Am Samstag treffen sich Irans Außenminister Abbas Araghtschi und der US-Nahostbeauftragte Steve Witkoff zu Verhandlungen über eine mögliche Neuauflage des iranischen Atomprogramms. Der Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad sieht die Islamische Republik historisch geschwächt. Im Interview mit ntv.de erklärt er, warum 2025 zum Schicksalsjahr für den Iran wird.

ntv.de: Erstmals seit Langem finden wieder Gespräche über ein Atomabkommen zwischen den USA und dem Iran statt. Was ist von diesen Gesprächen zu erwarten?

Ali Fathollah-Nejad: Zunächst ist es wichtig, zu verstehen, dass die Amerikaner nicht nur über ein neues Atomabkommen sprechen wollen. Es könnte noch um viel mehr gehen, um die Frage des iranischen Raketenprogramms und die iranische Unterstützung für die sogenannte Achse des Widerstands. Also drei wichtige sicherheitspolitische Bausteine, die zusammengenommen das Businessmodell der Islamischen Republik schlechthin darstellen.

Warum finden diese Gespräche jetzt statt?

Zum einen gibt es diesen Brief, den Donald Trump nach Teheran geschrieben hat, an den Obersten Führer Chamenei, der de facto Irans Staatsoberhaupt ist. Darin hat Trump ein Ultimatum gestellt, eine zweimonatige Frist für Verhandlungen. Das kann Teheran nicht ignorieren, weil die iranische Position in der Region historisch geschwächt ist. Das liegt vor allem daran, dass die sogenannte Achse des Widerstands in sich zusammengebrochen ist.

Wer gehört zu dieser Achse und welche Bedeutung hat sie für den Iran?

Das ist ein Netzwerk aus islamistischen Milizen im Nahen Osten. Teilweise stehen sie in Opposition zu den jeweiligen Staaten, teilweise sind sie Teil der staatlichen Strukturen. Zu dieser Achse gehören die Hisbollah im Libanon, die Hamas im Gazastreifen, die Huthis im Jemen und proiranische Kräfte im Irak. Der Iran unterstützt sie logistisch, militärisch und ideologisch, um seine Interessen in der Region durchzusetzen, vor allem gegen die USA und gegen Israel.

Wieso ist diese Achse zusammengebrochen?

Die wichtigste Entwicklung war die Ausschaltung des sogenannten Kronjuwels innerhalb dieser Achse des Widerstands: die libanesische Hisbollah. Sie wurde durch Israel im vergangenen September entscheidend zerstört. Hinzu kommt eine sehr starke Schwächung der Hamas. Und das Assad-Regime in Syrien ist komplett kollabiert, der einzige staatliche Akteur in dieser Kette. Insofern ist das, was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, wirklich eine geopolitische Zäsur.

Das iranische Regime steht also mit dem Rücken zur Wand?

In jedem Fall ist es eine komplett neue Situation für die Islamische Republik Iran. Die einzigen Elemente, die noch übrig bleiben, sind zum einen die proiranischen Milizen im Irak, die sich allerdings auch eher zurückhalten, nicht zuletzt, weil sie nicht das gleiche Los wie die Hisbollah oder die Hamas riskieren möchten. Und zum anderen gibt es da noch die Huthis im Jemen, die disruptivste Kraft innerhalb dieser sogenannten Achse des Widerstands.

Aber auch die lässt Teheran jetzt hängen. Zumindest hat Iran laut Medienberichten seine Kräfte aus dem Jemen abgezogen. Auch das ein Zeichen der Schwäche?

Das kann man so sagen. Die Iraner wollen nicht unter die militärischen Räder der Amerikaner kommen. Gleichzeitig ist es aber nur ein taktischer, temporärer Rückzug, um die USA in die Irre zu führen. Die US-Armee bombardiert seit Wochen massiv Stellungen der Huthis und Präsident Trump hat angekündigt, dass er keine Unterscheidung macht zwischen Huthis und iranischen Kräften und dass man Angriffe der Huthis auf US-Interessen als Angriffe Irans erachtet.

Es gab ja viel Kritik an Trump, als er 2018 in seiner ersten Amtszeit das Atomabkommen einseitig aufgekündigt hat. Hatte er rückblickend doch recht? Dass das Abkommen zu eindimensional war, kritisieren Sie auch in Ihrem neuen Buch.

Dieses erste Atomabkommen hatte blinde Flecken, darunter das Raketenprogramm und die Achse des Widerstands. Wie viel Wert Trump jetzt darauf legt, alle drei Felder voranzubringen, ist offen.

Auch dem Iran selbst hat Trump mit militärischer Gewalt gedroht, sollte es in den Verhandlungen nicht zu einem Abkommen kommen. Wie geht Teheran damit um?

Die Führung in Teheran hat nun die Wahl zwischen Pest und Cholera. Geht sie aus der gegenwärtigen Position der Schwäche heraus einen Deal mit den USA ein, muss sie schlimmstenfalls mit einer Kapitulation unter einem Trump'schen Diktat rechnen. Verwehrt sie sich einem Abkommen, muss sie nicht nur militärische Schläge etwa der Israelis gegen iranische Anlagen fürchten. Auch ökonomisch steht Iran immens unter Druck. Die Wirtschaftskrise ist so desolat wie wahrscheinlich noch nie in der gesamten Geschichte der Islamischen Republik. Wenn jetzt wichtige Einnahmequellen des Staates wie die Ölverkäufe wegbrechen, dann geht es um das Überleben des iranischen Regimes. Insofern ist das Jahr 2025 ein Schicksalsjahr für die Islamische Republik.

Könnte ein in die Enge getriebener Iran nicht umso gefährlicher werden?

Genau dieses Narrativ wollen die iranischen Machthaber in Teheran dem Westen verkaufen. Deswegen hören wir ja schon seit Tagen sehr martialische Drohungen aus Teheran. Wenn es einen Militärschlag der USA geben sollte, dann werden wir sehr viel schlimmer zurückschlagen, so der Tenor. Das sind routinemäßige Drohungen, die haben wir schon vielfach gehört. Ihnen fehlen aber die militärischen Machtmittel, um ihre martialischen Drohungen nachhaltig zu unterfüttern.

Ein geschwächter Iran macht den Nahen Osten also friedlicher?

Das muss man nüchtern betrachtet so sagen, ja. Über 20 Jahre hinweg hat der Iran eine sehr destabilisierende Rolle im Nahen Osten gespielt, nicht zuletzt auch mit Blick auf den 7. Oktober 2023. Der Westen hat jetzt die historische Chance, den Iran zu schwächen, vor allem seine aggressive Regionalpolitik. Diese Chance sollte er wahrnehmen.

Mit Ali Fathollah-Nejad sprach Maurice Prior

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