritten hat und junge Christen kaum noch Partner für eine Eheschließung finden, wandern viele aus. Wer einmal gegangen ist, kommt kaum wieder. Aber immerhin ist der Schnee inzwischen getaut, wieder einmal wird es Frühling in Jerusalem und mit dem Frühling kommt auch die Zuversicht.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren feiern dieses Jahr alle Kirchen gemeinsam das Osterfest, da die Termine aus dem orthodoxen und dem gregorianischen Kalender aufeinandertreffen. „Und gibt es eine bessere Nachricht als die Auferstehung?“, fragt Abt Nikodemus. „Jerusalem ist und bleibt die Stadt der Auferstehung.“
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